Beitrag zur automatisierten
Steuerkennfeld-Applikation bei
Fahrzeug-Dieselmotoren
vorgelegt von
Diplom-Ingenieur
Kristian Jankov
aus Zrenjanin
Von der Fakultät V - Verkehrs- und Maschinensysteme
der Technischen Universität Berlin
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der Ingenieurwissenschaften
- Dr.-Ing. genehmigte Dissertation
Promotionsausschuss:
Vorsitzender:
Gutachter:
Gutachter:
Prof. Dr.-Ing. J. Herrmann
Prof. Dr.-Ing. H. Pucher
Prof. Dr.-Ing. C. Gühmann
Tag der wissenschaftlichen Aussprache:
31. Juli 2008
Berlin 2008
D 83
II
III
Widmung
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Fachgebiet Verbrennungskraftmaschinen der Technischen Universität Berlin.
Ganz besonderen Dank möchte ich Herrn Prof. Dr.-Ing. H. Pucher für seine fachliche und persönliche Unterstützung bei der Durchführung dieser Arbeit sowie für
die Übernahme des Hauptreferates aussprechen.
Danken möchte ich weiterhin Herrn Prof. Dr.-Ing. C. Gühmann für die Übernahme
des Koreferates sowie Herrn Prof. Dr.-Ing. J. Herrmann für seine Bereitschaft zur
Übernahme des Vorsitzes im Promotionsausschuss.
Bei allen ehemaligen Kollegen sowie Mitarbeitern am Fachgebiet Verbrennungskraftmaschinen bedanke ich mich für das angenehme Arbeitsklima und die unkomplizierte Zusammenarbeit. Vor allem gilt mein Dank Dipl.-Ing. Sebastian Watzek,
Christian Knop, Aleˇ Kolar, Said Gimajew und Mike Zocher, deren Beiträge wes
sentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen.
Des Weiteren gilt mein Dank der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen e.V. für die gewährte finanzielle Förderung.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Frau Maike für ihre unendliche Geduld
und große Unterstützung bedanken.
IV
V
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Zielsetzung
1
2 Stand der Technik
2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Entwicklung von elektronischen Systemen im Fahrzeug . . . . .
2.3 Motorsteuergeräteapplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Steuergerät, Werkzeuge und Standards . . . . . . . . . .
2.3.2 Prozesskette zur Applikation von Motorsteuerkennfeldern
2.4 Optimierungsziele und Zielfunktionen . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Multikriterielles Optimierungsproblem . . . . . . . . . .
2.4.2 Skalarisierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Methoden und Automatisierungsgrad im Applikationsprozess . .
2.5.1 Statistische Versuchsplanung . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.2 Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.3 Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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25
34
37
3 Hochdynamischer Motorprüfstand
3.1 Prüfstandsautomatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Prüfstandsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Versuchsmotor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
41
42
44
4 Fuzzy-Inferenz-Systeme und Künstliche Neuronale Netze
4.1 Fuzzy-Inferenz-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.1 Fuzzy-Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.2 Takagi-Sugeno-System . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.3 Sugeno-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Künstliche Neuronale Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Radiale-Basisfunktionen-Netze . . . . . . . . . . . . .
4.2.2 Feedforward-Mehrschichtnetze . . . . . . . . . . . . .
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46
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50
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56
57
5 Wissensbildung für den stationären Motorbetrieb
5.1 Versuchsplanung auf Grundlage des Takagi-Sugeno-Systems . . . .
5.1.1 Konzept zur globalen Versuchsplanung . . . . . . . . . . . .
5.1.2 Bewertungskriterium zur optimalen Versuchsplanung . . . .
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60
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VI
INHALTSVERZEICHNIS
5.1.3
5.2
5.3
5.4
Versuchsplanung am Beispiel eines mehrdimensionalen Eingangsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Automatische Kennfeldvermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Online-Screening des Hyperraumes in ausgewählten stationären Motorbetriebspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 Automatische Vermessung unter dynamischer Adaption lokaler Versuchsraumbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . .
Erstellung der Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 Motivation und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2 Konzeptansatz zur Wissensverarbeitung . . . . . . . . . . .
5.3.3 Umkehrung des Motorprozesses . . . . . . . . . . . . . . . .
Wissensbasierte Betriebspunktoptimierung . . . . . . . . . . . . . .
5.4.1 GRASP - Greedy Randomized Adaptive Search Procedure .
5.4.2 Wissensbasierte Suche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.3 Bewertung anhand skalarer Zielfunktionen . . . . . . . . . .
5.4.4 Optimierungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 Applikation eines aufgeladenen Common-Rail-Dieselmotors
6.1 Versuchsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Stationäre Betriebspunktoptimierung . . . . . . . . . . . . . .
6.3.1 Evolutionäre Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.2 Konventionelle Offline-Optimierung . . . . . . . . . . .
6.3.3 Wissensbasierte Online-Optimierung . . . . . . . . . .
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7 Erweiterte Untersuchungen zum dynamischen Motorbetrieb
7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Dynamische Motorvermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.1 Ansteuerverfahren zur Variation der Verstellparameter .
7.2.2 Auswahl und Vermessung des dynamischen Testzyklus .
7.3 Entwicklung des Expertensystems . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.1 Konzept zur Wissensbildung . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.2 Spezifikation der Expertensystems . . . . . . . . . . . . .
7.3.3 Automatische Adaption der Regelbasis . . . . . . . . . .
7.4 Optimierung entlang des dynamischen Testzyklus . . . . . . . .
7.4.1 Steuersystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4.2 Online-Bedatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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138
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145
145
147
8 Zusammenfassung
149
A Anhang
151
A.1 Takagi-Sugeno-Versuchsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
A.2 Anhang zur Validierung der Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . 152
A.3 Anhang zur modellbasierten Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . 154
INHALTSVERZEICHNIS
VII
A.4 Anhang zur Applikation des dynamischen Motorbetriebes . . . . . . 155
VIII
Abbildungsverzeichnis
2.1 Marktentwicklung der Autoelektronik . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Partitionierung elektronischer Systeme im Fahrzeug . . . . . . . . .
2.3 V-Modell zur Entwicklung elektronischer Systeme nach [44] . . . . .
2.4 Motorsteuergeräteapplikation: Testumgebung, Betriebszustände und
Funktionsumfang (Common-Rail-Motor der 2. Generation) . . . . .
2.5 Vereinfachter Aufbau eines Steuergerätes nach [39] . . . . . . . . . .
2.6 Parallele ETK Steuergeräteschnittstelle nach [7] . . . . . . . . . . .
2.7 Funktionsgruppen und Schnittstellen von MCD-Systemen . . . . . .
2.8 Prozesskette einer modellbasierten Offline-Optimierung auf Grundlage der statistischen Versuchsplanung mit Online-Screening . . . .
2.9 Multikriterielles Optimierungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . .
2.10 Referenzpunktmethode mit verschiedenen Abstandsnormen . . . . .
2.11 -constraint-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.12 Verteilung der Designpunkte nach dem D-Optimalitätskriterium für
ein kubisches Polynommodell im zweidimensionalen Versuchsraum .
2.13 Verteilung der Designpunkte im zweidimensionalen Versuchsraum
nach der Latin-Hypercube-Sampling-Methode . . . . . . . . . . . .
2.14 Ermittlung der Versuchsraumgrenzen durch das Online-DoE-Screening
nach [12] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.15 Rapid Hull Determination nach [37]: 1. Basisvermessung, 2. iterative
Versuchsraumermittlung (Volumenvergrößerung) mittels Normalvektoren, hier: 1. Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.16 Rapid Hull Determination nach [37]: 1. Basisvermessung, 2. iterative
Versuchsraumermittlung (Volumenvergrößerung) mittels Winkelhalbierenden zwischen zwei Versuchsraumtrajektorien mit dem Startpunkt als Ausgangspunkt, hier: 1. Iteration . . . . . . . . . . . . . .
2.17 Aufteilung des Motorkennfeldbereichs in Optimierungssektoren [43]
2.18 Trade-Off-Grenzkurven am Beispiel eines aufgeladenen Dieselmotors
mit Pumpe-Düse-Einspritzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.19 Kennfeld-Glättung nach dem Spline-Ansatz [53] am Beispiel des Frischluftmassenkennfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Hardwarearchitektur der Prüfstandssteuerung . . . . . . . . . . . .
3.2 Softwarearchitektur und Schnittstellen der Prüfstandssteuerung . .
4
6
7
9
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12
13
18
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31
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35
36
36
38
39
40
41
43
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
3.3
IX
Hardware-Architektur des hochdynamischen Motorprüfstands . . .
44
Takagi-Sugeno-Struktur am Beispiel eines Systems mit zwei Eingängen x1 , x2 und einem Ausgang y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Feedforward-Netz mit einer verdeckten Schicht . . . . . . . . . . . .
53
58
4.1
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
5.7
5.8
5.9
5.10
5.11
5.12
5.13
5.14
Verteilung der Designpunkte für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 1 Abstufung, 2 Fuzzy-Partitionen; Eingang u2 : 1
Abstufung, 2 Fuzzy-Partitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verteilung der Designpunkte für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 2 Abstufungen, 2 Fuzzy-Partitionen; Eingang u2 :
keine Abstufung, 2 Fuzzy-Partitionen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Optimale Versuchsplanung: vergleichende Gegenüberstellung der gemittelten Determinanten der Kovarianzmatrizen zur Evaluierung der
Versuchsplanung für ein 8-dimensionales Eingangsproblem . . . . .
Auswahl charakteristischer Motorbetriebspunkte des zu vermessenden Motorkennfeldes und Screening des globalen Hyperraumes der
Verstellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ablaufplan zum Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Auswahl und Screening charakteristischer Motorbetriebspunkte des
zu vermessenden Motorkennfeldes zur Ermittlung des globalen Hyperraumes der Verstellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ablaufplan zur automatischen Vermessung unter dynamischer Adaption lokaler Versuchsraumbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . .
Vergleich von konventioneller Programmierung und Expertensystemen nach [50] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ursache-Wirkungs-Prinzip für einen nichtlinearen Prozess im 6-dimensionalen Hyperraum mit drei Systemausgängen . . . . . . . . .
Expertensystem zur wissensbasierten Motorprozessoptimierung . . .
Beispielhafte Aufteilung eines 3-dimensionalen Hyperraums in lokale
Umgebungen zur Realisierung der Prozessumkehrung . . . . . . . .
Erstellung einer Wissensbasis mit zwei Eingängen und drei Ausgängen: Definition der Zugehörigkeitsfunktionen als Gaußsche Glockenkurven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erstellung einer Wissensbasis mit zwei Eingängen und drei Ausgängen: Darstellung der wirksam werdenden Zielgrößenbereiche, die aus
der statistischen Anregung des umzukehrenden Systems in den Teilräumen resultieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Validierung der lokalen Wissensbasis 1 am Motormodell: räumliche Eingrenzung der normierten Motorverstellparameter (oben), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Motorverstellparametern (mittig), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Zielgrößen (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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73
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77
78
79
83
86
86
88
X
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
5.15 Validierung der lokalen Wissensbasis 6 am Motormodell: räumliche Eingrenzung der normierten Motorverstellparameter (oben), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Motorverstellparametern (mittig), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Zielgrößen (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.16 Validierung der Wissensbasis: Verlauf der Beriebspunktgrößen und
der gemessenen Zielgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.17 Validierung der Wissensbasis: Rechnungs-Messungsvergleich zwischen
gemessenen und berechneten Motorverstellparametern . . . . . . . .
5.18 Erstellung von Varianzpunkten um die Zielvorgaben (links), Ermittlung der Gültigkeitsbereiche für die jeweiligen lokalen Wissensbasen
(rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.19 Bestimmmung der Nachbarschaft (linkes Bild) und Eingrenzung der
aus der Varianzwolke resultierenden Lösungsvorschläge . . . . . . .
5.20 Modellbasierte Bestwertermittlung und Online-Evaluierung am Motorprüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.21 Zielvorgabenanpassung bei nicht konvergierendem Optimierungsverhalten: Anpassung der Zielvorgabe nach der ersten Optimierungsiteration durch vektorielle Anhebung und Korrektur der zweiten Zielvorgabe in Richtung der letzten (erfolgreich) abgearbeiteten Optimierungsiteration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
6.7
6.8
6.9
6.10
6.11
6.12
Abgastemperatur vor Turbine in Abhängigkeit vom Raildruck . . .
Vermessungskennfeld: Kennfeldraster des Takagi-Sugeno-Versuchsplans und LHS-Motorbetriebspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . .
Automatische Vermessung: Art und Anzahl der Grenzwertverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitsweise der Verstellstrategie: Grenzwertverletzung im Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub . . . . . . .
Soll-Ist-Vergleich für gefundenen Ersatzpunkt im Motorbetriebspunkt
n = 2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub . . . . . . . . . . . . . .
TS-Kennfeldvermessung in den Stützstellenpunkten: Eingangsdaten
zur Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Generalisierungsmessung zwischen den Stützstellenpunkten: Eingangsdaten zur Modellvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vergleich der Trainings- und Validierungsergebnisse für fünf verschiedene Modellordnungen des Takagi-Sugeno-Systems . . . . . . . . .
TS-Kennfeldvermessung in den Stützstellenpunkten: Rechnungs-Messungsvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Generalisierungsmessung zwischen den Stützstellenpunkten: Rechnungs-Messungsvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Validierung zwischen den Stützstellenpunkten: Gegenüberstellung der
globalen Motormodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzipskizze Genetische Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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105
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108
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111
114
116
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
6.13
6.14
6.15
6.16
6.17
6.18
XI
SSR- und SUS-Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Single-Point Crossover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Multi-Point Crossover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzip der Mutation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Optimum-Suche mittels Genetischer Algorithmen nach [25] . . . . .
Problematik der Randwertbestimmung zur modellbasierten Optimierung am Beispiel eines eindimensionalen Optimierungsproblems . .
Änderung der über alle Zielgrößen gemittelten Approximationsgüte
als Validierungsresultat der modellbasierten Betriebspunktoptimierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Adaption des RBF-Netzes mit wiederholter Betriebspunktoptimierung: Änderung der Approximationsgüten . . . . . . . . . . . . . .
Steuerung des Optimierungszyklus zur wissensbasierten Online-Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wissensbasierte Online-Betriebspunktoptimierung: Zielgrößen . . .
Wissensbasierte Online-Betriebspunktoptimierung:
Motorbetriebspunktgrößen und Verstellparameter . . . . . . . . . .
Zielfunktionsgradient je Iteration und skalarer Zielfunktion (oben).
Zielfunktionsverbesserung nach jedem Optimierungszyklus (unten) .
118
119
119
120
120
7.1 Wissensverarbeitung für die dynamische Motorporzessoptimierung .
7.2 Prinzipskizze: Sequenzielle Ansteuerung der Motorverstellparameter
7.3 Dynamische Vermessung: Testzklus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4 Dynamische Vermessung entlang des Testzyklus (n = 2250 min−1 , ±
30 Nm/s): Motorverstellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.5 Dynamische Vermessung entlang des Testzyklus (n = 2250 min−1 , ±
30 Nm/s): Zielgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6 Idee der Gradientenbildung in ausgewählten Stützstellen am Beispiel vermessener NOx -Zyklusverläufe als Konsequenz veränderter
Verstellparameterkombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7 Spezifikation des Expertensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.8 Automatische Adaption der Wissensbasis unter Berücksichtigung von
Konfliktlösungen am Beispiel einer 2x1-Wissensbasis mit aus Trapezund Dreiecksfunktionen bestehenden Zugehörigkeitfunktionen . . .
7.9 Online-Ergebnis der wissensbasierten Optimierung entlang des dynamischen Testzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
134
135
6.19
6.20
6.21
6.22
6.23
6.24
122
124
124
127
128
129
130
136
137
139
141
143
148
A.1 Gemittelte Determinanten der Kovarianzmatrizen durch Variation
der Zusatzpunkte und der Abstufungen nach Gl. 5.2 für ein TakagiSugeno-System konstanter Ordnung (64 Regeln) . . . . . . . . . . . 151
A.2 Ergebnisse zur Validierung der Wissensbasis: Gegenüberstellung der
Zielgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
XII
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
A.3 Ergebnisse zur Validierung der Wissensbasis: Darstellung der stationären Motorbetriebspunkte und Gegenüberstellung der Motorverstellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
A.4 Eingang des Expertensystems: Zugehörigkeitsfunktion zur Kennzeichnung der Stützstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
A.5 Eingang des Expertensystems: Zugehörigkeitsfunktion zur Angabe
der Konfliktregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
XIII
Tabellenverzeichnis
2.1
Anzahl der stationären Rastervermessungspunkte in Abhängigkeit
von Eingangsdimension (mit und ohne Einbeziehung von Drehzahl
und Last) und Rasterpunktanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Anzahl der Koeffizienten für quadratische und kubische Poylnommodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Statistische Kennzahlen zur Regressionsanalyse . . . . . . . . . . .
2.4 Signifikanztests: t- und F-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1
Kenndaten des Versuchsmotors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1
Einfluss der gewählten Eingangspartitionen auf die Takagi-SugenoOrdnung: Anzahl der Partitionen je Modelleingang, resultierende Regelanzahl und Parameteranzahl für ein 5-dimensionales Eingangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Basis-Versuchsplan für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 1 Abstufung; Eingang u2 : 1 Abstufung . . . . . . . . . . .
Basis-Versuchsplan für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 2 Abstufungen; Eingang u2 : keine Abstufung . . . . . . . .
Optimale Versuchsplanung: Versuchsplan-Konfiguration und Variation der Modellordnung für ein 8-dimensionales Eingangsproblem .
Systemgrenzen des (5x2)-Motorbereichsmodells und Spezifikation der
Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2
5.3
5.4
5.5
6.1 Spezifikation des Optimierungssystems . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Stationäre Motorbetriebspunkte zum Screening der globalen Bereichsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Globale Grenzen des Motorbetriebsbereichs aus den Screening-Versuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.4 Screening-Down für n = 3600 min−1 und mB = 44, 0 mm3 /Hub . .
6.5 Versuchsplanung zur Kennfeldvermessung: Konfiguration des Versuchsplans nach Gl. (5.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.6 Versuchspunktwechsel mit Grenzwertverletzung im stationären Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub . . . .
15
15
28
29
45
61
64
64
68
84
99
100
100
101
102
104
XIV
6.7
6.8
6.9
6.10
6.11
6.12
6.13
6.14
7.1
7.2
7.3
7.4
TABELLENVERZEICHNIS
Modellcharakteristika: Takagi-Sugeno-System, Sugeno-System und
DoE-Polynom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Modellcharakteristika: Radial-Basis-Funktionen-Netz, Generalized Regression Neural Network (GRNN) und Feedforward-Netz . . . . . . 113
Betriebspunktoptimierung: Auswahl der repräsentativen Motorbetriebspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Konfiguration der skalaren Zielfunktion (Wichtungen in %) . . . . . 121
Modellbasierte Optimierung im stationären Motorbetriebspunkt n =
2000min−1 , mB = 20.3mm3 /Hub: Zielgrößen und Zielfunktion, Fahrbarkeit F und Randwertanteil RA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Modellbasierte Optimierung im stationären Motorbetriebspunkt n =
2800min−1 , mB = 32mm3 /Hub: Zielgrößen und Zielfunktion, Fahrbarkeit F und Randwertanteil RA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Wissenbasierte Online-Optimierung (inkl. Modelladaption): Verbesserung der Approximationsgüte bezogen auf das Validierungsergebnis
zur globalen Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Wissenbasierte Online-Optimierung (inkl. Modelladaption): Prozentuale Verbesserung der Optimierungsgüte gegenüber den modellbasierten Offline-Verfahren (Vergleich mittels gewichteter Summe) . . 131
Festlegung der Verstellparameterbereiche zur Vermessung des dynamischen Testzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Auswahl der Stützstellen entlang des dynamischen Testzyklus . . . 139
Veranschaulichung des Beispiels zur automatischen Adaption der Regelbasis anhand eines Tabellenschemas (die Darstellung beschränkt sich
auf die am stärksten repräsentierten Partitionen der Ein- und Ausgänge.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Bewertungsschema: Einstufung der Grenzwertabweichungen ∆y1 und
∆y2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
A.1 Variation der Zusatzpunkte nach Gl. 5.2 für ein Takagi-Sugeno-System
konstanter Ordnung (64 Regeln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
A.2 Variation der Abstufungen nach Gl. 5.2 für ein Takagi-Sugeno-System
konstanter Ordnung (64 Regeln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
A.3 Initialisierung des Genetischen Algorithmus (GA) . . . . . . . . . . 154
1
1 Einleitung und Zielsetzung
Betrachtet man die Zielsetzungen in der Fahrzeug-Motorenentwicklung seit Beginn
des 20. Jahrhunderts, so können zwei grundsätzlich verschiedene Phasen festgestellt
werden. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts, teilweise auch bis in die 60er Jahre,
stand die Leistungssteigerung im Blickpunkt der Motorenentwicklung. Die zweite
Phase beginnt mit den 70er Jahren, in denen - bedingt durch den rasanten Anstieg der Fahrzeuganzahl und den damit verbundenen ökologischen Problemen erste Forderungen nach gesetzlichen Abgasgrenzwerten für Kraftfahrzeuge gestellt
wurden. Seit der Einführung der ersten europäischen Gesetzgebung im Jahr 1970
wurden die Grenzwerte ständig verschärft. Zusätzlich zu den Anforderungen seitens
des Gesetzgebers kommen die Ansprüche der Konsumenten an Wirtschaftlichkeit,
Fahrkomfort und Agilität des Fahrzeugs hinzu. Die seit einigen Jahren stark steigenden Preise für fossile Kraftstoffe und die in der Öffentlichkeit stark diskutierte
CO2 -Problematik forcieren den Wunsch nach höherer Motoreffizienz. Die Entwicklungsziele der zweiten Phase konzentrieren sich somit vor allem auf die Reduktion
der Abgasschadstoffemissionen und die Optimierung der Kraftstoffverbrauchscharakteristik. Aufgrund der wachsenden Anzahl von innovativen Entwicklungen auf
dem Gebiet der Elektronik können neue und komplexere Motorsteuerungen und
-regelungen realisiert werden. Ein Zuwachs an flexiblen Aktoren ermöglicht es zudem, die Potenziale hinsichtlich der gesteckten Optimierungsziele noch besser auszunutzen. Um ein optimales Zusammenspiel der elektronisch gesteuerten Aktoren
zu ermöglichen, ist im Vorfeld ein erheblicher Aufwand an Abstimmungsarbeit erforderlich.
Die Steuerkennfeldapplikation stellt für die Applikations-Ingenieure eine große Herausforderung dar, da die aus legislativen und kundenspezifischen Vorgaben resultierenden Optimierungsziele gleichzeitig mit der Forderung nach Minimierung des Entwicklungsaufwands verknüpft werden. Der erweiterte Anforderungskatalog bedingt
somit die Entwicklung und die Anwendung angepasster Algorithmen und Verfahrensmethoden. Unabdingbare Voraussetzung für eine effiziente Applikation ist daher
die systematische Automatisierung der Entwicklungskette1 . Mit dem Übergang von
der manuellen zur teil- bzw. vollautomatisierten Steuerkennfeldbedatung ändert sich
die Entwicklungsarbeit des Prüfstands- bzw. Applikationsingenieurs grundlegend.
1
Siehe Abschnitt 2.3.2
2
1
EINLEITUNG
Die applikative Aufgabe fokussiert sich auf die Parametrierung, die Bedienung und
die Adaption der Automatisierungs- und Optimierungssysteme, für deren Beherrschung ein entsprechender Erfahrungsschatz erforderlich ist.
Zielsetzung
Zielsetzung dieser Arbeit ist die Entwicklung neuer Methoden zur Automatisierung
und Optimierung des Steuerkennfeld-Applikationsprozesses. Eine wichtige Voraussetzung ist hierbei, dass die den einzelnen Entwicklungsstufen zugeordneten Verfahren modularisiert sowohl für die Grund- als auch für die Feinoptimierung anwendbar
sind. Damit wird ermöglicht, dass bevorzugte unternehmensspezifische Ansätze und
Vorgehensweisen partiell beibehalten und mit den in dieser Arbeit entwickelten Verfahren verknüpft werden können.
Zunächst soll der heutige Technikstand durch die Beschreibung der elektronischen
Fahrzeug-Systeme und der Motorsteuergeräteapplikation verdeutlicht und dokumentiert werden, wobei im Besonderen auf die Entwicklungskette zur Bedatung der
Motorsteuerkennfelder und auf die mathematischen Ansätze zur Formulierung und
zur Umsetzung der Applikationsziele eingegangen werden soll (Kap. 2). Um in dieser Arbeit Konzepte zur vollautomatischen Motorvermessung und Optimierung am
hochdynamischen Motorprüfstand umsetzen zu können, ist eine Neuentwicklung der
Prüfstandssoftware erforderlich. Diese soll an die bestehende Prüfstandsautomatisierung angebunden und als offene, flexible Entwicklungsplattform konzipiert werden (Kap. 3). Die Fuzzy-Inferenz-Methode soll in dieser Arbeit die grundlegende
Technik für die Entwicklung neuer Applikationsverfahren darstellen. Sie soll als wissensbildende Komponente entlang der gesamten Entwicklungskette eingesetzt und
getestet werden. Die in der Praxis weit verbreiteten Künstlichen Neuronalen Netze
sollen zur vergleichenden Modellbildung und zur Durchführung der konventionellen
Offline-Optimierung herangezogen werden. Die theoretische Beleuchtung der Modellsysteme einschließlich der ausgewählten Identifikationsmethoden sollen die Entwicklungsgrundlage bilden und zum besseren Verständnis dieser Arbeit beitragen
(Kap. 4). Die wissensbildenden Entwicklungsmaßnahmen betreffen die Versuchsplanung und -durchführung, die globale Modellbildung, die Erstellung des Expertensystems sowie die Optimierung als finalen Entwicklungsschritt im stationären Bedatungsprozess. Die konzeptionellen Ansätze sollen den einzelnen Entwicklungsstufen zugeordnet werden und die Idee der Fuzzy-basierten Online-Grundoptimierung
unter stationären Gesichtspunkten aufzeigen (Kap. 5). Die Bedatung der Steuerkennfelder soll exemplarisch in ausgewählten Motorbetriebspunkten online am
Motorprüfstand durchgeführt und der konventionellen Offline-Optimierung mittels
Genetischer Algorithmen vergleichend gegenübergestellt werden (Kap. 6). In erweiterten Untersuchungen zum dynamischen Motorbetrieb sollen ein dynamisches
3
Vermessungskonzept und ein dynamischer Optimierungsansatz2 zur Berücksichtigung der Fahrbarkeit entwickelt werden. Die Grundlage soll dabei ein regelbasiertes
Expertensystem bilden, das aus messtechnischen Untersuchungen mittels geeigneter Gütekriterien automatisch abgeleitet und zur Online-Bedatung ausgeführt wird
(Kap. 7). Die Arbeit soll mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
schließen (Kap. 8).
2
Dieser soll der Überschaubarkeit wegen nur für den dynamischen Motorbetrieb dargestellt
werden. Er lässt sich allerdings sehr einfach auf den stationären Fall übertragen.
4
2 Stand der Technik
2.1
Allgemeines
Markt für Automobilelektrik und -elektronik von 2005 bis 2015
Wachstum pro Jahr
250
Weltweit, in Milliarden Euro
225
200
65
5,5 %
175
150
61
7,0 %
125
38
100
75
31
50
19,5
25
35
6,0 %
46
4,9 %
23
Elektrik und Bordnetz
Innenraum
Body (Exterior)
Motor und Antriebsstrang
Chassis
5,9 %
28,5
0
13
2005
Anteil
Elektronik je
Fahrzeug
2015
20 %
≥ 30 %
Abb. 2.1: Marktentwicklung der Autoelektronik (Quelle: Mercer Management Consulting )
Der Anteil an elektronischen Systemen im Fahrzeug ist in den letzten Jahren durch
die fortwährende Weiterentwicklung von Elektronik und Software drastisch angestiegen. Eine Kehrtwende dieses Trends ist nicht in Sicht - im Gegenteil: der prognostizierte Wertezuwachs von 20 Prozent des Kraftfahrzeugwertes im Jahr 2005
auf 30 Prozent im Jahr 2015 macht das große Entwicklungspotenzial deutlich (Abb.
2.1). In allen Entwicklungsfeldern des Fahrzeugs werden durch den Ausbau elektronischer Systeme innovative Errungenschaften vorangetrieben. Neben den starken
2.2. ENTWICKLUNG VON ELEKTRONISCHEN SYSTEMEN IM FAHRZEUG
5
Enwicklungsimpulsen im Bereich der Sicherheits- und Telematik-Technologie erwartet man weiterhin auch hohe jährliche Zuwachsraten im „klassischen“ Entwicklungsfeld Antriebsstrang. Der immer größer werdenden Flexibilität in der Fahrzeugentwicklung steht allerdings eine überproportional steigende Komplexität gegenüber. Daher müssen optimierte Methoden für die Entwicklung von elektronischen
Systemen (inklusive Softwarekomponenten) konzipiert und durch praxistaugliche
Standards und Werkzeuge umgesetzt werden [44]. Im Folgenden wird zunächst auf
den Entwicklungsprozess der elektronischen Systeme im Fahrzeug im Allgemeinen
und anschließend auf die Motorsteuergeräteapplikation als Teilprozess auf unterer
Fahrzeugsystemebene im Besonderen eingegangen.
2.2
Entwicklung von elektronischen Systemen im
Fahrzeug
Die Anforderungen an die Entwicklung elektronischer Systeme im Fahrzeug bezüglich Minimierung von Schadstoffemissionen, Kraftstoffverbrauch, Zuverlässigkeit,
Sicherheit und Komfort sind hoch. Die Anzahl der elektronischen Systeme und
Funktionen im Fahrzeug wird immer größer. Die Zahl der freien Parameter, die
z.B. für das Motorsteuergerät eines modernen Dieselmotors bestimmt werden müssen, liegt schon jetzt im vierstelligen Bereich [26]. Durch die gestiegenen Anforderungen werden die einzelnen Fahrzeugsysteme nicht mehr autonom behandelt,
sondern durch systemübergreifende Funktionalitäten im Netzverbund als Gesamtsystem zusammengefasst. Die Vernetzung der elektronischen Systeme im Fahrzeug
spielt dabei seit dem Einzug der Bussysteme (z.B. CAN1 ) in das Fahrzeug Anfang der 90er Jahre eine übergeordnete Rolle und leistet in Verbindung mit einer
immer leistungsstärkeren Mikroprozessortechnik einen entscheidenden Beitrag zur
gestiegenen Funktionalität. Erst durch die Vernetzung von elektronischen Systemen im Fahrzeug wurden viele übergreifende Funktionen möglich gemacht (wie
z.B. die Antriebsschlupfregelung oder das Adaptive-Control-System). Eine Klassifikation dieser Funktionen, also eine eindeutige Zuordnung der Funktionen zu den
Fahrzeugsystemen gestaltet sich allerdings zunehmend schwieriger. Hinzu kommt,
dass konkurrierende Eingriffe von verschiedenen Steuergeräten in dieselben Systeme
(z.B. Aktuatoren) geeignet gehandhabt werden müssen. Der Entwicklungsaufwand
ist aufgrund dieser Komplexität sehr groß. Zur Beherrschung der Komplexität wird
das System Fahrzeug daher abstrahiert und in mehrere Hierarchieebenen partitioniert. Abb. 2.2 zeigt die vereinfacht dargestellte Unterteilung der elektronischen
Systeme in die Fahrzeugsysteme Antriebsstrang, Fahrwerk, Karosserie und Telematik sowie in deren Komponenten Steuergeräte, Mikrocontroller und Software.
Für den Entwicklungsprozess werden nun definierte Vorgehensweisen, die in dem
weit verbreiteten V-Modell beschrieben werden, vorgesehen, um einen durchgängi1
Controller Area Network
6
2
STAND DER TECHNIK
Elektronische Systeme
Systemebene
Telematik
Karosserie
Fahrwerk
Fahrzeugsysteme
Antriebsstrang
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
SG
Steuergeräte
5
10
15
20
1000
290
324
431
478
2000
321
355
461
489
3000
360
389
480
501
Mikrocontroller
Parameter,
Kennlinien,
Kennfelder
5
10
15
20
1000
290
324
431
478
2000
321
355
461
489
3000
360
389
480
501
Software
Softwaremodule
Softwaremodul 2
Abb. 2.2: Partitionierung elektronischer Systeme im Fahrzeug
gen Prozess zu gewährleisten. Abb. 2.3 verdeutlicht das V-Modell-Prinzip für eingebettete Systeme im Fahrzeug. Die Grundlage bildet die zu Beginn des Prozesses
zu spezifizierende Funktionsarchitektur unter Einbeziehung der entsprechenden Benutzeranforderungen, d.h. die Beschreibung der Funktionalität sowie der Randbedingungen2 des Systems. Danach erfolgt die Analyse der technischen Umsetzbarkeit
und die Spezifikation der technischen Architektur3 . Im Bereich der Softwareentwicklung werden die Anforderungen an die Softwarearchitektur4 analysiert, die Grenzen
des Softwaresystems zur klaren Trennung von der Umgebung abgesteckt und die
Softwarekomponenten und deren Schnittstellen5 definiert. Beim Entwurf und bei
der Umsetzung einer Software-Komponente müssen nichtfunktionale Bedingungen6
sowie allgemeine Implementierungsumstände7 beachtet werden. Im letzten Schritt
der Softwareentwicklung werden alle Softwarekomponenten zu einer im Steuergerät
ausführbaren Datei zusammengebracht und im Integrationstest geprüft.
Neben dem aus Programm- und Datenstand bestehenden Softwarecode müssen zu2
wie z.B. Sicherheits-, Variantenanforderungen
d.h. die Spezifikation von steuerungs- und regelungstechnischen Systemen, Echtzeitsystemen,
vernetzten Systemen
4
Dies kann z.B. die Softwarearchitektur eines Mikrocontrollers im Motorsteuergerät sein.
5
On-Board-Schnittstellen zu Sensoren, Aktuatoren / Off-Board-Schnittstellen zur FlashProgrammierung, Kalibrierung, etc.
6
z.B. Trennung von Programm- und Datenstand zur motorspezifischen Steuergerätebedatung
7
z.B. Rechenungenauigkeit bei Festkomma-Arithmetik, Approximationsfehler durch Diskretisierung
3
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
Analyse der
Beutzeranforderungen
---------------------------------------Spezifikation der
logischen Systemarchitektur
7
Systementwicklung
Akzeptanztest
----------------------------------------Systemtest
Kalibrierung
Analyse der
logischen Systemarchitektur
--------------------------------------------Spezifikation der
technischen Systemarchitektur
Analyse der
Software-Anforderungen
---------------------------------------Spezifikation der
Software-Architektur
Spezifikation der
Softwarekomponenten
Design & Implementierung
der Softwarekomponenten
Integrationstest
Integration der
Systemkomponenten
des Systems
Integration der
Systemkomponenten
Integrationstest der
Software
Integration der
Softwarekomponenten
Test der
Softwarekomponenten
Softwareentwicklung
Abb. 2.3: V-Modell zur Entwicklung elektronischer Systeme nach [44]
sätzlich die für Mess-und Kalibrierwerkzeuge notwendigen Beschreibungsdateien8
sowie ein Dokumentationsstand zur Verfügung gestellt werden. Auf der Ebene der
Systementwicklung werden alle Systemkomponenten (siehe Abb. 2.2) zusammengeführt9 und einem Integrationstest unterzogen. Ein vor allem in der Motorenentwicklung entscheidender Prozessschritt ist die vor dem System-/Akzeptanztest erfolgende Kalibrierung10 der Softwarefunktionen im Steuergerät11 . Hier werden Parameter,
Kennlinien und Kennfelder12 an die gewünschten Betriebszustände adaptiert.
2.3
Motorsteuergeräteapplikation
Die heutigen Motorsteuergeräte umfassen mehr als zehntausend Parameter mit
mehreren hundert Kennlinien und Kennfeldern [57]. Der Umfang der Diagnosefunktionalität nimmt dabei immer mehr zu. Die Aufgabe im Applikationsprozess
8
Sie enthalten die Design-und Spezifikationsinformationen und werden nach dem ASAMMCD2-Standard erzeugt [1]
9
wie z.B. Steuergeräte, Sensoren und Aktuatoren
10
z.B. Motorsteuergeräteapplikation
11
genauer: Mikrocontroller
12
Dies sind z.B. Reglerparameter, Begrenzungskennlinien und Motorkennfelder
8
2
STAND DER TECHNIK
besteht nun darin, die freien Parameter der Steuer- und Regelsysteme - bei unverändert bleibenden Softwarestrukturen im Festwertspeicher des Motorsteuergeräts - zu
bestimmen. Dies wird als Motorsteuergeräteapplikation bezeichnet. Man unterscheidet hierbei zwischen Prüfstands- und Fahrzeugapplikation [38]. In der ersten Phase
wird das Motorsteuergerät nach stationären Kriterien grundbedatet13 . Die Softwareanpassungen werden am Motorprüfstand durchgeführt und legen einen wichtigen
Grundstein für die nachfolgende Fahrzeugapplikation. Der Hauptbestandteil der
ersten Phase ist die Bestimmung der Grundsteuerkennfelder der den Motorprozess
signifikant beeinflussenden Motorparameter, die sich aus Brennverfahren, Einspritzsystem und weiteren Motorkomponenten ableiten14 . Voraussetzung für eine effektive
Bewältigung dieser Aufgabe sind optimierte Methoden zur Wissenserhebung sowie
zur automatischen Kennfeldapplikation. Weiterhin müssen die Parametersätze zu
den Motorregelungen ermittelt und durch Berücksichtigung der unterschiedlichen
Umgebungseinflüsse diversifiziert werden. Dazu gehöhrt z.B. die Unterscheidung
der Reglerauslegung für verschiedene Fahrzeug- und Motorbetriebszustände. In der
zweiten Phase werden Diagnosefunktionen angepasst und die Basiseinstellungen aus
der ersten Applikationsphase in Fahrzeugversuchen (z.B. am Rollenprüfstand oder
bei Erprobungen) bezüglich Kriterien der Fahrbarkeit15 und festgelegter Optimierungsziele nachappliziert. Die Optimierungsziele richten sich hierbei nach Abgasvorschriften, Fahrstrategien und Kundenwünschen16 .
In Abb. 2.4 ist der Funktionsumfang eines Common-Rail-Systems der zweiten Generation mit zusätzlicher Abgasrückführ- und Ladedruckregelung dargestellt. Die Parametrierung der Funktionen erfolgt in unterschiedlichen Testumgebungen. Dies ist
notwendig, um das Motormanagement an die veränderte Charakteristik im Steuerund Regelungsverhalten z.B. unter Extrembedingungen im Winter und im Sommer
anpassen zu können. Gleiches gilt für die Anpassung der Motorsteuergerätefunktionen an diverse Betriebszustände (wie z.B. Gangstufen, Warmlauf, etc.). Allein für
die Adaption des Leerlaufreglers werden - unter Beachtung aller Umgebungseinflüsse - bis zu 50 Parametersätze benötigt [39]. Mit der künftig flächendeckenden Einführung von Dieselpartikelfiltern (DPF) wird der Applikationsaufwand noch weiter
erhöht: zur Regeneration des DPFs müssen geeignete innermotorische Maßnahmen
durch entsprechende Parametervariationen ermittelt und im Motorsteuergerät in
Form von Steuerkennfeldern hinterlegt werden. Dazu gehört u.a. die Verschleppung
der Kraftstoffeinspritzung (Nacheinspritzung), um eine Erhöhung der Abgastemperatur vor dem DPF zwecks Abbrands der eingelagerten Partikel zu erzielen. Gleichzeitig muss aber auch eine Zerstörung des DPFs durch thermische Überbelastung
13
allerdings fließen hier schon Algorihmen zur Berücksichtigung von Fahrbarkeitskriterien ein
Eine detaillierte Ausführung erfolgt in Abschn. 2.4
15
z.B. Motorbetriebspunktübergänge
16
hohe Leistung, niedriger Kraftstoffverbrauch, hoher Komfort
14
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
9
vermieden sowie die Problematik der Ölverdünnung beachtet werden [19],[20].
Der gesamte Applikationsprozess17 wird in mehreren Schleifen durchlaufen, da sich
die einzelnen Phasen gegenseitig beeinflussen und so iterative Korrekturanpassungen notwendig werden. 50 - 70 % der Applikationsumfänge entfallen auf die Fahrzeug- und 30 - 50 % auf die Prüfstandsapplikation [57].
Motorsteuergeräteapplikation
Testumgebung:
Motorprüfstand
Rollenprüfstand
allg. Fahrzeugerprobung
Wintererprobung
Sommererprobung
Höhenerprobung
Motor- und Fahrzeugbetriebszustände
stationär/dynamisch
warmer/kalter Motor
stehendes/fahrendes Fahrzeug
aus-/eingekuppeltes Fahrzeug
Funktionen:
Leerlaufregelung
Zwischendrehzahlregelung
Laufruheregelung
Aktiver Ruckeldämpfer
externer Momenteneingriff
Wegfahrsperre
Mengenregelung und-begrenzung
Fahrgeschwindigkeitsregelung
Fahrgeschwindigkeitsbegrenzung
Zylinderabschaltung
Raildruckregelung
Spritzbeginnsteuerung
Steuerung der Voreinspritzung
Steuerung der Nacheinspritzung
Abgasrückführregelung
Ladedruckregelung ...
Diagnosefunktionen:
Systemdiagnose
Ersatzfunktionen
Motordiagnose
Abb. 2.4: Motorsteuergeräteapplikation: Testumgebung, Betriebszustände und Funktionsumfang (Common-Rail-Motor der 2. Generation)
2.3.1
Steuergerät, Werkzeuge und Standards
Die Anforderungen an das Motorsteuergerät sind hoch. Zur Umsetzung des implementierten Motormanagements muss das Steuergerät jederzeit und in allen Betriebsumgebungen einwandfrei einsatzfähig sein, d.h. es muss extremen Witterungsbedingungen und mechanischen Belastungen standhalten, die umgebenden Motorbetriebsstoffe abweisen sowie die Kriterien zur elektromagnetischen Verträglichkeit
(EMV) einhalten. Die Aufgabe des Motormanagements besteht in der zentralen
Steuerung, Regelung und Überwachung des Motorprozesses in Abhängigkeit von
motor- und fahrzeugrelevanten Signalen (z.B. Fahrerwunsch, Motordrehzahl, Motortemperatur, etc.). Aus den verarbeiteten und in dem Mikrocontroller ausgewerteten Eingangssignalen werden in optimierten Algorithmen die Ausgangssignale zur
17
einschließlich der Hardwareapplikation. Sie wird allerdings nicht der Motorsteugeräteapplikation zugeordnet.
10
2
STAND DER TECHNIK
Ansteuerung der motorspezifischen Aktuatoren berechnet. Abb. 2.5 zeigt den vereinfachten Aufbau eines Steuergerätes. Der Steuerungsprozess kann prinzipiell in
drei Bereiche unterteilt werden:
Steuergerät
Stellglieder
Endstufen
Eingangssignale:
Mikrocontroller
Signalaufbereitung
RAM
digital
ADWandler
analog
pulsförmig
Schnittstelle zu anderen
Systemen
EEPROM
FlashEPROM
Überwachungsmodul
Spannungsversorgung
CAN
Diagnoseschnittstelle
Abb. 2.5: Vereinfachter Aufbau eines Steuergerätes nach [39]
• Signalverarbeitung
Von Sensoren, Steuersignalen und anderen Steuereinheiten werden analoge,
digitale und pulsförmige Signale über den Kabelbaum in das Steuergerät eingelesen. Die Rohsignale müssen für den Mikrocontroller in interpretierbare
digitale Werte umgeformt werden. Analoge Signale werden durch Filterung,
Anpassung des Spannungspegels an den Eingang des Mikrocontrollers sowie
durch Analog-Digital-Wandlung der Software zugänglich gemacht. Die Bearbeitung besonders aufwändiger Signale (wie z.B. das Signal des Induktivgebers an der Kurbelwelle) wird zugunsten einer besseren MikrocontrollerPerformance ausgelagert und durch anwendungsbezogene Bausteine (ASIC Application Specific Integrated Circuit) bearbeitet.
• Signalauswertung
Die Signalauswertung bzw. die Ausführung der Steuer- und Regelalgorithmen erfolgt durch die Software im Mikrocontroller des Steuergerätes. Der
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
11
Mikrocontroller enthält den Mikroprozessor, diverse Festwertspeicher (ROM,
EPROM, EEPROM, Flash-EPROM) für den Software- und Datenstand und
flüchtige Speicher (RAM). Über Ein- und Ausgabeeinheiten - wie parallele
oder serielle Schnittstellen (z.B. CAN) - kann je nach Anwendungsbedarf ein
Datenaustausch mit externen Komponenten oder Mikrocontrollern vorgesehen werden. Durch den Einsatz einer weiteren, redundanten Rechnereinheit,
des Überwachungsmoduls, wird eine parallele Überwachung z.B. der Mikrocontrollerkomponenten und des Programmablaufs ermöglicht, um so den sicherheitskritischen Anforderungen gerecht zu werden.
• Signalausgabe
Mit den Ausgangssignalen des Mikrocontrollers werden die Endstufen des
Motorsteuergeräts betrieben, die mit den motorspezifischen Aktuatoren verbunden sind. Selbstschutzfunktionen verhindern eine Zerstörung der Bauteile durch Kurzschlüsse; Betriebsstörungen werden schaltungstechnisch erkannt und in Fehlerregister zwischengespeichert. Die Fehlerbits werden von
der Rechnereinheit ausgelesen. Im Fehlerfall können damit Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. die Aktivierung von Notlauffunktionen getroffen werden.
Die Steuer-, Regel- und Überwachungsalgorithmen werden im Softwarestand des
Motorsteuergerätes zusammengefasst. Der Softwarestand wird in Programm- und
Datenstand unterteilt, deren Adressbereiche zwecks separater Bearbeitung voneinander getrennt sind. Im Programmstand sind die programmierten Algorithmen, im
Datenstand die für die Applikation notwendigen Datensätze wie Parameter, Kennlinien und Kennfelder enthalten. Der für die Festwertspeicher (z.B. Flash-EPROM)
moderner Motorsteuerungen benötigte Speicherbedarf liegt bei ca. 1 bis 2,5 MByte
[57]. Der Softwarecode wird in eine ausführbare Hex-Datei gewandelt und in den
Festwertspeicher des Steuergerätes bzw. des Mikrocontrollers geflasht. Die für unterschiedliche Entwicklungsphasen benötigten Informationen über die im Steuergerät
abgelegten Kenngrößen, deren Adressierung und Konvertierung können allerdings
der kompilierten und gelinkten Datei nicht entnommen werden. Aus diesem Grund
werden die für die Datenübertragung und die Datenverarbeitung grundlegenden
Design- und Spezifikationsinformationen in einer Beschreibungsdatei dokumentiert.
Die Steuergeräte-Beschreibungsdateien entsprechen dem standardisierten und von
Mess- und Applikationswerkzeugen lesbaren Format ASAM-MCD2 [1].
Die Mess- und Applikationswerkzeuge werden in den verschiedenen Entwicklungsphasen eingesetzt, um auf entsprechende Serien-, Entwicklungs- und Applikationssteuergeräte zugreifen zu können. Sie ermöglichen die Flash-Programmierung des
Steuergerätes und dienen der Durchführung von Mess- und Kalibrieraufgaben. Darüber hinaus können mit Hilfe der Mess- und Kalibrierwerkzeuge die Softwarestände
des Steuergerätes ausgewertet, verwaltet und dokumentiert werden. Die Schnittstellen zwischen Steuergerät und dem Werkzeug müssen hard- und softwaretechnisch
angepasst werden und differieren je nach Anwendungsfall. Im Applikationsprozess
12
2
STAND DER TECHNIK
richten sich die Anforderungen hauptsächlich an das Flashen der Datenstände und
an das Messen und Applizieren motorinterner Größen. Man unterscheidet hierbei
zwischen Offline- und Online-Applikation. Bei der Offline-Applikation ist die Verstellung von Parametern nur offline möglich, d.h., dass die Ausführung des Steuergeräteprogramms unterbrochen werden muss, um durch Flash-Programmierung den
neuen Datenstand vom Kalibrierwerkzeug in den Mikrocontroller zu laden. Bei der
Online-Applikation werden diese Nachteile durch den Einsatz eines von beiden Seiten 18 zugreifbaren Arbeitsspeichers, dem Cal-RAM (Calibration RAM), behoben.
Die Kalibrierparameter werden hierzu vom ROM-oder Flash-Bereich des Mikrocontrollers in den freien Arbeitsspeicher kopiert19 . Die Klassifizierung der unterschiedlichen Schnittstellen zwischen Mikrocontroller und Kalibrier- und Messwerkzeug
richtet sich nach der Art der Datenübertragung20 und der Existenz des freien Arbeitsspeichers (Cal-RAM) im Mikrocontroller [44].
Steuergerät
Microcontroller
ROM/
Flash
RAM
CALRAM
Mailbox
Applikationswerkzeug
CPU
ETKSchnittstelle
ETKSchnittstelle
Abb. 2.6: Parallele ETK Steuergeräteschnittstelle nach [7]
Seriensteuergeräten stehen meist nur serielle Schnittstellen21 und ein kleiner freier
Arbeitsspeicherbereich im Mikrocontroller zur Verfügung, dessen Speicherkapazität
in der Regel nur wenige Kilobytes beträgt[57]. Somit schränkt sich die Applikation
der Parameter auf einen kleinen Teil des kompletten Datenstands im Steuergerät
ein. Bei Applikationssteuergeräten mit einer parallelen Schnittstelle wird eine hohe
Übertragungsleistung erzielt und die Performance des Mikrocontrollers bleibt durch
den unabhängigen Cal-RAM-Zugriff nahezu unverändert. Applikationssteuergäte
erfordern daher umfangreiche Eingriffe in die Steuergeräte-Hardware. Abb. 2.6 zeigt
den schematischen Aufbau einer externen Werkzeugschnittstelle (ETK - Emulatortastkopf) mit paralleler Datenübertragung für den Einsatz im Applikationssteu18
d.h. mikrocontroller- und werkzeugseitig
Der Datenstand im ROM- oder Flash-Bereich wird als Referenzseite und der Datenstand im
Cal-RAM als Arbeitsseite bezeichnet.
20
seriell oder parallel
21
wie z. B. Keyword Protocol 2000 basierend auf der K-Leitung oder CAN
19
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
13
ergerät. Der Datenaustausch zwischen Mikrocontroller und Kalibrierwerkzeug erfolgt bei Messungen und echtzeitnahen Anforderungen über einen Zwischenspeicher
(Mailbox), in dem die Daten zwecks Synchronisation vom Steuergeräteprogramm
getriggert werden [7].
Die standardisierten Schnittstellen und Datenaustauschformate, deren Anwendung
zu einem effizienten Entwicklungsprozess beiträgt, werden durch das MCD-System
22
beschrieben. MCD-Systeme besitzen drei Funktionsgruppen, die als eigenständige
Teilsysteme zum Einsatz kommen und je nach Anwendungserfordernis kombiniert
werden können. Abb. 2.7 zeigt einen Überblick über die MCD-Systemarchitektur
mit den Komponenten ASAM-MCD 1b, ASAM-MCD 2 und ASAM-MCD 3. Die
Anwendung
(z.B. Automatisierungssystem)
M
C
D
Messen
Kalibrieren
Diagnose
ASAM MCD 3
ASAMMCD 2
Datenbasis
Schnittstelle
Schnittstelle
ASAM MCD 1b
SG 1
SG 2
Abb. 2.7: Funktionsgruppen und Schnittstellen von MCD-Systemen
Systemarchitektur dient zur optimierten Handhabung von Steuergeräten und ermöglicht über die Anwenderschnittstelle (ASAM-MCD 3) die Anbindung des MCDSystems an komplexe Automatisierungssysteme [2]. Damit ist eine automatisierte Bedienung des MCD-Systems am (Motor-)Prüfstand über die Remotesteuerung
durchführbar. Die Zugriffe der Anwendung auf das Steuergerät werden über das
MCD-System gesteuert und sind aus diesem Grund vom Steuergerät entkoppelt.
Die benötigten Steuergeräte-Informationen werden über die herstellerunabhängigen Steuergerätebeschreibungsdateien bereitgestellt (ASAM-MCD 2). Für die phy22
MCD - Measurement, Calibration and Diagnosis
14
2
STAND DER TECHNIK
sikalische und logische Anbindung von Steuergeräten an das MCD-System werden
standardisierte Treiber eingesetzt. Im Bereich Diagnose kommen allerdings nur genormte Schnittstellen wie Keyword Protocol 2000 (ISO 14230) oder Diagnostic on
CAN (ISO 15765) zum Einsatz, da keine von ASAM standardisierten Schnittstellen
zu den Bussystemen zur Verfügung stehen.
2.3.2
Prozesskette zur Applikation von Motorsteuerkennfeldern
Die Applikation von Motorsteuerkennfeldern stellt in der Motorenentwicklung eine große Herausforderung dar. Sie dienen der Ausführung von Grundfunktionen
im Steuergerät und tragen somit signifikant zum Motorprozessverhalten bei. Zur
Einhaltung definierter Zielvorgaben müssen die freien Parameter in geeigneter Weise ermittelt werden. Die Prozesskette zur Applikation von Motorsteuerkennfeldern
setzt sich aus folgenden, grundsätzlichen Entwicklungsphasen zusammen:
1. Definition der Optimierungsziele,
Spezifikation des Optimierungssystems
2. Versuchsplanung
3. Versuchsdurchführung
4. Modellbildung
5. Optimierung
6. Kennfeldglättung
In den letzten Jahren haben sich die Methoden innerhalb der Entwicklungsphasen grundlegend verändert. Neue Technologien im Diesel- und Ottomotorenbereich
führten in Verbindung mit der Forderung nach Effizienzsteigerung zu einer Optimierungskomplexität, die sich mit dem klassischen Applikationsverfahren nicht mehr
vereinbaren ließ. Ziel war es, der steigenden Komplexität durch rechnergestüzte
Methoden und Anwendungen zu begegnen. Ausgangspunkt hierfür war die an die
Spezifikation von Optimierungszielen und -system anknüpfende Entwicklungsphase
zur Versuchsplanung. Das bei der Motorvermessung früher standardmäßig eingesetzte Rasterverfahren war nicht mehr zielführend anwendbar. Tabelle 2.1 veranschaulicht die Problematik des Verfahrens anhand der exponentiellen Abhängigkeit
des Versuchsumfangs von Dimensionalität23 (mit und ohne direkte Einbeziehung
von Motordrehzahl und Last) und gewähltem Raster des Motorraumes.
23
d.h. Anzahl der den Motorprozess signifikant beeinflussenden Motorsteuerkennfelder
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
15
Dimensionalität Rd
(mit Einbeziehung von Drehzahl und Last)
2 Rasterpunkte
3 Rasterpunkte
4 Rasterpunkte
5 Rasterpunkte
Dimensionalität Rd−2
(bezogen auf (3 x 3)-Motorkennfeld)
2
3
4
5
Rasterpunkte
Rasterpunkte
Rasterpunkte
Rasterpunkte
4
5
6
8
10
16
32
64
256
1024
81 243
729
6561
59049
256 1024 4096 65536 1048576
625 3125 15625 390625 9765625
2
3
36
72
81 243
144 576
225 1125
4
144
729
2304
5625
6
8
576
2304
6561
59049
36864 589824
140625 3515625
Tab. 2.1: Anzahl der stationären Rastervermessungspunkte in Abhängigkeit von Eingangsdimension (mit und ohne Einbeziehung von Drehzahl und Last) und Rasterpunktanzahl
Durch die Fokussierung auf analytisch getriebene Applikationsmethoden hat die
Statistische Versuchsplanung (DoE) vor einigen Jahren Einzug in die Motorenentwicklung gehalten. Das modellgestützte Verfahren hat sich als sehr wertvoll erwiesen, um den hohen und nicht mehr vertretbaren Versuchsaufwand drastisch zu
reduzieren und gleichzeitig die Informationsgewinnung für die Modellschätzung zu
optimieren. Die Versuchsplanung sieht diejenigen Messpunkte im Motorraum Rd
vor, die man für die optimale Bestimmung der durch die gewählte Modellstruktur
vorgegebenen Modellkoeffizienten benötigt. Tabelle 2.2 verdeutlicht die aufwandsDimensionalität Rd
(mit Einbeziehung von Drehzahl und Last)
Quadratisches Polynommodell
Kubisches Polynommodell
4 5 6
8
10
15 21 28 45 66
35 56 84 165 286
Tab. 2.2: Anzahl der Koeffizienten für quadratische und kubische Poylnommodelle
bezogenen Vorteile der Statistischen Versuchsplanung gegenüber dem kombinatorischen Rasterverfahren am Beispiel der in der Praxis häufig zum Einsatz kommenden
quadratischen und kubischen Polynommodelle mit Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen den Eingangsparametern. Die Anzahl der Modellkoeffizienten
ist gleichbedeutend mit der für die Parameterschätzung minimal benötigen Anzahl
an Messdatenpunkten.
Die Anwendung der statistisch optimierten Versuchspläne geht allerdings mit der
Problematik der praktischen Umsetzung einher, da der d-dimensionale Versuchsraum Rd aufgrund mangelnden Vorwissens nicht ausreichend vorausgesagt werden
kann. Die Versuchsraumgrenzen müssen aber möglichst genau approximiert wer-
16
2
STAND DER TECHNIK
den, da sie in die Berechnung der Versuchspläne eingehen24 . Desweiteren besteht
die Gefahr, dass durch zu scharfe Restriktionen des Versuchsraums potenzielle Optimumkandidaten unberücksichtigt bleiben. Eine manuell durch den Prüfstandsfahrer durchgeführte Eingrenzung des fahrbaren Motorraumes ist sehr zeitaufwändig
und setzt großes Expertenwissen voraus, um kritische Motorbetriebseinstellungen
zu überprüfen. Der Versuch, den gültigen Bereich abzudecken und den Versuchsplan abzufahren, erstreckt sich meist über mehrere Iterationsschleifen, da sich die
Randbedingungen teilweise erst in der Vermessungsphase erschließen und so Korrekturen des Versuchsplans nach sich ziehen. Die Versuchsdurchführung ist somit
eng an die Versuchsplanung geknüpft. Für die statistische Versuchsmethodik werden daher vermehrt automatische Vermessungsstrategien eingesetzt, um durch eine
rechnergestützte Automatisierung eine durchgängige Prozesskette zu sichern und
iterative Entwicklungsschritte zu vermeiden bzw. einzuschränken. Ausgehend von
stabilen Startpunkten, die in der Startphase bestimmt werden, erfolgt in der Screeningphase die automatische Ermittlung der Randbedingungen zur Eingrenzung des
Versuchsraums. In der darauf folgenden Anpassungsphase wird der Versuchsplan
gemäß einem festgelegten Optimalitätskriterium modifiziert und anschließend abgefahren. Eine detaillierte Beschreibung zum heutigen Stand von automatischen
Vermessungsstrategien erfolgt in Unterabschnitt 2.5.2.
In der nächsten Entwicklungsphase der Prozesskette wird die Modellbildung durchgeführt, wobei zwischen lokalen und globalen Modellen unterschieden wird. Betriebspunktmodelle bilden die motortechnischen Zusammenhänge in einem stationären
Motorbetriebspunkt ab, ohne dass Motordrehzahl und Last in die Modellierung
der Zielgrößen (be , N Ox , etc.) eingehen. Sie gehen aus der lokalen Versuchsplanung hervor, in der nur die Einstellungen der signifikanten Verstellparameter optimiert geplant werden. Der Vorteil ist, dass durch die reduzierte Dimensionalität eine vereinfachte Modellstruktur25 gewählt werden kann. Zudem zeichnen sich
Betriebspunktmodelle durch ihren hohen Informationsgehalt aus. Zweistufige Modelle, die sich aus Betriebspunktmodellen zusammensetzen, eignen sich allerdings
aufgrund der schlechten Interpolationseigenschaften nur bedingt zur Modellierung
des gesamten Motorkennfeldbereichs, zumal der versuchstechnische Aufwand gegenüber globalen (einstufigen) Modellen vergleichsweise hoch ist. Diese erstrecken
sich über den gesamten Kennfeldbereich oder werden für Teilgebiete im Motorraum
verwendet und sehen Motordrehzahl und Last als zusätzliche Modelleingänge vor.
Die Auswahl des Modelltyps hängt vom Anwendungsfall ab. Den Ausgangspunkt
der Modellbildung bildet die Auswertung der durchgeführten Motorversuche, bei
der Ausreißer detektiert und von der Modellbildung ausgeschlossen werden müssen. Das Monitoring wird in der Praxis üblicherweise offline ausgeführt und durch
grafische Hilfsmittel unterstützt. Die Güte eines Regressionsmodells wird anhand
24
Durch nichtfahrbare Versuchsraumgrenzen wird die Schätzgüte der Parameteridentifikation
beeinträchtigt.
25
z.B. ein quadratisches Polynommodell
2.3. MOTORSTEUERGERÄTEAPPLIKATION
17
definierter Gütemaße (Bestimmtheitsmaß R2 , Root Mean Square Error RM SE,
etc.) bewertet. Validierungsmessungen stellen hierbei sicher, dass das Regressionsmodell in seiner allgemeingültigen Aussagekraft bestätigt und die Gefahr der Überanpassung26 somit minimiert wird. Neben Polynommodellen werden häufig auch
Künstliche Neuronale Netze zur Abbildung der motortechnischen Zusammenhänge
auf Grundlage der statistischen Versuchsplanung erstellt und zur modellbasierten
Motorprozessoptimierung herangezogen. Künstliche Neuronale Netze können aufgrund ihrer Modellstruktur lokale Ausprägungen im Motorkennfeldbereich meist
besser darstellen. Dies erfordert allerdings im Gegenzug auch einen erhöhten Messaufwand (ca. 30 % nach [41]).
Die Optimierung des motorischen Gesamtprozesses wird im Anschluss an Messdatenauswertung, Modellbildung und Modellvalidierung durchgeführt. Die klassische Vorgehensweise, Motorsteuerkennfelder online am Motorprüfstand manuell zu
applizieren, wurde weitestgehend durch die modellbasierte Offline-Applikation ersetzt. Als numerische Optimierungsverfahren haben sich die Genetischen Algorithmen (GA)27 und die Sequentielle Quadratische Programmierung (SQP)28 durchgesetzt. Die prinzipielle Funktionsweise der Genetischen Algorithmen wird in Abschn.
6.3.1 im Rahmen der modellbasierten Offline-Optimierung erläutert. Die modellbasierten Optimierungsergebnisse müssen am Motorprüfstand durch Vermessung der
optimierten Parametereinstellungen nachgeprüft werden. Dies ist erforderlich, da
die Modelle insbesondere in Randgebieten und in den von der Versuchsplanung
nicht berücksichtigten Motorteilräumen mit Qualitätseinbußen behaftet sind. Hinzu kommt, dass die Motoreinstellungen bezüglich der Erfüllung der Fahrbarkeitskriterien 29 untersucht werden müssen. Zusätzliche Vermessungen von Teilräumen,
Modellkorrekturen, manuelle sowie rechnergestützte Nachjustierungen der Parametereinstellungen sind die Folge. Im letzten Schritt müssen die stationären Motorkennfelder für den dynamischen Motorbetrieb angepasst bzw. geglättet werden. Es
muss sichergestellt werden, dass bei den Motorbetriebspunktübergängen die geforderten Verstellparametergradienten im realen Fahrbetrieb umsetzbar sind. Die relevanten Motorkennfelder dürfen somit keine zu großen Sprünge aufweisen, sondern
müssen über den gesamten Motorbetriebsbereich stetig aufgespannt sein. Abb. 2.8
zeigt die schematische Prozesskette für eine modellbasierte Offline-Optimierung mit
Berücksichtigung der in der Praxis zyklisch auftretenden Optimierungsphasen. Die
Modellbildung erfolgt hier auf Grundlage der statistischen Versuchsplanung unter
Anwendung des Online-Screenings.
Im Online-Optimierungsprozess werden die berechneten Parametereinstellungen direkt am laufenden Motor getestet. Eine hohe Iterationszahl an Optimierungsdurchläufen ist daher zu vermeiden. Die genannten klassischen Optimierungsverfahren
26
engl.: Overfitting
heuristisches Suchverfahren
28
gradientenbasiertes Optimierungsverfahren
29
hier: fahrbare Parametereinstellungen, keine Grenzwertverletzungen
27
18
2
Offline
(am Rechner)
STAND DER TECHNIK
Online
(am Motorprüfstand)
Startpunktphase
Screeningphase
Versuchsplanung
Vermessung
des Versuchsplans
Auswertung
Modellbildung
Optimierung
Kennfeldglättung
Verifizierung der
Optimierungsergebnisse,
Prüfen der Fahrbarkeitskriterien
Manuelle Applikation
Abb. 2.8: Prozesskette einer modellbasierten Offline-Optimierung auf Grundlage der
statistischen Versuchsplanung mit Online-Screening
lassen sich aus diesem Grund nicht effizient einsetzen. Bisher konnte keine neue
Online-Optimierungsmethodik, die den Nachteil der klassischen Verfahren behebt,
entwickelt und am Motorprüfstand eingesetzt werden.
2.4. OPTIMIERUNGSZIELE UND ZIELFUNKTIONEN
2.4
2.4.1
19
Optimierungsziele und Zielfunktionen
Multikriterielles Optimierungsproblem
Die Optimierungsziele haben sich in den letzten Jahren nicht geändert. Der spezifische Kraftstoffverbrauch, die Stickoxidemission und die Partikelemission sind unter
verschärften legislativen Vorgaben weiterhin die dominanten Zielgrößen im dieselmotorischen Optimierungprozesses. Weitere Optimierungsgrößen sind die den legislativen Limitierungen ebenfalls unterliegenden Schadstoffkomponenten CO und HC
sowie die klimaschädliche Abgaskomponente CO2 . Komfortrelevante Zielgrößen wie
die Geräuschemission und die Kriterien der Fahrbarkeit finden ebenso starke Berücksichtigung wie physikalische Limitierungen, die dem Motorschutz dienen (z.B.
Begrenzung von Abgastemperatur und Zylinderspitzendruck) und bereits bei der
Versuchsplanung und -durchführung entsprechend beachtet werden müssen. Das für
den Verbrennungsmotor typische Optimierungsproblem lässt sich in die allgemeine
mathematische Form überführen [33], [51]:
min
x ∈
d
F(x)
Gi (x) ≤ 0 i = 1, . . . , le
Gi (x) = 0 i = le + 1, . . . , l
xu ≤ x ≤ xo
(2.1)
Der Zielfunktionsvektor F(x) wird durch die Zielgrößen f1 (x), . . . , fm (x) repräsentiert, die vom d-dimensionalen Entscheidungsvariablenvektor x = (x1 , . . . , xd ) des
Entscheidungsraums Ω ⊆ d abhängen. Das Ziel ist es, für alle m-dimensionalen
Zielgrößen eine eindeutige und optimale Lösung im Lösungsraum Λ ⊆ m zu finden,
welcher durch die in den Gleichheits- und Ungleicheitsbedingungen formulierten Restriktionen Gi (x) eingeschränkt wird. Man unterscheidet zwischen komplementären,
indifferenten (oder neutralen) und konkurrierenden Zielen. Komplementäre und indifferente Ziele werden zu einem monokriteriellen Optimierungsproblem 30 reduziert,
da sich die Ziele in gleicher Weise bzw. getrennt voneinander optimieren lassen [22].
Das Optimierungsproblem des Verbrennungsmotors ist multikriteriell, d.h., dass
gleichzeitig mehrere, miteinander konkurrierende Zielgrößen optimiert werden müssen31 .
Abb. 2.9 illustriert beispielhaft ein multikriterielles Optimierungsproblem (MOP),
das durch einen dreidimensionalen Eingangsraum (Entscheidungsraum) mit einem
zulässigen Entscheidungsvektor X = (X1 , X2 , X3 ) und einen zweidimensionalen
30
31
engl.: Single Objective Optimization
engl.: Multi Objective Optimization
20
2
STAND DER TECHNIK
Lösungsraum Λ ⊆ 2 mit dem dazu gehörigen Ergebnisvektor Y = (Y1 , Y2 , Y3 )
gekennzeichnet ist. Der Zielfunktionsvektor F(x) = (f1 (x), f2 (x)) wird durch die
beiden zu minimierenden Zielgrößen beschrieben. Im allgemeinen lässt sich keine
Entscheidungsraum
Ω
Lösungsraum
Λ
f2(x)
X3
Y3
x3
X1
Y1
X2
x2
x1
Y2
f1(x)
Pareto-Front
Abb. 2.9: Multikriterielles Optimierungsproblem
eindeutig beste Lösung ermitteln, sondern nur eine Menge von bestmöglichen Lösungen des Optimierungsproblems. Als Lösungsgrundlage dient hier das Prinzip der
Pareto-Optimierung 32 . Im Folgenden werden die Definitionen der Pareto-Strategie
nach [28] und [32] für ein multikriterielles Optimierungsproblem entsprechend Gl.
(2.1) herangezogen.
Definition 2.4.1 (Pareto-Dominanz) Ein Vektor (u1 , . . . , um ) dominiert einen
Vektor (v1 , . . . , vm ) (kurz: u v) genau dann, wenn gilt:
∀i ∈ {1, . . . , m} : ui ≤ vi und ∃i ∈ {1, . . . , m} : ui > vi
Ein Vektor (u1 , . . . , um ) dominiert einen Vektor (v1 , . . . , vm ) (kurz: u
dann schwach, wenn gilt:
∀i ∈ {1, . . . , m} : ui ≤ vi
v) genau
Definition 2.4.2 (Pareto-Optimalität) Eine zulässige Lösung x heißt effizient
ˆ
oder pareto-optimal, wenn es kein x gibt, so dass der Vektor v = F (x) =
(f1 (x), . . . , fn (x)) den Vektor u = F(ˆ) = (f1 (ˆ), . . . , fn (ˆ)) dominiert.
x
x
x
Definition 2.4.3 (Menge pareto-optimaler Lösungen) Für ein multikriterielles Optimierungsproblem F (x) ist die Menge der pareto-optimalen Lösungen defiˆ
x
niert als: P ∗ := {x ∈ Ω | ¬ ∃ x ∈ Ω : F(ˆ) F(x)}
32
nach Vilfredo Pareto (1848-1923)
2.4. OPTIMIERUNGSZIELE UND ZIELFUNKTIONEN
21
Definition 2.4.4 (Pareto-Front) Für ein multikriterielles Optimierungsproblem
∗
F(x) und die dazu gehörige pareto-optimale Menge P ∗ ist die Pareto-Front PF ront
∗
definiert als: PF ront := {u = F(x) = (f1 (x), . . . , fn (x)) | x ∈ P ∗ }
2.4.2
Skalarisierungsverfahren
Für die Bewältigung des multikriteriellen Optimierungsproblems werden Lösungsansätze benötigt, die eine geeignete Formulierung bzw. Skalierung des Problems
vornehmen. Im Folgenden werden die wichtigsten Skalarisierungsverfahren vorgestellt, die in [10], [33] und [40] zu finden sind. Ausgangspunkt ist das in Gl. (2.1)
beschriebene multikriterielle Optimierungsproblem.
A. Gewichtete Summe
Die Idee der gewichteten Summe ist, das vektorielle Problem in ein skalares
Ersatzproblem umzuwandeln. Das parametrische Problem (PP) ist gegeben
durch:
m
min
x ∈
m
i=1
wobei wi ≥ 0 und
wi fi (x)
d
(2.2)
i=1
wi = 1 sind (Konvexkombination). Sei
m
∗
∗
m
wi zi∗ = inf wi zi }
F (w) := {z ∈ F :
z∈F
i=1
die Menge aller Vektoren, die für gegebene Gewichte wi die gewichtete Summe
minimieren (wobei w ∈ int(Cm )),
F ∗ (w)
S(F ) :=
w∈int(Cm )
dann ist jede Lösung des parametrischen Problems effizient
S(F ) ⊆ F ∗ .
B. Referenzpunktmethode
Bei der Referenzpunktmethode wird ein Abstandsmaß eingeführt, das den
Abstand der Zielfunktionen von einem Referenzpunkt bemisst
1
r
m
min
x ∈
zi0 − fi (x)
d
i=1
r
mit
1 ≤ r < ∞,
(2.3)
22
2
STAND DER TECHNIK
wobei der Referenzpunkt z0 als Zielvektor definiert wird
zi0 := inf{zi : z ∈ Y }.
D.h., dass das Minimum aller Zielfunktionen bestimmt wird. Die Idee ist es
nun, eine Lösung zu finden, die so nahe wie möglich am Referenzpunkt liegt.
Der Referenzpunkt wird auch als Idealpunkt bezeichnet, da er bei konkurrierenden Zielen nicht erreicht werden kann. Jede optimale Lösung des skalaren
Ersatzproblems ist pareto-optimal. Die durch den Parameter r konfigurierbare Abstandsnorm hat dabei einen großen Einfluss auf die Ermittlung der
optimalen Lösung. Abb. 2.10 veranschaulicht das Kompromissproblem für drei
unterschiedliche Abstandsnormen. Die in der Literatur am häufigsten genannten Abstandsnormen sind:
m
min
x ∈
| zi0 − fi (x) |
d
mit
x ∈
zi0 − fi (x)
d
2
r = 2,
mit
r = ∞,
(2.4)
i=1
min max {zi − fi (x)}
x ∈
mit
1
2
m
min
r = 1,
i=1
d
i
f2(x)
Y
z0
f1(x)
Abb. 2.10: Referenzpunktmethode mit verschiedenen Abstandsnormen
2.4. OPTIMIERUNGSZIELE UND ZIELFUNKTIONEN
23
C. Goal-Attainment-Verfahren
Beim Goal-Attainment-Verfahren werden die in Gl. (2.1) aufgestellten Restriktionen in Zielfunktionen umformuliert, um eine Minimierung im Sinne
des in Gl. (2.5) beschriebenen Ersatzproblems durchzuführen. Ziel ist es, sich
an die Zielwerte zi0 anzunähern, die beispielsweise durch den Idealpunkt vorgegeben werden können.
min λ : fi (x) − wi λ ≤ zi0
(2.5)
(wobei wi die zu wählenden Wichtungsfaktoren zu den Zielfunktionen fi (x)
sind)
Durch systematisches Variieren der Wichtungsfaktoren können alle Lösungen
im konvexen Zielbereich bestimmt werden. Im nicht-konvexen Lösungsraum
ist dies nicht mehr möglich. Eine Lösungsmenge M des Vektorraums m heißt
konvex, wenn für zwei beliebige Punkte y1 , y2 ∈ M auch die Verbindungsstrecke dieser Punkte in M liegt. d.h.
(1 − h) y1 + h y2 ∈ M
(2.6)
für alle h ∈ [ 0, 1 ] und y1 , y2 ∈ M
Des Weiteren können auch Lösungen gefunden werden, die nicht pareto-optimal
sind. Diese müssen erkannt und bei der Lösungsfindung entsprechend ignoriert werden.
D. -Constraint-, Hybrid- und Elastic- -Constraint-Methode
Die -Constraint-Methode liefert auch für nichtkonvexe Mengen zufrieden stellende Lösungen. Die Idee basiert auf der Minimierung einer einzelnen Zielfunktion fk (x), während alle anderen Zielfunktionen fi (x) zu Restriktionen
überführt werden. Die Restriktionen bedingen obere Schranken i , die durch
fi (x) nicht überschritten werden dürfen.
min fk (x)
x∈Ω
unter
∀i = k : fi ≤
i
(2.7)
Die typische Vorgehensweise sieht eine systematische Variation der Grenzwerte i für die zu Nebenbedingungen umformulierten Zielfunktionen fi (x) vor.
Abb. 2.11 zeigt den Lösungsansatz einer beispielhaften multikriteriellen Optimierung nach der -Constraint-Methode für zwei obere Schranken 1,a und
1,b zur Begrenzung von f1 (x). Die zu minimierende Zielfunktion ist f2 (x). Die
24
2
STAND DER TECHNIK
f2(x)
Y
ya
yb
ε1,a
f1(x)
ε1,b
Abb. 2.11: -constraint-Methode
Hybrid-Methode kombiniert die gewichtete Summe nach Gl. (2.2) und die Constraint-Methode. Der Vorteil hierbei ist, dass effiziente Lösungen gefunden
werden, die mit der Methode der gewichteten Summe alleine nicht bestimmt
werden können. Nachteilig wirkt sich aus, dass zuerst geeignete obere Schranken ermittelt werden müssen. Es gilt:
m
min
x ∈
wobei wi ≥ 0 und
wi fi (x)
d
unter
∀i : fi ≤ i ,
(2.8)
i=1
m
i=1
wi = 1 sind.
Bei der Elastic- -Constraint-Methode, die ähnlich zur -Constraint-Methode
ist, dürfen Restriktionen verletzt werden. Die Höhe der Grenzwertverletzung
schlägt sich in Straftermen des skalaren Ersatzproblems nieder. Der Wert si
gibt die zulässige Grenzwertverletzung an und µi den Faktor der Bestrafung.
min fk (x) +
x∈Ω
µi s i
unter
∀i = k : fi (x) − si ≤
i
(2.9)
i=k
wobei µi ≥ 0 und si ≥ 0 sind.
E. Lexikografische Methode
Die lexikografische Methode bearbeitet m monokriterielle Ersatzprobleme, die
zunehmend mit Restriktionen angereichert werden [40], d.h., dass das Lösen
des Ersatzproblems sequentiell erfolgt, indem eine Zielfunktion fi (x) nach der
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
25
anderen fi+1 (x) minimiert wird unter Ausnutzung der optimalen Zielfunktionswerte von fk (x) für k < i als Nebenbedingungen.
(1)
∗
f1 := min {f1 (x)}
(2)
∗
f2
.
.
.
(m)
.
.
.
∗
fm := min {fm (x) : ∀i < m : fi (x) = fi∗ }
x∈Ω
∗
:= min {f2 (x) : f1 (x) = f1 }
x∈Ω
(2.10)
x∈Ω
Die Problematik der lexikografischen Methode besteht darin, dass eine Reihenfolge der Ziele vorgegeben werden muss. Wenn a-priori keine feste Priorität
bestimmt werden kann, ziehen die beliebig gewählten Reihenfolgen verschiedene Lösungen nach sich. Eine optimale Lösung ist damit nicht gewährleistet.
Die gezeigten Skalarisierungsverfahren sind geeignete Methoden, um multikriterielle Optimierungsprobleme zu bearbeiten. Die Auswahl des Skalarisierungsverfahrens
erfolgt anwendungsspezifisch. Der Nachteil dieser Verfahren ist, dass a-priori eine
Auswahl von Wichtungsfaktoren, Grenzwerten etc. getroffen werden muss. Umfangreiche Voruntersuchungen sind daher notwendig, um die optimale Konfiguration der
Zielfunktion, die einen entscheidenden Einfluss auf den Optimierungsverlauf hat,
festzulegen.
2.5
2.5.1
Methoden und Automatisierungsgrad im Applikationsprozess
Statistische Versuchsplanung
Die statistische Versuchsplanung sieht eine Optimierung des Versuchsplans für ein
zugrunde liegendes Systemmodell (Regressionsmodell) vor. Polynomiale Regressionsmodelle kommen in diesem Zusammenhang am häufigsten zum Einsatz, da sich
die Versuchspläne nach effizienten Optimalitätskriterien auslegen lassen. Im Folgenden werden das polynomiale Regressionsmodell als statistisches Modell für EinflussWirkung-Beziehungen mathematisch beschrieben und die Methode der kleinsten
Fehlerquadrate zur Modellidentifikation sowie die in der Motorenentwicklung bevorzugt eingesetzten RSM-Design-Klassen33 vorgestellt. Eine ausführliche Beschreibung zur statistischen Versuchsplanung ist in [29], [41] und [45] zu finden.
33
RSM = Response Surface Method
26
2
STAND DER TECHNIK
Regressionsanalyse
Das Regressionspolynom beschreibt den durch den Koeffizientenvektor a quantifizierten Zusammenhang zwischen den Einflussgrößen x (Regressoren) und den
Zielgrößen (Regressanden) y. Gl. (2.11) und Gl. (2.12) zeigen die Darstellung des
mehrdimensionalen Polynommodells in Matrizenform, bei der sich der funktionale
Zusammenhang mit der Störgröße ξ überlagert. Diese Störgröße wird als Zufallsvariable der Grundgesamtheit aufgefasst und kann (messtechnisch) nicht erfasst
werden.
y = X · a + ξ.
(2.11)
1 x11 . . . xq
ξ0
y1
a0
1p
. .
.
. · . + .
..
.
. . .
. = .
.
.
.
.
.
.
.
q
1 xm1 . . . xmp
ym
ap
ξm
(2.12)
oder
mit
• m: Anzahl der Beobachtungen bzw. Messungen
• q: Modellordnung
• p: Anzahl der Modellterme ohne Konstante a0
• y: Mess- bzw. Zielgrößenvektor
• X: Regressions- oder Eingangsgrößenmatrix
• a: Koeffizientenvektor
Für die multivariate Regression werden die Fehlerterme ξ als unabhängig und normalverteilt N (0, σ) angenommen. Es gilt ferner:
1. E (ξi ) = 0 für alle i = 1, . . . , m
• d.h., dass der Erwartungswert für die Fehlerterme gleich Null ist.
2. var (ξi ) = σ 2 für alle i = 1, . . . , m
• d.h., dass die Varianzen der Fehlerterme konstant bzw. nicht signifikant
unterschiedlich sind34 .
34
d.h. es liegt Homoskedastizität vor
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
27
3. cov (ξi , ξj ) = 0 für alle i = j
• d.h., dass die Fehlerterme je zweier Beobachtungen unkorreliert sind.
Damit wird der Erwartungswert des Zielgrößenvektors E (y) = X · a und die
2
Varianz/-Kovarianzmatrix cov (y) = σy · I35 . Die Modellbildung wird mittels der
Methode der kleinsten Quadrate36 durchgeführt. Sie stellt die Standardmethode
zur Anpassung der Modellkoeffizienten dar. Ausgangspunkt der Modellschätzung
ist das Gütekriterium nach Gl. (2.13), das aus dem Quadrat der Residuen 37 gebildet und gemäß Gl. (2.14) minimiert wird.
Q = eT e
= (y − Xa)T (y − Xa)
= yT y − yT Xa − aT XT y + aT XT Xa
(2.13)
= yT y − 2aT XT y + aT XT Xa
m
e2
i
min
a∈
(2.14)
i=1
Die notwendige Bedingung führt zu der in Gl. (2.15) aufgestellten notwendigen
Bedingung, die nach dem zu bestimmenden Koeffizientenvektor aufgelöst wird. Der
durch die Methode der kleinsten Quadrate gewonnene Schätzer setzt sich aus der
Regressionsmatrix X und dem Mess- bzw. Systemantwortvektor y gemäß Gl. (2.16)
zusammen. Unter den für die multivariate Regression gemachten Annahmen und
Bedingungen ist er BLUE38 , d.h. er ist der beste lineare und unverzerrte Schätzer.
∂Q
∂a
= −2XT y + 2XT Xˆ = 0.
a
(2.15)
ˆ = (XT X)−1 XT y.
a
(2.16)
a=ˆ
a
Die Polynomgleichung lautet dann:
y =X·ˆ
ˆ
a
35
I - Einheitsmatrix
LSM - Least Squares Method
37
Differenz zwischen beobachtetem und geschätztem Systemantwortvektor
38
Best Linear Unbiased Estimator
36
(2.17)
28
2
STAND DER TECHNIK
Die Beurteilung der Modellgüte erfolgt mittels statistischer Kennzahlen und Tests,
die Hinweise auf ein korrektes Schätzmodell geben. Das Bestimmtheitsmaß R2 (bzw.
der Determinationskoeffizient) gibt an, in welchem Ausmaß das Modell statistisch
determiniert ist, d.h. mit welcher Genauigkeit die lineare Approximation geschätzt
werden kann. Das Maximum R2 = 1 bedeutet exakte Approximation, das Minimum R2 = 0 weist keinen Zusammenhang zwischen den Eingängen und dem
Ausgang des Modells auf. Das Kriterium zeigt allerdings nicht an, ob das Modell
richtig spezifiziert worden ist. Mit komplexeren Polynommodellen und der damit
verbundenen höheren Zahl p an Modelltermen ist die Aussagekraft des einfachen
2
Bestimmtheitsmaßes eingeschränkt39 . Das adjustierte Bestimmtheitsmaß Radj berücksichtigt die Komplexität des Modells, bei dem R2 um die Anzahl der Freiheitsgrade korrigiert wird. Es ist daher für die Beurteilung der Approximation zusätzlich
heranzuziehen. RMSE ist die Wurzel der mittleren quadratischen Abweichung und
ist ein Maß für die Schätzgüte hinsichtlich Bias und Varianz. Die Residuenanalyse
ist ein weiteres Hilfsmittel zur Überprüfung zentraler Annahmen der Regressionsschätzung. Sie gibt Aufschluss über mögliche Ausreißer und über die Existenz von
Homoskedastizität der Residuen40 . Die empirische Verteilung der Residuen wird
in Residuen-Streudiagrammen untersucht. Tab. 2.3 zeigt korrespondierend zu Gl.
(2.12) einen Überblick über die wesentlichen statistischen Kennzahlen zur Regressionsanalyse41 . Zur Absicherung der einmaligen Schätzergebnisse werden ergänzend
Empirischer Mittelwert
Schätzung der
Standardabweichung
Untransformiertes
Residuum
Einfaches
Bestimmtheitsmaß
Korrigiertes
Bestimmtheitsmaß
Root Mean Square Error
1 m
yi
m i=1
y
¯
sy
m
1
(yi − y )2
¯
m − p i=1
yi − yi
ˆ
resi
R
2
2
Radj
RMSE
m
i=1
res2
i
s2 ∗ (m − p)
y
m−1
1 − (1 − R2 )
m−p
m
1
res2
i
m i=1
1−
Tab. 2.3: Statistische Kennzahlen zur Regressionsanalyse
statistische Signifikanztests durchgeführt. Die Teststrategien sehen eine umfassende Prüfung der Modellterme vor, die bei Insignifikanz ausgeschlossen werden, d.h.,
dass die partiellen Regressionskoeffizienten (t-Test) sowie die Erklärungsleistung
39
d.h. das Bestimmtheitsmaß R2 kann mit steigender Anzahl der Modellterme nie kleiner werden, auch wenn bestimmte Modellterme ungeeignet sind.
40
Man unterscheidet zwischen untransformierten, standardisierten, studentisierten und partiellen Residuen.
41
Für eine detaillierte Beschreibung sei auf die Literatur verwiesen [55], [41].
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
29
des Gesamtmodells überprüft werden (F-Test) [55]. Voraussetzung ist die Annahme normalverteilter Parameter und Schätzwerte. Beide Testverfahren beruhen auf
dem Prinzip des Falsifikationismus, bei dem eine theoretische Annahme (bzw. Hypothese) H0 für ein definiertes Signifikanzniveau α widerlegt werden muss, um die
statistische Signifikanz zu bestätigen. Beim t-Test berechnet sich die Testgröße TR
aus dem Schätzkoeffizienten aj und der Standardabweichung des Schätzkoeffizienˆ
ten σaj . Liegt TR innerhalb des Vertrauensintervalls −Tα/2 < t < Tα/2 , so wird die
ˆˆ
Nullhypothese H0 angenommen42 . Beim F-Test wird geprüft, ob alle Koeffizienten
a1 = · · · = ap = 0 sind. Die Prüfgröße FR ist unter der Annahme der Nullhypothese mit den Parametern (p − 1) und (m − p) F-verteilt. In Tab. 2.4 sind die
Signifikanztests vergleichend gegenübergestellt:
Testverfahren
Hypothesen und Testgrößen
Beschreibung
t-Test
H0 : aj = 0;
H1 : aj = 0;
aj
ˆ
; TK = Tα/2
TR =
σaj
ˆˆ
Signifikanztest eines
partiellen Koeffizienten.
Ablehnung von H0 ,
falls |TR | > TK .
F-Test
H0 : a1 = · · · = ap = 0;
H1 : aj = 0;
R2 /(p−1)
FR = (1−R2 )/(m−p)
FK = Fp−1,m−p (α)
Signifikanztest des
Gesamtmodells.
Ablehnung von H0 ,
falls FR > FK .
Tab. 2.4: Signifikanztests: t- und F-Test
Statistische Versuchspläne
Die für die Schätzung des polynomialen Regressionsmodells verwendeten Messdaten43 basieren auf einem Versuchsplan, der nach statistischen Kriterien optimal
ausgelegt werden und so einen Beitrag zu einer verbesserten Modellqualität leisten
kann. Klassische Versuchspläne wie der zentral zusammengesetzte Versuchsplan44
eignen sich nur begrenzt für die Erstellung von komplexeren Modellstrukturen in
eingeschränkten Versuchsräumen (bei gleichzeitig zu minimierendem Versuchsaufwand) [29], [14]. Der D-optimale Versuchsplan ist der Response-Surface-MethodDesign-Klasse zugehörig und wird in der Motorenentwicklung bevorzugt eingesetzt.
Das Prinzip der D-Optimalität besteht darin, die in Gl. (2.11) dargestellte Regressionsmatrix X derart einzustellen, dass die Varianz/-Kovarianzmatrix minimiert
42
In diesem Fall ist die Testgröße Student-t-verteilt mit m (Stichprobenumfang) - p (Anzahl der
Schätzkoeffizienten) Freiheitsgraden.
43
Trainingsdaten
44
CCD - Central-Composite-Design
30
2
STAND DER TECHNIK
wird. Für den Schätzvektor ˆ gilt die Erwartungstreue, d.h., dass der Erwartungsa
wert genau mit dem gesuchten Parametervektor übereinstimmt:
E (ˆ) = E (XT X)−1 XT y
a
= E (XT X)−1 XT (X · a + ξ )
= a + E (XT X)−1 XT ξ
=a
(2.18)
Aus der Normalverteilung des Gleichungsfehlervektors und der Erwartungstreue des
Schätzvektors folgt für die Varianz-/Kovarianzmatrix:
cov (ˆ) = E (ˆ − a) · (ˆ − a)T
a
a
a
= σ 2 (XT X)−1
(2.19)
Um die Abweichung zwischen gesuchtem und geschätztem Parametervektor klein
zu halten, muss ein Kandidatensatz ermittelt werden, der die Determinante der in−1
minimiert. Daher gilt für die D-Optimalität:
versen Informationsmatrix XT · X
det(XT X)−1 → min
(2.20)
Die D-Optimalität sowie alle anderen Optimalitätskriterien45 beinhalten die Regressionsmatrix X. Die Modellstruktur muss daher bereits vor der statistischen
Versuchsplanung festgelegt sein, was eine genaue Kenntnis des zu modellierenden
Systems voraussetzt. Abb. 2.12 zeigt die D-optimierte Verteilung der Designpunkte
für ein kubisches Polynommodell im zweidimensionalen Versuchsraum. Es werden
verfahrensbedingt vorwiegend Randpunkte berechnet46 . Ist der Versuchsraum nur
unzureichend eingegrenzt worden, verschlechtert sich die Modellgüte infolge der gestiegenen Diskrepanz zwischen gesuchtem und geschätztem Parametervektor nach
Gl. (2.19).
Für den Einsatz von neuronalen Netzen werden in der Praxis häufig raumfüllende
Versuchspläne eingesetzt, die durch die weit verbreitete Latin-Hypercube-SamplingMethode erstellt und an die alternativen RSM-Designs47 angefügt werden [27], [5],
[21]. Ziel ist es, dem für die Erstellung von neuronalen Netzen zusätzlich erforderlichen und von den optimalen RSM-Designs nicht mehr zu bewältigenden Mehraufwand geeignet zu begegnen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass der freie Hyperraum mit möglichst wenigen Messpunkten durch statistische Verteilung gleichmäßig
45
A-, C-, E-, G-, I-, V-Optimalität, vgl. [29], [21], [41]
Die Auswirkungen von Messfehlern auf die Modellqualität können durch die Verteilung der
Designpunkte an den Versuchsraumgrenzen klein gehalten werden.
47
wie z.B. dem D-optimalen Design
46
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
31
Abb. 2.12: Verteilung der Designpunkte nach dem D-Optimalitätskriterium für ein kubisches Polynommodell im zweidimensionalen Versuchsraum
abgedeckt wird. Die Latin-Hypercube-Sampling-Methode teilt jede Dimension i des
(j)
Hyperraumes Rd in K Klassen auf und generiert für jede Klasse Kandidaten Ui
nach dem Zufallsprinzip48 . Die Definition der gleich wahrscheinlichen Klassen lautet:
Aj =
1
0,
1
, Aj =
2
K
1 2
,
, . . . , Aj =
K
K K
1−
1
,1
K
(2.21)
Es gilt:
(j)
• die Wahrscheinlichkeit Pj Ui
(j)
• Ui
∈ Aj =
i
1
∀ j = 1, . . . , K
K
∼ Uni(0, 1)49 , i = 1, . . . , d, j = 1, . . . , K
Das Latin-Hypercube-Sample entsteht durch das in Gl. (2.22) dargestellte bedingte
Sampling, d.h. durch die Generierung der bedingten Verteilung der Kandidaten in
den Klassen. Damit ist gewährleistet, dass jede Klasse Aj mindestens einen Kandii
(j)
datenpunkt xi enthält.
(j)
(j)
xi =
48
49
(j)
π i − 1 Ui
(j)
(j)
+
→ LHS x1 , . . . , xd
K
K
Es wird von einer Normalverteilung N (0, 1) der Daten ausgegangen.
stochastisch unabhängig
(2.22)
32
2
STAND DER TECHNIK
mit
(j)
(j)
• π1 , . . . , πd - unabhängige Zufallspermutationen der Menge {1, . . . , K}
Abb. 2.13 zeigt das prinzpielle Verteilungsmuster am Beispiel eines zweidimensionalen (Motor-)Raumes R2 mit 10 Klassen. Man erkennt, dass für die gegebene
Designpunkte
x2
x1
Abb. 2.13: Verteilung der Designpunkte im zweidimensionalen Versuchsraum nach der
Latin-Hypercube-Sampling-Methode
Klassen-Dimension (K d = 102 ) eine Reduktion auf K = 10 Kandidatenpunkte erreicht wird. Jedes Band 50 enthält (horizontal und vertikal) mindestens einen Punkt.
Die LHS-Strategie sieht eine iterative Anpassung des Designs vor. Das Kriterium
kann der maximale Abstand zwischen den Designpunkten oder die minimale Korrelation sein [52].
Praxisorientierte Anwendung statistischer Versuchspläne
Die Motorkennfeldapplikation ist in der Praxis nicht einheitlich gestaltet. Die Gründe hierfür liegen im Verbrennungsverfahren des zugrunde liegenden Versuchsmotors, in den definierten Optimierungszielen sowie im unterschiedlichen Automatisierungsgrad der zur Verfügung stehenden Motorprüfstandssysteme. Die resultierenden
Konzepte in der Planungsphase sehen daher lokale Versuchspläne für Motorbetriebspunktmodellierungen oder globale Versuchspläne für partielle und vollständige Motorkennfeldbereichsmodellierungen vor. In [47], [46], [24] wird der Weg der lokalen
50
Stratus
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
33
Versuchsplanung zur Einhaltung legislativer Vorgaben für den Neuen Europäischen
Fahrzyklus (NEFZ)51 eingeschlagen. Durch die reduzierte Dimensionalität wird der
messtechnische Aufwand lokal im Motorbetriebspunkt verringert52 , in der Summe
der zu untersuchenden Punkte steigt er jedoch erheblich an. In [47] werden für 14
repräsentative Motorbetriebspunkte DoE-basierte Versuchspläne einzeln berechnet
und abgefahren. In [46] sind es 30 Betriebspunkte, für die ein Zeitaufwand von ca.
28 Stunden erforderlich war.
Partielle Versuchspläne, die auch globale Versuchskandidaten enthalten, stellen in
Bezug auf den Messaufwand einen Kompromiss zwischen lokalen und vollständigen (globalen) Versuchsplänen dar. In [41] werden die aus Vorversuchen bekannten
Hauptbetriebsbereiche in 3 Teilbereiche zerlegt, für die jeweils ein Versuchsplan
zugeteilt ist. Die daraus entstehenden Bereichsmodelle werden im anschließenden
Schritt durch eine geeignete Interpolationsmethodik zu einem Gesamtmodell zusammengesetzt. Nachteilig wirkt sich die Methode an den Interpolationsgrenzen
aufgrund unzureichender Modellqualität aus. Der beschriebene Applikationsweg in
der Versuchsplanungsphase eignet sich sowohl für die Basis-, als auch für die Feinapplikation der Motorsteuerkennfelder. In [49] wird der Motorkennfeldbereich auf 8
Drehzahlwerte für einen 5-dimensionalen Kandidatensatz einschließlich der Last als
Haupteinflussgröße fixiert und nach der Latin-Hypercube-Sampling-Methode vermessen. Dies zieht einen Aufwand von ca. 400 Testpunkten nach sich. Vergleichend
hierzu würden ca. 800 Testpunkte für eine lokale und ca. 150 Testpunke für eine
vollständige (globale) Versuchsplanung erforderlich sein.
Für eine Grundabstimmung eines Motorkennfeldes, an dem keine Applikationsvorkenntnisse vorhanden sind, werden globale Regressionsansätze basierend auf vollständigen Versuchsplänen empfohlen [13]. Der Vorteil ist, dass eine deutliche Reduktion des Messaufwands erzielt wird. In der Optimierungsphase lassen sich die
charakteristischen Motorbetriebspunkte stützstellenunabhängig bearbeiten. Nachbarschaftsbeziehungen können im Vergleich zu Betriebspunktmodellen oder zusammengsetzten Bereichsmodellen besser ausgenutzt werden, da die durch Interpolation
zwischen den Stützstellen hervorgerufenen Abweichungen vermieden werden können
[13], [30], [27]. Den Vorteilen einer globalen Versuchsplanung stehen die Nachteile der erhöhten Gefahr von Messwertdriften aufgrund des längeren Versuchsplans
gegenüber. Zudem werden die Modelle komplexer und die Festlegung von Einstellbereichen der Motorsteuergrößen diffiziler. In [13] werden für die globale Versuchsplanung insgesamt 8 Kandidaten (2 Haupteinflussgrößen und 6 Verstellparameter)
statistisch optimal ausgelegt. Der D-optimale Versuchsplan umfasst ca. 440 Testpunkte inklusive zusätzlicher Referenzmesspunkte zur Absicherung des Versuchsplans gegen zeitabhängige Messwertedrifts.
51
Dieser Applikationsprozess wird als Feinabstimmung bezeichnet, der als Grundlage die Basisabstimmung dient.
52
Die den Motorbetriebspunkt charakterisierenden Größen wie Motordrehzahl und Last gehen
nicht in die Versuchsplanung ein.
34
2
2.5.2
STAND DER TECHNIK
Versuchsdurchführung
Die Umsetzung der statistischen Versuchspläne erfolgt in der Praxis aus Effizienzund Qualitätsgründen immer öfter automatisch. Voraussetzung dafür ist ein intelligentes Prüfstandsmanagement am Motorprüfstand, das den hohen Anforderungen an eine automatische Betriebspunkt - oder Kennfeldvermessung genügen
muss. Diese beinhalten eine geeignete Ablaufstrategie, die unter anderem die Sicherstellung der für die Messung einzuhaltenden Umgebungsbedingungen gewährleistet und die Absicherung der Messqualität gegenüber Messausreißern vorsieht.
Das Automatisierungssystem muss darüber hinaus zum Screening, also zum Ertasten des fahrbaren mehrdimensionalen Motorraumes in der Lage sein. Dabei müssen kritische Motorgrößen wie der Zylinderspitzendruck oder die Abgastemperatur
ständig überwacht werden, um Grenzwertverletzungen frühzeitig erkennen und umgehende Gegenmaßnahmen durch eine adäquate Verstellstrategie einleiten zu können. Hierfür reichen kommerzielle Prüfstandssteuerungen aufgrund ihrer einfachen
Schnittstellen-Spezifikation zur Programmierung von Versuchsabläufen in der Regel
nicht aus, so dass ergänzende Automatisierungssysteme53 für die Bewältigung des
genannten Anforderungskatalogs an die Prüfstandssteuerung angebunden werden
müssen [41].
Vermessungsstrategie
Das Ziel in der Screeningphase ist es, die für die statistische Versuchsplanung essentiellen Versuchsraumgrenzen online mittels einer ihr angepassten Vermessungstrategie ohne Eingriff des Prüfstandsingenieurs systematisch zu erschließen. Das
von AVL entwickelte und in [12] beschriebene Online-DoE-Verfahren nutzt die
symmetrische Anordnung des fraktionellen, faktoriellen, zentral zusammengesetzten Versuchsplans (CCD) als Grundlage, um für die D-optimale Versuchsmethodik
die unbekannten Motorgrenzen optimal identifizieren zu können. Ausgangspunkt ist
ein stabiler Motorbetriebspunkt, der manuell als zentraler CCD-Designpunkt ermittelt werden muss. Alle anderen Punkte werden von diesem zentralen Punkt ausgehend sternförmig mit einer begrenzten, maximalen Schrittweite angefahren. Werden
Grenzwertverletzungen erkannt, so wird die letzte fahrbare Parameterkombination
als Grenzpunkt vermessen. Die Qualität des Screenings hängt von der Schrittweite
ab. Je kleiner die Schrittweite, desto genauer kann die Eingrenzung vorgenommmen
werden. Abb. 2.14 zeigt die Darstellung der aus dem Online-DoE-Screening nach [12]
hervorgehenden Grenzen am Beispiel eines zweidimensionalen Versuchsraumes. Im
Anschluss an das Online-Screening kann der fahrbare Versuchsraum durch geometrische Berechnungen modelliert werden. Die für den D-optimalen Versuchsplan noch
zusätzlich benötigten Designpunkte werden durch die Bewertung einer im Versuchsraum rasterförmig angelegten Kandidatenliste nach dem D-Optimalitätskriterium
ausgewählt. In einer beispielhaften Anwendung werden für einen quadratischen Polynomansatz im 5-dimensionalen Motorraum 53 Messpunkte im Screening-Versuch
53
wie z.B. Cameo (AVL), MPI2 (IAV), TOPexpert (FEV), Atlas (MTS)
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
35
und 11 Mespunkte in einer zweiten Vermessung zwecks Komplettierung des Versuchsplans eingefahren. Die Screening-Methode wird für die Versuchsraumermittlung und die Modellbildung in einem Motorbetriebspunkt eingesetzt. Die in [12]
X
X
X
X Verletzungspunkte
Online-Screening-Punkte
Abb. 2.14: Ermittlung der Versuchsraumgrenzen durch das Online-DoE-Screening nach
[12]
beschriebene Methode hängt stark vom gewählten Startpunkt ab. Ein zentral ausgewählter Startpunkt führt verfahrensbedingt zu einer wesentlich besseren Umhüllung des mehrdimensionalen Versuchsraums als ein am Versuchsraumrand angelegter Startpunkt. Da der zentrale Punkt jedoch a priori nicht bekannt ist, kann der
Versuchsraum im Screening durch eine ungünstige Festlegung nur eingeschränkt
aufgespannt werden. In [37] wird mit der Rapid Hull Determination-Methode ein
ergänzender Ansatz verfolgt, um die Sensitivität bezüglich der Startpunktauswahl
zu verringern und das Screening im Ganzen zu beschleunigen. Es werden zwei Phasen vorgesehen: in der ersten erfolgt die Basisvermessung, in der vom Startpunkt
ausgehend winkelhalbierende oder sternförmige Trajektorien (Abb. 2.14, 2.15 und
2.16 ) in definierter Schrittweite abgefahren werden. In der zweiten Phase wird anschließend auf Grundlage einer modellbasierten, adaptiven Selektion die Hülle des
Hyperraumes entweder über die Methode mittels Normalvektoren oder mittels Winkelhalbierenden in iterativen Zyklen ermittelt. In Abb. 2.15 sind die Versuchsphasen
zur Basisvermessung sowie zur iterativen Versuchsraumerweiterung durch die Bildung von Normalvektoren zwischen zwei Grenzpunkten dargestellt. Der Ansatz ist
nicht immer zielführend, da auch Suchrichtungen eingeschlagen werden, die nach 1-2
Verstellparamterschritten an die Versuchsraumgrenzen stoßen, ohne dabei die Hülle
des Hyperraumes signifikant erweitern zu können. Die alternative Methode, die in
Abb. 2.16 skizziert ist, verfolgt das Ziel, durch Anlegen der vom Startpunkt54 aus54
Der Ausgangspunkt ist der Startpunkt aus der Basisvermessung, in den darauf folgenden Iterationen ist der Startpunkt der Schnittpunkt zwischen Winkelhalbierender und Hülle des Hyperraumes
36
2
STAND DER TECHNIK
gehenden Winkelhalbierenden zwischen zwei Grenztrajektorien eine Reduzierung
der Iterationszahl und damit der Anzahl der Vermessungsdurchläufe zu erzielen.
Der Vorteil des alternativen Ansatzes hängt allerdings auch von der Gestalt des
Hyperraumes ab, so dass keine generelle Schlussfolgerung bezüglich der Wahl der
Screening-Methode gezogen werden kann. Stattdessen wird ein durch die Verstellparameter des Versuchsmotors beschriebenes polynomiales Betriebspunktmodell der
zweiten Ordnung (siehe Gl. (2.11)) zur Prädiktion der Suchrichtung herangezogen. Die Auswahl der Suchrichtung richtet sich nach dem Kriterium der Volu-
Tatsächlicher Versuchsraum
Normalvektor
Startpunkt
Grenzpunkt
Volumenvergrößerung
Versuchsraum nach
Basisvermessung
Abb. 2.15: Rapid Hull Determination nach [37]: 1. Basisvermessung, 2. iterative Versuchsraumermittlung (Volumenvergrößerung) mittels Normalvektoren, hier: 1. Iteration
Tatsächlicher Versuchsraum
Winkelhalbierende
Startpunkt
Grenzpunkt
Volumenvergrößerung
Versuchsraum nach
Basisvermessung
Abb. 2.16: Rapid Hull Determination nach [37]: 1. Basisvermessung, 2. iterative Versuchsraumermittlung (Volumenvergrößerung) mittels Winkelhalbierenden zwischen zwei
Versuchsraumtrajektorien mit dem Startpunkt als Ausgangspunkt, hier: 1. Iteration
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
37
menvergrößerung des Hyperraumes, d.h., dass diejenige Screening-Strategie ausgewählt wird, für die im entsprechenden Iterationszyklus der größte Volumenzuwachs
durch das Polynommodell prognostiziert wird. In [37] wird der Messaufwand durch
die Rapid Hull Determination-Methode nach dem 1. Iterationszyklus für einen 5dimensionalen Hyperraum um ca. 20 % gegenüber der State-of the-Art-Methode
nach [12] bei gleicher Screening-Güte reduziert.
Die in [12] und [37] beschriebenen Vermessungsstrategien werden für den stationären Motorbetrieb ausgelegt, d.h., dass nur stationäre Motorbetriebspunkte im
eingeschwungenen Zustand untersucht werden. Dynamische Vermessungskonzepte
berücksichtigen hingegen auch transiente Versuchspunktübergänge und beziehen
diese in die Modellbildung ein. Motiviert werden derartige Konzepte durch die
Möglichkeit, eine schnellere Motorvermessung zu erzielen, zusätzlich Informationen über die dynamischen Motorbetriebszustände zu gewinnen und diese in die
Optimierungsstrategien einfließen zu lassen. In [42] wird durch den Verzicht auf
Stabilisierungs- und Mittelungszeiten eine transiente Messstrategie mit verkürzter
Messzeit für einen DoE-basierten Versuchsplan angewandt. Dynamische statistische Online-Modelle dienen der Schätzung motorischer Grenzen. Nach Beendigung
der Messreihe werden die Messdaten offline zum Antrainieren eines globalen dynamischen Modells genutzt, um hierdurch die optimierungsrelevanten stationären
Motorbetriebswerte approximieren zu können. In [15], [56] werden dynamische Approximatoren erstellt, um die - für ein optimales dynamisches Ansprechverhalten erforderlichen - Zeittrajektorien der Motorverstellparameter offline berechnen zu können55 . Grundlage für die dynamische Optimierung ist ein transientes Messverfahren
mittels amplituden-modulierter pseudo-zufälliger Binärsignale (APRBS). Zur Vermeidung von Grenzwertverletzungen wird der APRBS-basierte Versuchsplan in [56]
mit Hilfe der stationären Online-Screeningmethode nach [12] auf mögliche Grenzwertverletzungen überprüft.
Die Verfahren zur dynamischen Motorvermessung und -modellierung sind hinsichtlich ihrer Qualität und Robustheit der stationären Vorgehensweise unterlegen. Aufgrund ihrer Potenziale zur Reduzierung von Messaufwand und zur Erhöhung der
Optimierungsgüte wird ihnen zukünftig im Applikationsprozess eine immer größere
Bedeutung beigemessen. In Kapitel 7 erfolgt zu diesem Thema eine ausführliche
Beschreibung.
2.5.3
Optimierung
Die bestehenden Optimierungsansätze haben sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert. Die Offline-Optimierungsmethodik sieht eine Optimierung der
modellierten Zielgrößen am PC unter Anwendung numerischer Optimierungsverfah55
Dynamisches Optimierungskriterium: z.B. schneller Ladedruckanstieg mit optimalem Einschwingverhalten als Nebenbedingung
38
2
STAND DER TECHNIK
ren 56 vor. Als Grundlage dient das in Gl. (2.1) definierte multikriterielle Optimierungsproblem. In der Basisoptimierung werden sichere und stabile Motorbetriebspunkte ermittelt sowie die Verbrauchs- und Emissionswerte im Kennfeld grundsätzlich abgestimmt. Das Ziel ist es, einen optimalen Grundzustand für die anschließende Feinoptimierung bereit zu stellen. Hier müssen die grundapplizierten
Motorkennfelder zur Minimierung von Verbrauchswerten, zur Einhaltung von legislativen Abgassemissionsgrenzwerten und zur Erfüllung der Fahrbarkeitskriterien
gezielt modifiziert werden. Der Motorkennfeldbereich wird in mehrere zu untersuchende Bereiche aufgeteilt, die unterschiedlichen Optimierungskriterien unterliegen (Abb. 2.17). Beim dieselmotorischen Optimierungsprozess wird der Fokus
Volllast
Last
maximales Drehmoment
zyklusrelevanter Bereich
minimaler Verbrauch
Kriterien:
• minimale Emissionen
• minimaler Verbrauch
Leerlauf
minimale Last
Drehzahl
Abb. 2.17: Aufteilung des Motorkennfeldbereichs in Optimierungssektoren [43]
im zyklusrelevanten Bereich57 - neben dem spezifischen Kraftstoffverbrauch - auf
die gegenläufigen Stickoxid- und Partikelemissionen gelegt [23], [43]. Vorab werden
hierzu die repräsentativen, stationären Motorbetriebspunkte anhand ihres Emissionsverhaltens und ihres Zeitanteils im gesetzlichen Testzyklus ausgewählt. Dies
stellt eine gängige Methode dar, um den (dynamischen) Testzyklus in Form von
Motorbetriebspunkten quasistationär optimieren zu können.
Die Vorgehensweise im Optimierungsprozess, d.h. die Skalarisierung des Optimierungsproblems und die Strategie zur lokalen und globalen Optimierung, ist in der
Praxis nicht einheitlich und hängt vom Applikateur, vom Optimierungsziel und von
der praktischen Umsetzbarkeit ab. In [23], [43] dient zur Beschreibung der Zielfunktion zunächst die in Gl. (2.2) beschriebene gewichtete Summe als Skalarisierungsverfahren. Im ersten Schritt werden die (pareto-optimalen) Trade-Off-Grenzkurven der
Stickoxid- und Partikelemission in den ausgewählten Motorbetriebspunkten durch
56
57
Sequentielle Quadratische Programmierung, Genetische Algorithmen
z.B. für den NEFZ
2.5. METHODEN UND AUTOMATISIERUNGSGRAD IM APPLIKATIONSPROZESS
39
Variation der Wichtungsverhältnisse ermittelt. Dies wird als lokale Optimierung
oder Betriebspunktoptimierung bezeichnet. Abb. 2.18 zeigt das Ergebnis der in [23]
Einstellpunkt (Wichtungsverhältnis)
ausgewählter Einstellpunkt nach
der globalen Optimierung
Partikelemission
X
Trade-Off-Kurve je ausgewähltem
stationären Betriebspunkt
Stickoxidemission
Abb. 2.18: Trade-Off-Grenzkurven für ausgewählte stationäre Motorbetriebspunkte am
Beispiel eines aufgeladenen Dieselmotors mit Pumpe-Düse-Einspritzsystem
mittels Genetischer Algorithmen durchgeführten lokalen Optimierungen am Beispiel eines aufgeladenen Dieselmotors mit Pumpe-Düse-Einspritzsystem, dem eine
statistische Versuchsplanung zur Bildung von Kennfeldbereichsmodellen58 vorausging. Im zweiten Schritt werden diejenigen pareto-optimalen Lösungen der Grenzkurven bestimmt, die sich in Bezug auf das globale Kriterium als optimal erweisen
(siehe Abb. 2.18). Die globale Zielfunktion nach [23] ist wie folgt aufgestellt:
[N Ox,n (bp, wN Ox ) · ∆T (bp)]2 + [P Mn (bp, wP M ) · ∆T (bp)]2 (2.23)
ZF =
bp
wobei wN Ox bzw. wP M die Wichtungsfaktoren der normierten Zielgrößen N Ox,n
und P Mn und ∆T (bp) der dem Fahrzyklus entommene Zeitanteil für den Motorbetriebspunkt bp bedeuten. Im ersten Optimierungsdurchlauf wird der spezifische
Kraftstoffverbrauch nicht berücksichtigt. Dies kann allerdings durch die zyklische
Wiederholung der Optimierungsschritte mit Einbettung der dritten Zielgröße in
die Skalarisierungsfunktion zur lokalen Optimierung entsprechend Gl. (2.24) geändert werden. Es handelt sich dabei um eine - von der Wichtung wbe abhängige Aufweichung des ursprünglichen Zielkriteriums zugunsten des spezifischen Kraftstoffverbrauchs.
ZFlokal = (1 − wbe ) · [wN Ox · N Ox,n + wP M · P Mn ] + wbe · be,n
58
Polynommodelle der zweiten Ordnung
(2.24)
40
2
STAND DER TECHNIK
Die für den dynamischen Motorbetrieb notwendige Kennfeldglättung der optimierten kritischen Verstellparameter-Kennfelder (siehe Abschn. 2.3.2) stellt den abschließenden Berechnungsschritt im Optimierungsprozess dar und wird in Abb.
2.19 am Beispiel des Frischluftmassenkennfeldes veranschaulicht. Diese notwendige
Kennfeldkorrektur verschlechtert in der Regel die Optimierungsgüte, zumal die in
der Praxis angewandten Glättungs-Algorithmen nur dem Glättungs- und nicht dem
Optimierungskriterium unterliegen59 .
Frischluftmasse in mg/Hub
- ungeglättet -
Ein
s
in pritz
mm m
3
/H enge
ub
hl
ehza
tordr n-1
Mo mi
in
Frischluftmasse in mg/Hub
- geglättet -
E in
s
in p r itz
mm m
3
/H enge
ub
hl
ehza
tordr n-1
Mo
i
in m
Abb. 2.19: Kennfeld-Glättung nach dem Spline-Ansatz [53] am Beispiel des Frischluftmassenkennfeldes
59
z.B. Spline-Ansatz nach [53], Polynomansatz nach [43]
41
3 Hochdynamischer
Motorprüfstand
3.1
Prüfstandsautomatisierung
Zur rechnergestützten Kennfeld-Applikation stand ein hochdynamischer Motorprüfstand mit integrierter Fahrer-/Fahrzeugsimulation zur Verfügung1 . Die Hauptkom-
I/O
TCP/IP
Senden/
Empfangen
Profibus-FDL (5 Hz)
Istwerte
DSS/CPU 486
OP 25
100 Hz
Istwerte
IM IO5
IM UCP
5 Hz
Istwerte
CPU 486/66 MHz
CPU 486/66 MHz
IM UCP
CPU 486/66 MHz
IM IO5
Istwerte
Profibus-DP (100 Hz)
FM 486/16MHz
CP 5431
IM 308
CPU 928 B
10 Hz
DI/DO
Senden/
Empfangen
RedLab 1208
Mess-/Optimierungsrechner
RS232
PCU1500PFB
Steuerungsrechner
MCCRahmen
CPU 486
Antriebsregelung
Profibus-DP (20 Hz)
I/O
I/O
I/O
...
I/O
I/O
AI/AO
AO
... I/O
Abb. 3.1: Hardwarearchitektur der Prüfstandssteuerung
ponenten des Prüfstandsautomatisierungssystems sind die SIMATIC-SPS für weni1
Am hochdynamischen Motorprüfstand wird eine Asynchronmaschine mit geringem Trägheitsmoment als dynamische Belastungseinrichtung (Dynamometer) eingesetzt. In Verbindung mit der
Simulation von Fahrer und Fahrzeug ist das reproduzierbare Nachfahren hochdynamischer Fahrzyklen möglich.
42
3
HOCHDYNAMISCHER MOTORPRÜFSTAND
ger zeitkritische Überwachungsaufgaben, der Steuerungsrechner zur Prozesssteuerung und -visualisierung sowie das digitale Simulationssystem DSS, welches die
hochdynamische Ansteuerung der Leistungsstufen der Asynchronmaschine übernimmt. Die Vernetzung der an der Prüfstandsautomatisierung beteiligten Hardwarekomponenten ist in Abb. 3.1 dargestellt. Es handelt sich um eine dezentrale
Architektur, d.h. die Peripherie-Geräte (Sensorik und Aktorik) übernehmen die
Messwertdigitalisierung und die Aktor-Steuerung dezentral in der Feldebene. Ihre Ankopplung an die SPS S5 bzw. an die schnelle Prozessoreinheit (DSS auf
CPU486) erfolgt physikalisch über einen Zweidraht-Bus. Der Datenaustausch darüber basiert auf dem Profibus-DP-Protokoll. Um für ausgewählte Messgrößen eine
Abtastfrequenz von 100 Hz realisieren zu können, musste der ursprünglich vorhandene DP-Bus auf zwei Bus-Master aufgeteilt werden. Weniger zeitkritische Messungen erfolgen weiterhin im Zyklustakt der SPS (ca. 50 ms), alle anderen Messgrößen werden direkt vom digitalen Simulationssystem (DSS) mit einer Zeitscheibe von 6 ms erfasst. Der Datenaustausch zur Prozessvisualisierung und zur PCBenutzerschnittstelle des Automatisierungssystems erfolgt physikalisch ebenfalls
über einen Zweidraht-Bus, als Protokoll wird der Profibus-FDL-Standard eingesetzt. Dieses erlaubt die asynchrone Datenübertragung zwischen zwei Mastersystemen und dient als Basis für die Erstellung anwendungsspezifischer Protokolle der
ISO/OSI-Referenzschicht.
3.2
Prüfstandsmanagement
Zur effizienten Durchführung von Kennfeld-Vermessung und -Optimierung am hochdynamischen Motorprüfstand ist ein hoher Automatisierungsgrad notwendig. Voraussetzung hierfür ist ein intelligentes Prüfstandsmanagement, das eine breite Entwicklungsplattform inklusive der dazu gehörigen Schnittstellen für die Implementierung und Integration der erforderlichen Algorithmik (automatische Verstellstrategie, motorische Grenzwertüberwachung, Online-Optimierung, etc.) bereitstellt.
Als Alternative zu kommerziell verfügbaren Prüfstandssoftwaresystemen2 wurde am
Fachgebiet Verbrennungskraftmaschinen die Entwicklung eines eigenen PrototypePrüfstandsmanagements auf Basis der Entwicklungsumgebung LabVIEW™vorangetrieben, womit spezifische Anforderungen und Lösungsansätze schnell abgedeckt,
implementiert und verifiziert werden können. LabVIEW ist eine völlig flexible Entwicklungsumgebung mit Spezialisierung auf Mess,- Steuerungs- und Regelungsaufgaben (MSR). Zur Einbettung entwicklungs- und kommunikationsspezifischer Programme bzw. Protokolle werden von LabVIEW alle erforderlichen Schnittstellen3
bereitgestellt, die sich mit wenig Aufwand individuell nutzen lassen. Insbesondere die anwenderfreundliche Schnittstelle zu Matlab ermöglicht eine schnelle und
effektive Portierung vektorgestützter Berechnungmethoden in die Entwicklungsum2
3
z.B. Puma, Morphee
z.B. WinAPI
3.2. PRÜFSTANDSMANAGEMENT
43
gebung. Über die WinAPI können beliebige Dynamic Link Libraries (dll) eingebunden und zur Anwendung gebracht werden. Abb. 3.2 skizziert die Softwarearchitektur
sowie die Schnittstellen und Anbindungen des Prototype-Prüfstandsmanagements.
Das Prüfstandsmanagement übernimmt die zentrale Aufgabe der Prüfstandssteue-
ASAP
ASAP 3
Prüfstandssteuerung
Matlab®
Screening
Versuchspläne
Verstellstrategien
OnlineOptimierung
Optimierungsalgorithmus
Grenzwertüberwachung
Messung
Speicherung
Fehlerprotokoll
Logfile
WinAPI
FDL
Profibus
Abb. 3.2: Softwarearchitektur und Schnittstellen der Prüfstandssteuerung
rung und koordiniert die Interaktion zwischen den modularisierten Bausteinen zur
automatischen Kennfeldvermessung und zur Online-Optimierung. Dazu gehören
u.a. der Datenaustausch und die Umsetzung der ereignis- und flussgesteuerten Ablaufsteuerungen der Module und Unterprogramme sowie die Kommunikation mit
der Prüfstandsperipherie. Die Bedienung des Motorsteuergeräts wird durch die Ankopplung der standardisierten MCD-Systemarchitektur über die Anwenderschnitt-
44
3
HOCHDYNAMISCHER MOTORPRÜFSTAND
stelle ASAM-MCD 3 an das LabVIEW-Prüfstandsmanagement ermöglicht4 .
In Abb. 3.3 sind die Hardware-Architektur und die Vernetzung des hochdynamischen Motorprüfstands in der für die automatisierte Kennfeld-Applikation relevanten Konfiguration dargestellt. Das Prüfstandsmanagement verteilt sich hierbei
zwecks Performance-Steigerung auf zwei Prüfstandsrechner. Die Kommunikation
zwischen den Modulen der Steuerungs- und Messrechner erfolgt in der LabVIEWUmgebung über TCP/IP mittels Umgebungsvariablen.
Abb. 3.3: Hardware-Architektur des hochdynamischen Motorprüfstands
3.3
Versuchsmotor
Bei dem Versuchsmotor handelt es sich um einen 4-Zylinder DI-Dieselmotor mit
Common-Rail-Einspritzsystem, Abgasturboaufladung mit variabler Turbinengeometrie und Ladeluftkühlung. In Tab. 3.1 sind die Kenndaten des Versuchsmotors
zusammengefasst.
4
Siehe Abschn. 2.3.1
3.3. VERSUCHSMOTOR
Bezeichnung
Arbeitsverfahren
Zylinderanordnung
Anzahl Zylinder
Bohrung / Hub
Hubvolumen
Verdichtungsverhältnis
Nennleistung
Max. Drehmoment
Einspritzsystem
Aufladung
Abgasrückführung
45
M47R
4-Takt Diesel, Direkteinspritzung
Reihe
4
84 mm / 88 mm
1950 cm3
17,5
85 kW bei 4000 min−1
250 Nm bei 1750 min−1
Bosch Common-Rail
Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie,
Ladeluftkühlung
ungekühlte AGR
Tab. 3.1: Kenndaten des Versuchsmotors
46
4 Fuzzy-Inferenz-Systeme und
Künstliche Neuronale Netze
Im folgenden werden die in dieser Arbeit zur Anwendung kommenden Fuzzy-Inferenz-Systeme und die Künstlichen Neuronalen Netze vorgestellt. Die Beschreibung
der Topologien und ihrer Techniken fokussiert sich auf den allgemeinen Aufbau
und die wesentlichen mathematischen Grundlagen. Auf eine detaillierte Abhandlung
wird zugunsten der Überschaubarkeit verzichtet. Hierzu sei auf die einschlägige
Literatur verwiesen [3]
4.1
Fuzzy-Inferenz-Systeme
4.1.1
Fuzzy-Logik
Die Fuzzy-Logik1 wurde 1965 von Lotfi A. Zadeh an der University of California in Berkeley eingeführt. Sie stellt eine Erweiterung der klassischen Mengenlehre
dar und sieht die Informationsverarbeitung durch Anwendung unscharfer Beschreibungsformen (Fuzzy-Mengen) in einem regelbasierten System vor. Die Definition
der Fuzzy-Menge lautet [9]:
Definition 4.1.1 (Fuzzy-Menge) Eine Fuzzy-Menge µ über einer Grundmenge
X ist im normalisierten Fall eine Abbildung von X in das Einheitsintervall, d.h.
µ : X → [0, 1] .
µ wird als Zugehörigkeitsgrad des Elements x ∈ X zur Fuzzy-Menge µ bezeichnet.
Die unscharfen Mengen werden durch charakteristische Funktionen (Zugehörigkeitsfunktionen) repräsentiert, die graduelle Zugehörigkeiten zu einer Menge beschreiben. Die Zugehörigkeitsfunktionen können beliebig aufgestellt sein; deren Wahl richtet sich in der Regel nach dem gewählten Fuzzy-Typ2 und den daraus abgeleiteten
Anforderungen. Die in dieser Arbeit eingesetzten Zugehörigkeitsfunktionen sind die
1
2
engl. fuzzy: verschwommen, unscharf, trüb
Takagi-Sugeno-Inferenz-System, Sugeno-Inferenz-System, Mamdani-Inferenz-System
4.1. FUZZY-INFERENZ-SYSTEME
47
Gaußfunktion
(x − c)2
−
2σ 2
µGauß (x) = e
(4.1)
die Dreieicksfunktion
0
x−a
b−a
µDreieck (x) = c−x
c−b
0
für
für
für
für
xc
(4.2)
sowie die Trapezfunktion.
0
x−a
b−a
µT rapez (x) = 1
d−x
d−b
0
für
für
für
für
für
xd
(4.3)
Die Anwendung der Fuzzy-Logik findet in drei grundsätzlichen Schritten statt. In
der Eingangsebene wird zunächst ein scharfer Wert in die unscharfe Begrifflichkeit
übersetzt (Fuzzifikation). Der (in der Regel normierte) Grundbereich wird durch
die Anordnung von mehreren charakteristischen Funktionen in kleinere Intervalle partitioniert. Die Partitionierung kann durch die subjektive Experteneinschätzung und durch nachträgliche automatische Adaption erfolgen. Die Dreiecks- und
Trapezfunktionen haben den Vorteil, dass sie eine scharfe Abgrenzung an den Intervallgrenzen haben. Die Gaußfunktion weist hingegen asymptotisches Verhalten
auf und ist somit immer über den gesamten Wertebereich definiert. Das bedeutet,
dass die Prozesseingangsgrößen3 stets auf alle definierten Funktionen (Partitionen)
abgebildet werden. Gaußfunktionen zeichnen sich durch ihre Stetigkeit und Differenzierbarkeit aus. Diese Eigenschaft ist Voraussetzung für die Systemidentifikation
mittels der quadratischen Fehlerquadratminimierung 4 .
In der Verarbeitungsebene werden die unscharfen Werte aus der Eingangsebene
3
Die Prozessgrößen, d.h. die Ein - und Ausgänge des Fuzzy-Inferenz-Systems werden auch als
linguistische Variablen bezeichnet.
4
Siehe Abschn. 4.1.2
48
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
mit IF...THEN...-Regeln in Verbindung gebracht, die zu ihrer Umsetzung linguistische Operatoren (AND, OR, NOT ) enthalten. Für die mathematischen Operationen
Durchschnitt, Vereinigung und Komplementbildung stehen verschiedene Operationsvorschriften zur Verfügung, die sich in die Klassen der t-Norm- (AND) oder
t-Konorm-Operatoren (OR) einordnen lassen [3]:
Komplement-(NOT-)Operatoren
[µA (x)] =
1 − µA (x)
, −1 > λ > ∞
1 + λ · µA (x)
(4.4)
Durchschnitts-(AND-)Operatoren
Minimum:
Algebraisches Produkt:
Beschränktes Produkt:
µA∩B (x) = min [µA , µB ]
µA·B (x) = µA (x) · µB (x)
µA B (x) = max [0, µA (x) + µB (x) − 1]
(4.5)
µA∪B (x) = max [µA , µB ]
µA+B (x) = µA (x) + µB (x) − µA (x) · µB (x)
µA B (x) = min [1, µA (x) + µB (x)]
(4.6)
Vereinigungs-(OR-)Operatoren
Maximum:
Algebraische Summe:
Beschränkte Summe:
Die Beziehung zwischen mehreren, unscharfen Mengen werden durch die unscharfe
Relation beschrieben, welche die Grundlage für die Bildung von Fuzzy-Systemen
bildet. Die Definition nach [3] lautet:
Definition 4.1.2 (Unscharfe Relation) Eine unscharfe Relation R ist eine unscharfe Menge, deren Elemente Wertetupel (x1 , x2 , · · · , xn ) mit gradueller Zugehörigkeit sind:
R = {((x1 , x2 , · · · , xn ); µR (x1 , x2 , · · · , xn )) |xi ∈ Xi , µR (x1 , x2 , · · · , xn ) ∈ [0, 1]} .
Die Verkettung unscharfer Relationen wird genutzt, um einen Schlussfolgerungsoder Inferenzmechanismus für unscharfe Relationen darzustellen.
Definition 4.1.3 (Verkettung unscharfer Relationen) Es seien R1 ∈ P (A ×
B) und R2 ∈ P (B × C) zwei unscharfe Relationen zwischen a, b und b, c. R1 ◦ R2
wird dann als Verkettung bezeichnet, die eine unscharfe Relation auf A×C zwischen
a, c beschreibt entsprechend Gl. (4.7) oder Gl. (4.8)
R1 ◦ R2 : µR1 ◦R2 (a, c) = max ∀b∈B min[µR1 (a, b), µR2 (b, c)]
R1 ◦ R2 : µR1 ◦R2 (a, c)
= max ∀b∈B [µR1 (a, b) · µR2 (b, c)]
(4.7)
(4.8)
4.1. FUZZY-INFERENZ-SYSTEME
49
Bei der Verkettungsregel nach Gl. (4.7) spricht man von der max-min-Verkettung,
die Methode nach Gl. (4.8) wird mit Hilfe des algebraischen Produkts bestimmt
und wird als max-prod-Verkettung bezeichnet. Im folgenden Beispiel wird anhand
einer einfachen IF-THEN -Regel die Fuzzy-Inferenz durch approximatives Schließen
mittels der max-min-Verkettung (Mamdani-Inferenzmethode) illustriert5 . Für ein
System mit zwei Eingängen x1 = a1 und x2 = a2 und dem Ausgang y gilt der
Zusammenhang:
IF x1 = A1 AND x2 = A2 THEN y = B
Die Regel wird als unscharfe Relation R auf X1 × X2 × Y und die Eingangswerte
x = (x1 , x2 ) als unscharfe Relation A auf X1 × X2 festgelegt. Die Bestimmung der
Zugehörigkeitsfunktion µB (y) erfolgt gemäß der Verkettungsregel B = R ◦ A
µB (y) = max x∈X min[µR (x1 , x2 , y), µA1 (x1 ), µA2 (x2 )]
= max x∈X min[µA1 (x1 ), µA2 (x2 ), µB (y), µA1 (x1 ), µA2 (x2 )]
= min[µA1 (a1 ), µA2 (a2 ), µB (y)]
(4.9)
Werden gleichzeitig mehrere Regeln aktiviert, so ergibt sich der unscharfe Ausgangswert B’ aus der Vereinigung der regelbezogenen Einzelergebnisse [3]. Nach der
Fuzzy-Inferenz erfolgt die Defuzzifikation, d.h. die Bildung einer skalaren Ausgangsgröße. Hierfür stehen verschiedene Methoden wie z.B. die Schwerpunktmethode6
für Fuzzy-Typen mit unscharfen Ausgangswerten7 oder die gewichtete Summe für
Fuzzy-Typen mit scharfen Ausgangswerten8 zur Verfügung. Für das in Gl. (4.9) angegebene Beispiel wird der skalare Ausgangswert y nach der Schwerpunktmethode
gemäß Gl. (4.10) berechnet
yCoG =
y
y · µB (y)dy
y
µB (y)dy
(4.10)
Die manuelle Parametrierung und Regelgenerierung von Fuzzy-Systemen ist sehr
zeitintensiv und oft nur suboptimal durchführbar. Automatische Adaptionsverfahren ermöglichen nach der heuristischen Festlegung der Zugehörigkeitsfunktionen
meist eine effiziente Parameter- und Strukturanpassung. In Kapitel 7 wird für
das Mamdani-Inferenz-System ein problemspezifisches Verfahren zur automatischen
5
Die Anwendung der max-prod-Verkettung zur Bildung des Inferenzmechanismus wird als
Larsen-Inferenzmethode bezeichnet.
6
Center of Gravity - CoG
7
Z.B. Mamdani-Inferenz-System
8
Z.B. Tsukamoto-Inferenz-System, Takagi-Sugeno-Inferenz-System, Sugeno-Inferenz-System.
50
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
Adaption der Regelbasis vorgestellt. In den folgenden Abschnitten erfolgt die Beschreibung der Identifikations-und Trainingsalgorithmen für das Takagi-Sugenobzw. Sugeno-Inferenz-System.
4.1.2
Takagi-Sugeno-System
Das Takagi-Sugeno-Inferenz-System (TS-System) ist ein weit verbreiteter FuzzyTyp, der sich besonders gut zur Approximation von nichtlinearen Systemen eignet.
Die Ausgangsschicht wird durch Polynomfunktionen der ersten Ordnung repräsentiert. Der Modellausgang y berechnet sich aus der Summe der gewichteten Polyˆ
nomfunktionen über alle R Regeln:
R
y=
ˆ
fi wi (x)
(4.11)
i=1
wobei
p
qil xl
fi = qi0 +
(4.12)
l=1
das i-te Polynommodell im Konsequenzteil ist. Jede Polynomfunktion wird beschrieben durch p Systemeingänge und p + 1 Koeffizienten. Der i-te Wichtungsfaktor
βi (x)
R
j=1 βj (x)
wi (x) =
(4.13)
charakterisiert den über alle Regeln standardisierten Regelaktivierungsgrad. Den
Regelaktivierungsgrad βi (x) erhält man durch das algebraische Produkt der Zugehörigkeitsfunktionen gemäß
p
βi (x) =
µij (xj ).
(4.14)
j=1
Die individuellen Zugehörigkeitsfunktionen µij (xj ) kennzeichnen den Grad der Abbildung des j-ten scharfen Eingangs xj auf die definierten charakteristischen Funktionen, die standardmäßig äquidistant über den Eingangsbereich verteilt sind. In
der Regel werden Gaußfunktionen zur Darstellung der unscharfen Eingangssituation herangezogen
(xj − c)2
2σ 2 .
µij (xj ) = e
−
(4.15)
4.1. FUZZY-INFERENZ-SYSTEME
51
Die Spezifikation des Takagi-Sugeno-Systems, d.h. die Festlegung der Zugehörigkeitsfunktionen und der Regelbasis, erfordert die Anwendung eines Identifikationsalgorithmus, um durch Optimierung der freien Parameter das Systemverhalten
akkurat wiedergeben zu können. In der Literatur sind mehrere Methoden zur Erstellung und Identifizierung von TS-Systemen beschrieben, wie z.B. die hybriden
Neuro-Fuzzy-Algorithmen ANFIS9 und LOLIMOT10 oder das rekursive OnlineAdaptionsverfahren mittels Least-Square-Schätzung [17], [34], [18]. Identifikationsverfahren, die neben der Identifikation der Polynomparamter auch eine Strukturoptimierung anhand neuronaler Traininigsalgorithmen11 vorsehen, benötigen eine
erhöhte Trainingszahl. Für die optimale Versuchsplanung und -durchführung kommt
in dieser Arbeit daher die gewichtete Least-Square-Schätzung (WLSE)12 zur Anwendung, die sich auf die Bestimmung der Polynomkoeffizienten (siehe Gl. (4.12))
beschränkt. Die Fuzzy-Struktur ist entsprechend geeignet vorzugeben. Im Gegensatz
zur globalen Parameterschätzung (Least-Square-Schätzung) werden die Koeffizienten bei der lokalen Schätzmethode für jede Regel separat berechnet. Die Vorteile
der gewichteten Least-Square-Schätzung sind die größere numerische Stabilität, die
geringere Berechnungskomplexität und die besseren Filtereigenschaften aufgrund
des internen Regularisierungseffekts [18].
ˆ
Der Ausgangsvektor y der i-ten Polynomfunktion enthält zur Parameterschätzung
N Ausgangswerte und wird entsprechend Gl. (4.16) aufgestellt
ˆ
y = X · qi
(4.16)
1 x1,1 x2,1 · · · xp,1
1 x1,2 x2,2 · · · xp,2
X = .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
1 x1,N x2,N · · · xp,N
(4.17)
wobei
die korrespondierende Regressionsmatrix für N Trainingsdaten and p Systemeingänge13 und
qi = qi0 qi1 . . . qip
9
T
(4.18)
Adaptive-Network-Based Fuzzy Inference System
LOcal LInear MOdel Tree
11
Die Strukturoptimierung beinhaltet die Anpassung der freien Paramter der definierten charakteristischen Funktionen
12
Weighted Least Square Estimation
13
Die Regressionsmatrix X bleibt für alle Regeln des Takagi-Sugeno.Inferenz-Systems identisch.
10
52
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
der Koeffizientenvektor der i-ten Polynomfunktion mit p+1 freien Parametern ist.
Die Ausgangswerte werden umso besser angepasst, je näher die Wichtungsfaktoren
ihrem Maximum kommen. Durch Minimierung der Gütefunktion
N
wi,j (yj − yj (xj , qi ))2 −→ min
ˆ
qi
j=1
(4.19)
ergibt sich der geschätzte Parametervektor der i-ten Regel
qi = (XT Wi X)−1 XT Wi y
(4.20)
mit den gemessenen Ausgangsdaten
y = y 0 y 1 . . . yN
T
(4.21)
und den Wichtungsfaktoren der i-ten Regel
Wi = diag wi,0 , . . . , wi,N
(4.22)
In Abb. 4.1 ist die Takagi-Sugeno-Struktur exemplarisch für ein System mit zwei
Eingängen x1 , x2 und einem Ausgang y dargestellt. Die Eingangsbereiche sind durch
jeweils drei Partitionen14 abgedeckt. Aus der vollfaktoriellen Kombination der Partitionen ergeben sich neun Fuzzy-Regeln. Jede Fuzzy-Regel wird durch ein lineares
Polynom repräsentiert, das wiederum von den Eingängen x1 und x2 abhängt. Der
Systemausgang y berechnet sich aus der Summe der gewichteten Polynome.
14
z.B. Gaußfunktionen
4.1. FUZZY-INFERENZ-SYSTEME
Partitionen
Wichtungsfaktoren
ß1
x
µ41
µ42
x2
x
w1
Polynomfunktionen
f1
.
x
x1
53
x
ß4
x
.
x
x
.
x
.
f4
.
x
w4
.
.
.
.
.
.
.
x
ß9
x
x
1
x
Σ ßi
i=1
w9
/
w 1(q11x1+q12x2+q10)
.
.
.
.
.
.
Σ
y
w 9(q91x1+q92x2+q90)
f9
x1 x2
i=9
Abb. 4.1: Takagi-Sugeno-Struktur am Beispiel eines Systems mit zwei Eingängen x1 , x2
und einem Ausgang y
4.1.3
Sugeno-System
Das in dieser Arbeit verwendete Sugeno-System unterscheidet sich vom TakagiSugeno-System dadurch, dass der Konsequenzteil nicht mehr durch Polynomfunktionen sondern durch Singletons15 repräsentiert wird. Der Ausgang y des Sugenoˆ
Systems ergibt sich entsprechend Gl. (4.23)
y=
ˆ
R
i=1 βi (x) · Si
R
i=1 βi (x)
(4.23)
wobei Si der Singleton der i-ten Regel ist
Der gewählte Trainingsalgorithmus lehnt sich an den neuronalen BackpropagationAlgorithmus16 an. Grundsätzliches Ziel dieses Verfahrens ist es, durch partielle Differentiation der Fehlerfunktion
1
ε = (y − y )2
ˆ
(4.24)
2
die freien Parameter der Ausgangsschicht (Singletons) und der Eingangsschicht (Parameter der Gaußfunktionen) iterativ anzupassen. Zur Anpassung der Singletons Si
15
16
Singletons sind skalare Werte.
Delta-Lernregel (Windrow-Hoff-Regel)
54
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
ist der Fehler ε der Ausgangsebene nach dem Singleton partiell abzuleiten.
∂ε
= − (y − y )
ˆ
∂Si
βi (x)
R
j=1 βj (x)
(4.25)
Die Parameteränderung von Si ergibt
Si = η (y − y )
ˆ
βi (x)
R
j=1 βj (x)
,
(4.26)
wobei η die Lernrate von Si ist. Der neue Singletonwert Sineu berechnet sich somit
aus dem alten Singletonwert zuzüglich des mit Hilfe der inkrementellen Gradientenabstiegsregel bestimmten Gradienten Si
Sineu = Sialt + η (y − y )
ˆ
βi (x)
R
j=1
βj (x)
(4.27)
Mittels der Lernrate lässt sich die Stärke der Parameteränderung beeinflussen. Von
der Wahl der richtigen Lernrate hängt der Erfolg des Modelltrainings maßgeblich ab.
Mit einer großen Lernrate können Plateaus, in denen die Konvergenzgeschwindigkeit
aufgrund sehr kleiner Gradienten rapide abnimmt, schnell durchlaufen werden, und
gegebenenfalls lokale Minima mit inakzeptablen Fehlerwerten verlassen werden. In
dieser Arbeit wurde zur Erstellung eines Sugeno-Motormodells eine Lernrate η = 0.7
festgelegt [31]. Die Regelbasis des Sugeno-Systems leitet sich aus der vollständigen
Kombination der pro Systemeingang definierten Partitionen ab. Da jeder FuzzyRegel ein Singleton zugeordnet wird, besitzt die Ausgangsschicht genau soviele zu
identifizierende Singletons, wie es Regeln innerhalb des Modells gibt.
Die Optimierung der Eingangsschicht des Sugeno-Systems sieht die partielle Differentiation der Fehlerfunktion entsprechend Gl. (4.24) nach den freien Parametern
der charakteristischen Funktionen vor. Die Gaußfunktion besitzt zwei manipulierbare Parameter - die Spreizung σ sowie die Lage bzw. das Symmetriezentrum c
(siehe Gl. (4.1)). Aus Effizienzgründen17 wird die Spreizung der Gaußfunktion fest
vorgegeben. Die Paramteränderung von c bezieht sich auf eine Partition in der Eingangsschicht und ist in Gl. (4.28) dargestellt.
cneu,(k) = calt,(k) +
a
a
c(k)
a
(4.28)
wobei a der aktuelle Eingang und k die korrespondierende Partition sind.
17
Da sich die Gaußparameter teilweise gegenseitig stark beeinflussen, wird auf eine gleichzeitige
Parameteroptimierung verzichtet.
4.1. FUZZY-INFERENZ-SYSTEME
55
Für die partielle Ableitung gilt:
(k)
∂ε
(k)
∂ca
∂ε ∂βi ∂µa
=
·
·
∂βi ∂µ(k) ∂c(k)
a
a
R
j=1
Si ·
∂ε
= − (y − y )
ˆ
∂βi
∂βi
(k)
∂µa
∂
=
p
j=1
R
j=1
βj −
R
j=1
βj · Sj
(4.30)
2
βj
µij
=
(k)
∂µa
(4.29)
βi
(4.31)
(k)
µa
(k)
(k)
∂µa
(k)
∂ca
=
(k)
xa − ca
σ2
Daraus folgt für die Parameteränderung
c(k)
a
(xa − ca )2
−
2σ 2
·e
(4.32)
(k)
ca nach entsprechender Vereinfachung:
= η · (y − y ) · (Si − y ) ·
ˆ
ˆ
(k)
xa − ca
·
R
σ2
j=1 βj
βi
(4.33)
wobei i die aktuelle Regel, a der aktuelle Eingang und k die korrespondierende Partition sind.
Die Parametrierung des Sugeno-Systems läuft in zwei Schritten ab. In der ersten Optimierungsphase werden die Singletons entsprechend Gl. (4.27) iterativ angepasst.
Im zweiten Schritt erfolgt die Berechnung der Eingangsparameter zur Feinjustierung des Modells (Gl. (4.33))18 . Die Grundlage der Modellidentifikation bildet der
Trainingsdatensatz, der mindestens so viele Trainingspunkte enthalten muss, wie
freie Parameter existieren. Mit steigendem Trainingsumfang wird die Allgemeingültigkeit des Sugeno-Systems bei gleich bleibender Komplexität grundsätzlich verbessert. Allerdings ist die anhand der Fehlerfunktion (Gl. (4.24)) bewertete Optimierungsqualität nicht beliebig steigerbar. Ähnlich wie bei der Anpassung der Optimierungsdurchläufe gilt es auch hier, das Aufwand-Nutzen-Verhältnis abzuschätzen,
um einen zu hohen Messumfang und unnötlig lange Rechenzeiten zu vermeiden [31].
18
Die Trennung beider Optimierungsphasen ist notwendig, da sich die Vorgaben für die benötigten Optimierungsdurchläufe aus Effizienzgründen unterscheiden. Daher ist eine gleichzeitige
Optimierung von Ein- und Ausgangsschicht nicht möglich.
56
4.2
4.2.1
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
Künstliche Neuronale Netze
Radiale-Basisfunktionen-Netze
Radiale-Basisfunktionen-Netze werden in der Regel für Approximations- und Klassifikationsaufgaben eingesetzt. Ihre Netzwerk-Topologie ist zweischichtig aufgebaut.
Die verdeckte innere Schicht enthält radialsymmetrische Funktionen, die den Abstand des Eingangsvektors x von ihren jeweiligen Zentren ci durch die Anwendung
der euklidischen Abstandsnorm bemessen. Gewöhnlich kommen radiale Basisfunktionen als Gaußfunktionen zum Einsatz.
−||x − ci ||
2
2σi
g (x) = e
(4.34)
i
Die Neuronen werden somit durch die radialen Basisfunktionen gi (x) repräsentiert.
Die Ausgänge der verdeckten Schicht werden über eine Linearkombination mit der
Ausgangsfunktion in der äußeren Schicht verbunden19 . Mit der in dieser Arbeit
festgelegten Identitätsfunktion20 als Ausgangsfunktion folgt für den in Gl. (4.35)
dargestellten Systemausgang
n
wi · gi (x)
y (x) =
ˆ
i=1
n
=
−||x − ci ||
2
2σi
wi · e
(4.35)
i=1
Die Elemente des Wichtungsvektors w = (w1 , . . . , wn )T kennzeichnen die zu den
Neuronen korrespondierenden Wichtungsfaktoren. Da die Systemgleichung im Bezug auf die Wichtungsfaktoren linear in den Paramtern ist, kann die Least-SquareSchätzmethode zur analytischen Optimierung angewendet werden. Ausgehend von
der Systembeschreibung
ys = G · w
(4.36)
mit dem Trainingausgangsvektor
ys = ys,0 . . . ys,N
19
T
(4.37)
ˆ
Existieren m Systemausgänge y(x) = (ˆ1 (x), . . . , ym (x)), so gibt es entsprechend m verschiey
ˆ
dene Linearkombinationen und Ausgangsfunktionen
20
f (z) = z (Identitätsfunktion)
4.2. KÜNSTLICHE NEURONALE NETZE
57
und der Neuronenmatrix
g1 (xs,1 ) · · · gn (xs,1 )
.
.
...
.
.
G=
.
.
g1 (xs,N ) · · · gn (xs,N )
(4.38)
folgt für den geschätzten Wichtungsvektor
w∗ = (GT G)−1 GT ys .
(4.39)
Für die Parametrierung der freien Parameter (Zentren c und Varianzen σ) in der
verdeckten Schicht bieten sich diverse Möglichkeiten des unüberwachten Lernens an.
Eine gängige und bewährte Methode ist das Gitterverfahren, bei dem ein Raster im
Eingangsbereich generiert und mit den Zentren der radialen Basisfunktionen belegt
wird21 . Die Varianzen können zur Bestimmung des Überlappungsgrades vorgegeben und, sofern erforderlich, iterativ angepasst werden. Ein weiteres unüberwachtes
Lernverfahren ist der K-Means-Algorithmus, der durch die iterative Klassifizierung
der Trainingsdaten Klassenrepräsentanten bildet, welche als Zentren der radialen
Basisfunktionen festgelegt werden. Der Trainingsprozess wird beendet, sobald stabile Zugehörigkeiten festgestellt werden können [3]. Alternativ kann die Adaption der
freien Parameter auf Basis überwachter Lernverfahren erfolgen, wie z.B. durch das
Gradientabstiegsverfahren unter Minimierung der quadratischen Fehlerfunktion22
oder durch die in [54] beschriebene Methode der fehlerbasierten Netzwerkadaption.
Hier wird die Netzstruktur während der Trainingsphase solange durch die iterative Hinzunahme eines Neurons in der verdeckten Schicht verändert, bis der Fehler
einen definierten Grenzwert unterschreitet. Das Zentrum des jeweils neu generierten
Neurons wird durch den Trainingspunkt abgebildet, der im Trainingsdatensatz die
größte Fehlerquote aufweist23 . Diese Funktionalität ermöglicht eine ideale Approximation, bei der der Trainingsfehler gegen null strebt. Die Allgemeingültigkeit des
Systems geht jedoch infolge der zu starken Überanpassung verloren.
4.2.2
Feedforward-Mehrschichtnetze
Feedforward-Mehrschichtnetze gelten als universale Approximatoren und werden
insbesondere für die Modellierung komplexer, nichtlinearer Systeme eingesetzt. Sie
21
Die Anzahl der Neuronen ist grundsätzlich frei wählbar. Mit zunehmender Anzahl steigt allerdings die Gefahr der Überanpassung.
22
Vgl. Vorgehensweise in Abschn. 4.1.3
23
Die Varianz σ ist hierbei frei konfigurierbar.
58
4
MODELLIERUNGSVERFAHREN
bestehen aus einer Eingabeschicht, mindestens einer verdeckten Schicht24 und einer
Ausgabeschicht. Zur Abbildung der Nichtlinearität sind nichtlineare Aktivierungsfunktionen erforderlich, die typischerweise als sigmoide Schwellwertfunktionen in
den verdeckten Schichten zum Einsatz kommen. Da sigmoide Funktionen über den
gesamten Gültigkeitsbereich stetig und differenzierbar sind, kann das Netztraining
unter Anwendung des Backpropagation-Verfahrens durchgeführt werden. Abb. 4.2
zeigt die Architektur eines dreischichtigen, vorwärtsgerichteten Netzes. Die Ein-
x1
x2
xk
xK
.. .
.. .
k = 1, …, K
wik
∑
1
∑
1
fv
.. .
1
wi0
fv
∑
.. .
1
fv
∑
i = 1, … ,I
fv
vji
1
∑
1
∑
fa
fa
y1
.. .1
vj0
y2
∑
.. .1
∑
fa
fa
yj
j = 1, …, J
yJ
Abb. 4.2: Feedforward-Netz mit einer verdeckten Schicht
gänge x = [x1 , . . . , xK ] werden mit den zu identifizierenden Wichtungsparametern
wi = [wi1 , . . . , wiK ] gewichtet und zuzüglich des Bias wi0 dem i-ten Neuron in der
verdeckten Schicht gemäß Gl. (4.40) zugeführt.
wik xk + wi0
hi =
(4.40)
k
Der Ausgang des i-ten Neurons ui in der verdeckten Schicht berechnet sich über die
Aktivierungsfunktion fv entsprechend Gl. (4.41)
wik xk + wi0
ui = fv (hi ) = fv
k
24
Hidden Layer
.
(4.41)
4.2. KÜNSTLICHE NEURONALE NETZE
59
Die Bestimmung des Netzausgangs yj erfolgt analog zur Berechnungsvorschrift der
zurückliegenden Schicht: die Ausgänge der verdeckten Schicht u = [u1 , . . . , uI ] werden mit den Wichtungsfaktoren vj = [vj1 , . . . , vjI ] multiplikativ verknüpft und bilden zusammen mit dem Bias vj0 den Eingang
zj =
vji ui + vj0 =
i
vji fv
wik xk + wi0
i
+ vj0 .
(4.42)
k
Durch die Aktivierung von zj mittels der Funktion fa erhält man anschließend den
Netzausgang25
+ vj0
wik xk + wi0
vji fv
yj = fa (zj ) = fa
i
.
(4.43)
k
Der Backpropagation-Algorithmus basiert auf der Minimierung der quadratischen
Fehlerfunktion, die in Gl. (4.44) für die Offline-Lernvariante aufgestellt ist. Das Fehlerquadrat wird über alle Trainingspaare gemittelt und zur Bewertung der Backpropagation herangezogen26 .
1
GF (w, v) =
2N
N
Eµ =
µ=1
1
2N
eµ
j
µ,j
2
=
1
2N
µ
dµ − yj
j
2
(4.44)
µ,j
N : Anzahl der Trainingsdaten
dj : Trainingswert von Ausgang j
Das Verfahren beruht darauf, den Fehler in Richtung des steilsten Abstiegs durch die
Bildung der partiellen Ableitungen nach den zu bestimmenden Gewichten zu verkleinern (Gradientenabstiegsverfahren). Die Gewichte werden zu Beginn des Trainings zufällig initialisiert. Die Änderungen der Gewichte (einschließlich der BiasGewichte) werden anschließend iterativ gemäß Gl. (4.45) modifiziert, bis das Minimum erreicht ist.
∆vji = −η
∂GF
;
∂vji
∆wik = −η
∂GF
,
∂wik
(4.45)
Die Lernrate η gibt die Größe der Gewichtsänderungen vor und muss entsprechend
vor Trainingsbeginn geeignet parametriert werden. Weitere maßgebliche Faktoren
für die Generalisierungsfähigkeit des Netzes sind die Anzahl der verdeckten Schichten und die Anzahl der darin enthaltenen Neuronen.
25
Wird in der Ausgabeschicht die lineare Identitätsfunktion eingesetzt, so folgt daraus: yj = zj
Die Online-Lernregel sieht eine Berechnung der Netzparameter nach jeder neuen Präsentation
der Trainingspaare vor, sodass die Mittelung entfällt [3].
26
60
5 Wissensbildung für den
stationären Motorbetrieb
5.1
5.1.1
Versuchsplanung auf Grundlage des TakagiSugeno-Systems
Konzept zur globalen Versuchsplanung
Das Ziel der Basisvermessung ist es, die notwendigen Informationen für die Bestimmung sicherer und stabiler Motorbetriebspunkte effizient bereit zu stellen. Diese beinhalten die Trainingsdaten zur Identifikation eines globalen Motormodells
sowie die für die Online-Optimierung benötigten Angaben über nicht fahrbare
Motorbetriebsbereiche. Die in der Vermessungsphase detektierten Motorgrenzwertverletzungen bezüglich Abgastemperatur und Zylinderspitzendruck sowie die ungünstigen Drehmoment- und Lambdabereiche können im Optimierungsbetrieb so
zweckmäßig ausgeschlossen werden. Die Bedingungen für eine zielgerichtete BasisKennfeldvermessung sind somit eine praktikable Durchführung des geplanten Motorversuches, eine Bereitstellung der optimierungsspezifischen Informationen in den
Motorbetriebsspunkten sowie die Gewährleistung einer ausreichend hohen Informationsgüte für die Modellidentifikation. Das Versuchsraum-Screening muss transparent und schnell durchführbar sein und dem globalen Vermessungscharakter entsprechen, indem überwiegend die äußeren Grenzen der Motorverstellparameterbereiche
erfasst und der Versuchsplanung zur Verfügung gestellt werden. Die lokalen Beschränkungen in den Motorbetriebspunkten werden im Anschluss an das Screening
beim Abfahren des Versuchsplans dynamisch adaptiert.
Als Grundlage für die erforderliche Versuchsplanung dient das in Abschn. 4.1.2 beschriebene Takagi-Sugeno-System. Analog zur DoE-basierten Vorgehensweise sollen
die Modellordnung sowie die Anzahl der zu vermessenden Messpunkte unter Berücksichtigung des für die Modellidentifikation geforderten Minimums frei wählbar sein.
Die Takagi-Sugeno-Struktur, d.h. die Art der Zugehörigkeitsfunktion am SystemEingang, wird fest vorgegeben. Die in Gl. (5.1) dargestellte Gaussfunktion eignet
5.1. VERSUCHSPLANUNG AUF GRUNDLAGE DES TAKAGI-SUGENO-SYSTEMS
61
sich aufgrund ihrer asymptotischen Eigenschaft1 , ihrer Differenzierbarkeit und Stetigkeit am besten zur Umsetzung der Modellidentifikation und aller weiterführenden
Modelluntersuchungen2 .
1 x−c
σ2
µ(x) = e− 2
(5.1)
Ausgangspunkt der Versuchsplanung ist die Festlegung der zu vermessenden Motorbetriebspunkte. Grundsätzlich kann die Wahl der Motorbetriebspunkte beliebig
getroffen werden. Im Hinblick auf die praktische Umsetzbarkeit ist ein rasterförmig angelegtes Design der Motorbetriebspunkte im Motorkennfeld mit Variation
der Motorverstellparameter am sinnvollsten, da die Versuchszeit durch kürzere Einschwingzeiten in den jeweiligen Motorbetriebspunkten reduziert wird und die nicht
fahrbaren Bereiche durch die adaptive Versuchsraumbeschränkung lokal sehr gut
abgebildet werden können. Diese Restriktionen gehen als wichtige Nebenbedingungen in die Online-Optimierung ein. Die Voraussetzung für eine effiziente Motorvermessung ist daher eine den gegebenen Bedingungen angepasste und nach Gütekriterien ausgerichtete Versuchsplanung mit begrenztem Versuchsumfang. Die Versuchsplanung für das Takagi-Sugeno-System hängt maßgeblich von zwei Faktoren
ab: von der Modellordnung, d.h. von der maximalen Regelanzahl, die sich aus der
vollfaktoriellen Kombination der Einganspartitionen ergibt, sowie von der Anzahl
und der Verteilung der Designpunkte innerhalb der partitionierten Modelleingangsbereiche. Tab. 5.1 zeigt einen Überblick über den Zusammenhang zwischen der
gewählten Anzahl der Partitionen je Eingang und der daraus resultierenden Regelund Parameteranzahl für ein 5-dimensionales Eingangsproblem. Theoretisch kann
u1
u2
u3
u4
u5
2
3
3
4
2
3
3
4
2
2
3
4
2
2
3
4
2
2
3
4
Regelanzahl
32
72
243
1024
Paramteranzahl
192
432
1458
6144
Tab. 5.1: Einfluss der gewählten Eingangspartitionen auf die Takagi-Sugeno-Ordnung:
Anzahl der Partitionen je Modelleingang, resultierende Regelanzahl und Parameteranzahl
für ein 5-dimensionales Eingangsproblem
die Modellordnung bei gleich bleibender Trainingsdatenanzahl beliebig erhöht werden, da eine Modellidentifikation aufgrund der beschriebenen Charakteristik der
Gaussfunktion stets durchgeführt werden kann. Praktisch wird die Modellordnung
1
Das asymptotische Verhalten der Gaussfunktion ermöglicht immer eine gleichzeitige Aktivierung aller Fuzzy-Regeln - unabhängig von dem am Eingang anliegenden Messdatenpunkt
2
Erstellung der Wissensbasis, vgl. Abschn. 5.3
62
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
durch die Gefahr der Überanpassung jedoch limitiert. Im Gegensatz zur Schätzung der DoE-basierten Polynommodelle, bei der das Minimum an benötigter Trainingsdatenanzahl der Anzahl der Modellparameter entspricht, kann bei der TakagiSugeno-Identifikation mittels gewichteter Least-Squares-Schätzung keine globale,
untere Grenze angegeben werden. Hier werden die Parameter der linearen Poylnommodelle unter Berücksichtigung der Regelaktivierungsgrade für jede Regel separat
berechnet3 .
Der Versuchsumfang ist somit über die Aufteilung (Abstufung) der Eingangsbereiche variabel einstellbar. Hierdurch wird ein direkter Eingriff in die Versuchsplanung
ermöglicht, wie z.B. die Vorgabe der zu vermessenden Motorbetriebspunkte oder die
Priorisierung bzw. die feinere Abtastung einzelner signifikanter Motorverstellparameter durch eine entsprechende Erhöhung der Abstufungen. Die Versuchsplanung
basiert auf der vollfaktoriellen Kombination der aufgeteilten Eingangsbereiche unter
Anwendung der DoE-Methodik zur effizienten Verteilung der Designpunkte. Abb.
5.1 veranschaulicht das Prinzip am Beispiel eines zweidimensionalen Systems mit je
einer Abstufung in den Eingangsbereichen. Die grau unterlegten Bereiche kennzeichnen die aus der spezifizierten Abstufung resultierenden vollfaktoriellen Kombinationen. Die Designpunkte sind entsprechend des D-optimalen Berechnungsmusters an
den Grenzen der gültigen Bereiche angesetzt und berücksichtigen jeweils nur die
für die Identifizierung der linearen Takagi-Sugeno-Polynome erforderliche Mindestanzahl (ohne optionale Zusatzpunkte). Der Basis-Versuchsplan enthält - gemäß Gl.
(5.2) - 12 Designpunkte, die auf die gewählte Fuzzy-Struktur abgebildet werden.
m
UT S = (m + 1 + k) ·
b(i)
(5.2)
i=1
UT S : Versuchsumfang
m:
Anzahl der Modelleingänge
b:
Anzahl der aufgeteilten Bereiche
k:
Anzahl der Zusatzpunkte
Tab. 5.2 zeigt den korrespondierenden Basis-Versuchsplan. Aufgrund direkt angrenzender Eingangsbereiche fallen mehrere Designpunkte aufeinander, so dass der
ursprüngliche Versuchsumfang reduziert und ein modifizierter Versuchsplan mit nur
8 Designpunkten angegeben werden kann4 . Wird die Abtastung der Eingangsbereiche abgeändert (siehe Abb. 5.2 und Tab. 5.3), so zieht dies aufgrund der veränderten
Kombinatorik sowohl einen angepassten Versuchsumfang als auch eine neue Verteilung und damit eine neue Abbildung der Designpunkte auf die Fuzzy-Struktur nach
3
Die lokale Schätzung erfordert lediglich (Eingangs-Dimensionalität + 1)-Trainingsdatenpunkte
4
Anmerkung: Designpunkte 2, 7 und 12 sind gleich, Designpunkte 1 und 6 sowie Designpunkte
5 und 10
5.1. VERSUCHSPLANUNG AUF GRUNDLAGE DES TAKAGI-SUGENO-SYSTEMS
Eingang u1
X
Eingang u2
X
3
1,3
1,2
X
X
2
X
X
3
0
0.5
1
1,3
0
0.5
Eingang u1
X
0,6
6
X
5
X
X
4,5
0.5
X
1
0
Eingang u1
0,6
0.5
8
7,8
X
9
8
0.5
1
0
Eingang u1
0.5
X
1
Eingang u2
X
10,11
X
11
10,12
12
X
X
X
10,11
0.5
X
7,9
X
X
0
1
Eingang u2
X
9
0
1
Eingang u2
X
4,5
0
63
1
X
11
0
0.5
1
Abb. 5.1: Verteilung der Designpunkte für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 1 Abstufung, 2 Fuzzy-Partitionen; Eingang u2 : 1 Abstufung, 2 Fuzzy-Partitionen
sich. Bleibt hingegen die Abtastung unverändert, so kann die Qualität der Versuchsplanung ausschließlich durch die Variation der Modellordnung beeinflusst werden.
Das Ziel ist es, einen ausgewogenen Kompromiss zwischen der Minimierung des Versuchsaufwands einerseits und der Maximierung des für die Modellbildung erforderli-
64
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
chen Informationsgewinns andererseits sicherzustellen. Für die Bewertung der Versuchsplanung ist folglich ein auf das Takagi-Sugeno-System abgestimmtes mathematisches Optimalitätskriterium erforderlich. Die mit den DoE-Polynommodellen
verwandte Modellstruktur5 sowie der vergleichbare Schätzalgorithmus6 motivieren
zu einer analogen Berechnungsvorschrift. Im folgenden Kapitel erfolgt die mathematische Beleuchtung der auf dem Takagi-Sugeno-System basierenden Kovarianzmatrix.
Designpunkt Eingang u1
1
0.5
2
0.5
3
0
4
1
5
1
6
0.5
7
0.5
8
0.5
9
0
10
1
11
1
12
0.5
Eingang u2
0
0.5
0
0
0.5
0
0.5
1
0.5
0.5
1
0.5
Tab. 5.2: Basis-Versuchsplan für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 1
Abstufung; Eingang u2 : 1 Abstufung
Designpunkt Eingang u1
1
1/3
2
1/3
3
0
4
2/3
5
2/3
6
1/3
7
1
8
1
9
2/3
Eingang u2
1
0
0
1
0
0
1
0
0
Tab. 5.3: Basis-Versuchsplan für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 2
Abstufungen; Eingang u2 : keine Abstufung
5
6
Polynomfunktionen als Ausgangs-Zugehörigkeitsfunktionen des Takagi-Sugeno-Systems
WLSE - Weighted Least Square Estimation, siehe Abschn. 4.1.2
5.1. VERSUCHSPLANUNG AUF GRUNDLAGE DES TAKAGI-SUGENO-SYSTEMS
Eingang u1
X
3
65
Eingang u2
X
1,2
X
2,3
1
2,3
1
X
X
1,2
X
0
X
3
1/3
2/3
1
0
1
Eingang u1
Eingang u2
X
X
6
X 6
4,5
5,6
4
5,6
4
X
X
4,5 X
X
0
X
1/3
2/3
1
0
X
1
Eingang u1
Eingang u2
9
7,8
X
X
X
X
1
0
8,9
X
7
8,9
X
7
X
9X
7,8
0
1/3
2/3
1
Abb. 5.2: Verteilung der Designpunkte für ein zweidimensionales Eingangsproblem. Eingang u1 : 2 Abstufungen, 2 Fuzzy-Partitionen; Eingang u2 : keine Abstufung, 2 FuzzyPartitionen
5.1.2
Bewertungskriterium zur optimalen Versuchsplanung
Der Entwicklungsansatz sieht eine Aufstellung und eine integrale Zusammenfassung der lokalen, für jede Fuzzy-Regel separat zu berechnenden Varianz-/Kovarianzmatrizen cov(ˆi ) vor. Das Bewertungskriterium liefert damit eine qualitative Ausa
sage über die im Mittel berechneten Varianzen der geschätzten Modellparameter
des Takagi-Sugeno-Systems. Die Grundlage der Berechnungsvorschrift sind die zur
multivariaten Regression gemachten statistischen Annahmen7 . Gemäß des in Gl.
(4.19) aufgestellten Gütekriteriums ergeben sich die geschätzten Parameter der liξ
nearen Polynomfunktion yi = X · ai +ξ i der i-ten Regel des Takagi-Sugeno-Systems
aus:
7
vgl. Abschn. 2.5.1
66
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
ˆi = (XT · Wi · X)−1 · XT · Wi · yi .
a
Die Fehlerterme der lokalen Polynomfunktionen entsprechen der Normalverteilung
N (0, σi ), d.h. dass die Mittelwerte identisch 0, die Fehlervarianzen konstant und die
Fehler unabhängig voneinander sind. Für die i-te Parameterschätzung des TakagiSugeno-Systems gilt somit:
E (ξi,k )
cov (ξi,k )
cov (ξi,k , ξi,j )
=0
2
= σi
=0
für alle k = 1, . . . , n
für alle k = 1, . . . , n
für alle k = j
Die Erwartungstreue des Schätzers berechnet sich unter Berücksichtigung der obigen
Annahmen für die i-te Fuzzy-Polynomfunktion zu:
E(ˆi ) = E((XT · Wi · X)−1 · XT · Wi · yi )
a
= E((XT · Wi · X)−1 · XT · Wi · (X · ai + ξ i ))
(5.3)
= ai + E((XT · Wi · X)−1 · XT · Wi · ξ i )
= ai
Die Kovarianzmatrix der Koeffizienten der i-ten Fuzzy-Polynomfunktion lautet folglich:
cov(ˆi ) = E((ˆi − ai ) · (ˆi − ai )T )
a
a
a
= E(ˆi · ˆi ) − E(ˆi · aT ) − E(ai · ˆT ) + E(ai · aT )
a a
a
ai
i
i
= E(ˆi · ˆi ) − E(ˆi ) · aT − ai · E(ˆT ) + ai · aT
a a
a
ai
i
i
= E(ˆi · ˆi ) − ai · aT
a a
i
= ai ·
aT
i
+
2
σi
(5.4)
−1
T
· (X · Wi · X)
· (XT · Wi · X)−1 · XT · Wi
T
T
· X · Wi
− ai · aT
i
2
= σi · (XT · Wi · X)−1 · XT · Wi · (XT · Wi · X)−1 · XT · Wi
T
Die global zu minimierende Bewertungsformel in Gl. (5.5) ergibt sich aus dem Mittelwert der Determinanten der Kovarianzmatrizen, die lokal für jede Fuzzy-Regel
bestimmt werden. Es fällt auf, dass neben der Designmatrix X, die die Anordnung
5.1. VERSUCHSPLANUNG AUF GRUNDLAGE DES TAKAGI-SUGENO-SYSTEMS
67
der Designpunkte im Versuchsraum repräsentiert, auch die normierten Wichtungsdiagonalmatrizen Wi und damit die gewählte Modellordnung die Varianz beeinflussen. Es gilt nun zu prüfen, welche Kombination aus Designmatrix X und Wichtungsdiagonalmatrizen Wi die geringste Varianz aufweist. Die freien Parameter sind
die Abstufung der Modell-Eingangsbereiche (Verteilung der Designpunkte) und die
Anzahl der Eingangspartitionen (Struktur des Takagi-Sugeno-Systems).
Gint
1
=
R
R
det(cov(ˆi )) → min
a
(5.5)
i=1
mit R: Anzahl der Fuzzy-Regeln
5.1.3
Versuchsplanung am Beispiel eines mehrdimensionalen Eingangsproblems
Die Ermittlung des optimalen Versuchsplans erfolgt unter Festlegung des maximalen Versuchsumfangs und Abschätzung des erforderlichen Mindestbedarfs8 . Am Beispiel eines 8-dimensionalen Eingangsproblems werden definierte Verteilungsmuster
auf vier verschiedene Strukturen des Takagi-Sugeno-Systems unter Konstanthaltung
des Versuchsumfangs9 abgebildet. Tab. 5.4 zeigt die Konfigurationsparameter der
Versuchspläne. Die Versuchspläne TS-Design 1, TS-Design 2 und TS-Design 3 beziehen sich auf Gl. (5.2) und sehen verschiedene Abstufungen der Eingangsbereiche
vor. Da diese unterschiedliche Basis-Umfänge nach sich ziehen, werden zusätzliche
Designpunkte zur Einhaltung eines konstanten Versuchsumfangs vorgesehen. Die zu
Vergleichszwecken dienenden Versuchspläne TS-Design 4+LHS und LHS bestehen
partiell bzw. vollständig aus Designpunkten, die durch die in Abschn. 2.5 vorgestellte Latin-Hypercube-Sampling-Methode (LHS) bereitgestellt werden.
Abb. 5.3 zeigt das Ergebnis der aus den berechneten Versuchsplänen resultierenden
gemittelten Determinanten der Kovarianzmatrizen nach Gl. (5.5). Grundsätzlich
weist der Versuchsplan TS-Design 1 in der vergleichenden Gegenüberstellung die
kleinste Kovarianz auf. Diese Charakteristik stellt sich unabhängig von der gewählten Modellordnung ein und beruht auf der feineren Partitionierung der ersten beiden
Eingangsbereiche. Je feiner die Partitionierung ist, desto stärker wirkt sich der Einfluss der in differenzierterer Form auftretenden Wichtungen der Fuzzy-Regeln auf
die Kovarianzmatrizen aus (siehe Gl. (5.4)). Die raumfüllende Methodik, die sich
prinzipiell nur zur ergänzenden Versuchsplanung eignet, führt insbesondere in Verbindung mit dem Takagi-Sugeno-basierten Versuchsplan (TS-Design 4+LHS ) zu
den größten Kovarianzwerten. Die besten absoluten Optimierungsresultate werden
8
9
Der Mindestbedarf kann, wie bereits in Abschn. 5.1.1 erwähnt, global nicht vorgegeben werden
Es werden 324 Designpunkte als Versuchsumfang festgelegt
68
5
b
m
k
LHSPunkte
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
TS-Design 1 TS-Design 2 TS-Design 3 TS-Design 4+LHS LHS
[33112211]
[32112211]
[22112211]
[22112211]
8
8
8
8
0
5
14
0
-
-
-
182
324
Modellordnung
32
64
256
576
Regeln
Regeln
Regeln
Regeln
Anzahl Partitionen [22111222] [22112222] [22222222] [33222222]
Tab. 5.4: Optimale Versuchsplanung: Versuchsplan-Konfiguration und Variation der Modellordnung für ein 8-dimensionales Eingangsproblem
- bei gleich bleibendem Versuchsumfang - in der Regel mit der kleinsten Modellordnung (32 Fuzzy-Regeln) erzielt. Die Fuzzy-Regeln werden durch die verteilten
Designpunkte wesentlich stärker repräsentiert, d.h., dass sich auch hier stärkere
Regelgewichtungen und damit betragsmäßig größere Wichtungsfaktoren einstellen,
die den Invertierungsterm (XT · Wi · X)−1 in Gl. (5.4) aufgrund des quadratisch
angenäherten Anteils stark reduziert10 . Die Frage, mit welcher Modellordnung das
nichtlineare Motorverhalten über einen sehr großen Motorbetriebsbereich am besten
abgebildet werden kann, wird letztendlich in der Modellbildungsphase beantwortet,
da die Verteilung der Designpunkte davon unbetroffen ist.
Generell zeigt die Takagi-Sugeno-basierte Versuchsplanung mit der DoE-Methodik
eine vergleichbare Eigenschaft auf: mit zunehmendem Versuchsumfang wird die Kovarianz immer stärker reduziert. In Tab. A.1 und Tab. A.2 sind die Konfigurationen
und in Abb. A.1 die Ergebnisse der Variation der Zusatzpunkte und der Abstufungen exemplarisch für eine Modellordnung des Takagi-Sugeno-Systems11 dargestellt.
Wird die Anzahl der Zusatzpunkte systematisch erhöht, so geht dies mit einer eindeutig korrespondierenden Verringerung der Kovarianz einher. Bei der Variation
der Abstufungen ist dies tendenziell ebenfalls beobachtbar, allerdings kann hier
ein reduzierter Versuchsumfang durch eine sehr feine Rasterung weniger Eingangsbereiche kompensiert werden. Derart feine Rasterungen müssen insgesamt durch
gröbere Aufteilungen der Eingangsbereiche aufgrund des einzuhaltenden maximalen Versuchsumfangs in Kauf genommen werden und sind in der Praxis lediglich für
die Betriebspunktgrößen Motordrehzahl und Last zur Spezifikation des zu vermessenden Motorkennfeldbereichs umsetzbar.
10
Mit steigenden Wichtungsfaktoren nähern sich die Wichtungsmatrizen Wi der Einheitsmatrix
I an.
11
Modellordnung: 64 Regeln
5.1. VERSUCHSPLANUNG AUF GRUNDLAGE DES TAKAGI-SUGENO-SYSTEMS
69
Versuchsumfang: 324 Designpunkte
7,1E-06
7,00E-09
6,00E-08
6,50E-09
5,50E-08
6,00E-09
5,00E-08
5,50E-09
4,50E-09
4,00E-09
3,50E-09
4,50E-08
Gütemaß Gint
Gütemaß Gint
5,00E-09
TS-Design 1
TS-Design 2
TS-Design 3
TS-Design 4
+LHS
LHS
3,00E-09
2,50E-09
4,00E-08
3,50E-08
3,00E-08
TS-Design 1
TS-Design 2
TS-Design 3
TS-Design 4
+LHS
LHS
2,50E-08
2,00E-08
2,00E-09
1,50E-08
1,50E-09
1,00E-08
1,00E-09
5,00E-10
5,00E-09
0,00E+00
0,00E+00
64 Fuzzy-Regeln
32 Fuzzy-Regeln
5,00E-06
1,96E-05
5,00E-03
4,50E-06
Gütemaß Gint
3,50E-06
3,00E-06
4,50E-03
TS-Design 1
TS-Design 2
TS-Design 3
TS-Design 4
+LHS
LHS
2,50E-06
2,00E-06
4,00E-03
3,50E-03
Gütemaß Gint
4,00E-06
4,7E-02 2,5E-02
3,00E-03
TS-Design 1
TS-Design 2
TS-Design 3
TS-Design 4
+LHS
LHS
2,50E-03
2,00E-03
1,50E-06
1,50E-03
1,00E-06
1,00E-03
5,00E-07
5,00E-04
0,00E+00
0,00E+00
256 Fuzzy-Regeln
576 Fuzzy-Regeln
Abb. 5.3: Optimale Versuchsplanung: vergleichende Gegenüberstellung der gemittelten
Determinanten der Kovarianzmatrizen zur Evaluierung der Versuchsplanung für ein 8dimensionales Eingangsproblem
70
5
5.2
5.2.1
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Automatische Kennfeldvermessung
Online-Screening des Hyperraumes in ausgewählten
stationären Motorbetriebspunkten
Die Strategie zur automatischen Vermessung des Fuzzy-basierten Versuchsplans
sieht zwei Vermessungsschritte vor: im ersten Schritt erfolgt die Ermittlung des
globalen Hyperraums12 der Verstellparameter, welcher Grundvoraussetzung für die
Versuchsplanung ist. Hierzu werden charakteristische Motorbetriebspunkte wie z.B.
die Eckpunkte des zu vermessenden Motorkennfeldes zum Screening ausgewählt
(siehe Abb. 5.4 links). Das primäre Ziel ist es, die äußeren Verstellparametergren-
Sreening-Punkte
Endpunkt
nicht
fahrbar
Zwischenpunkt
(optional)
Verstellparameter 2
Lastbereich
Stabiler Ausgangspunkt
Screening
up
Screening
down
Motorkennfeldbereich
nicht
fahrbar
Motordrehzahlbereich
Verstellparameter 1
Abb. 5.4: Auswahl charakteristischer Motorbetriebspunkte des zu vermessenden Motorkennfeldes und Screening des globalen Hyperraumes der Verstellparameter
zen, d.h. die minimal und die maximal einstellbaren Verstellparameterwerte automatisch zu detektieren und der Versuchsplanung als globale Grenzen bereitzustellen. Abb. 5.4 (rechts) verdeutlicht das Prinzip exemplarisch für ein zweidimensionales Screening-Problem. Ausgehend von einem stabilen, manuell einzustellenden
Startpunkt werden mit fester Schrittweite und definierter Priorisierung der Verstellparameter eine obere Grenze (Screening up) und eine untere Grenze (Screening
down) systematisch ertastet13 . Mit der Durchführung beider Screening-Phasen wer12
Unter dem globalen Hyperraum versteht man den mehrdimensionalen Parameterraum, der
sich über den gesamten Motorbetriebsbereich erstreckt. Der lokale Hyperraum erfasst nur den
Parameterbereich in einem stationären Motorbetriebspunkt.
13
Da das Screening immer vom gewählten Startpunkt abhängt, wird die Einparameterverstellstrategie nach [41] der Vektorverstellstrategie vorgezogen. Wegen der typischen Wechselbeziehun-
5.2. AUTOMATISCHE KENNFELDVERMESSUNG
71
den wichtige Zusatzinformationen über die lokalen Beschränkungen in den jeweiligen Screening-Punkten geliefert14 . Aufgrund des großen Betriebsbereichs sind die
Parameter-Spreizungen im globalen Hyperraum insgesamt sehr groß. Zur besseren
Voranpassung des Versuchsplans werden daher die Informationen aus den ScreeningVersuchen genutzt, um auch lokale Beschränkungen zu approximieren und diese im
Versuchsplan durch Modifikationen zu berücksichtigen15 .
In Abb. 5.5 ist der am hochdynamischen Motorprüfstand umgesetzte Ablaufplan
zum Screening des globalen Hyperraumes dargestellt: aus dem spezifizierten Versuchsplan wird zunächst der anzufahrende Motorbetriebspunkt ausgelesen. Die SollMotordrehzahl wird zur Regelung an die SPS S516 übergeben und die gewünschte
Einspritzmenge anschließend zur Lastaufprägung über den Fahrhebelsteller eingeregelt. Der Startpunkt, d.h. die Ausgangskombination der Verstellparameter im
Motorsteuergerät, muss im Vorfeld manuell eingestellt werden und demzufolge unkritisch sein, um im Falle einer Grenzwertverletzung die erforderliche Rückzugsstrategie in Richtung des stabilen Basispunktes anwenden zu können. Nach Beendigung des Einschwingvorgangs17 wird die Einparameterverstellung in der ScreeningSubroutine vorgenommen. Die Schrittweiten sowie die Anzahl der Iterationen sind
frei wählbar und können für jeden Verstellparameter separat getroffen werden. Im
Anschluss an die Übergabe der Verstellparameterkombination an das Applikationssteuergerät werden die kritischen Motorgrößen auf Einhaltung der festgelegten
Grenzen geprüft. Tritt eine Grenzwertverletzung auf, so wird zunächst eine Kurzzeitmessung durchgeführt. Dies ermöglicht die obligatorische Dokumentation des
nicht fahrbaren Motorraums und damit die Angabe der für die Optimierung wichtigen Restriktionen. Anschließend wird die nicht fahrbare Einstellung zurückgenommen und zum nächsten Verstellparameter übergegangen. Tritt keine Grenzwertverletzung auf, so wird der eingeschwungene Motorbetriebszustand abgewartet und
darauf folgend die Messung eingeleitet. Der Zyklus wiederholt sich dann so oft, bis
die Motorgrenze oder die maximale Anzahl der zu untersuchenden Schritte erreicht
worden ist.
gen der Verstellparameter gibt es mehrere obere und untere Parametergrenzen; durch die vorgegebene Priorisierung kann allerdings eine gezieltere Beeinflussung des Screenings vorgenommen
werden.
14
Prinzipiell ist jeweils nur eine Screening-Phase für die Detektion der globalen Parametergenzen
erforderlich, wie z.B. die Screening Up-Phase im oberen Lastbereich oder Screening Down-Phase
im unteren Lastbereich.
15
Optional können noch weitere Screening-Punkte herangezogen werden, um die Approximation
der lokalen Beschränkungen zusätzlich zu verbessern, vgl. Abb. 5.4 links
16
Bezeichnung für die Prüfstandsautomatisierung
17
Die Einschwingzeiten sind nicht fest, sondern variieren in Abhängigkeit der Einschwingcharakteristik.
72
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Versuchsplan
Versuchspunkt aus
Liste übernehmen
Soll-Drehzahl an SPS S5
übergeben
Soll-Einspritzmenge
einregeln
Subroutine
Screening
Änderung des
Verstellparameters
Einschwingzeit
Kritische Grenzen
eingehalten?
Nein
Kurzzeitmessung
Ja
Rückstellen auf
Ausgangswert
Messen /Speichern
Schrittzahl /
Sicherheitsgrenze
erreicht?
Nein
Selben / Nächsten
Parameter verstellen?
Nein
Ja
Beenden
Abb. 5.5: Ablaufplan zum Screening
Ja
5.2. AUTOMATISCHE KENNFELDVERMESSUNG
5.2.2
73
Automatische Vermessung unter dynamischer Adaption lokaler Versuchsraumbeschränkungen
Im zweiten Vermessungsschritt wird der erstellte und vorangepasste Versuchsplan
automatisch vermessen, welcher rasterförmig im Motorbetriebsbereich angelegt ist
(siehe Abb. 5.6 links). Der Vorteil in der praktischen Durchführung der Kennfeldvermessung ist, dass im Vergleich zur Umsetzung globaler statistischer Versuchspläne
kürzere Einschwingzeiten durch die Parametervariationen in den stationären Motorbetriebspunkten anfallen und dass lokale Beschränkungen durch die adaptive
Vermessungsmethodik erkannt, dokumentiert und als wichtige Limitierungen für
einen effektiven Optimierungsprozess genutzt werden können. Diese Motorbetriebspunkte werden direkt zur Basisapplikation herangezogen18 . Die erwähnten lokalen
Restriktionen werden - sofern nicht von den Screening-Versuchen bereits erfasst - dynamisch durch die modifizierte Anwendung der Vektorverstellstrategie nach [41] angepasst. Die Modifikation besteht darin, dass für jeden stationären Motorbetriebs-
B
Motorbetriebspunkte
2
Endpunkt
5
Zwischenpunkt
3
Lastbereich
Verstellparameter 2
Designpunkt
A
4
nicht
fahrbar
1
Motorkennfeldbereich
Motordrehzahlbereich
Verstellparameter 1
Abb. 5.6: Auswahl und Screening charakteristischer Motorbetriebspunkte des zu vermessenden Motorkennfeldes zur Ermittlung des globalen Hyperraumes der Verstellparameter
punkt im Kennfeldbereich ein stabiler Ausgangspunkt ermittelt wird. Von diesen
jeweils ausgehend, werden alle anderen Designpunkte im Versuchsplan direkt und
nicht in Schritten angefahren. Erst wenn nach dem Anfahren wider Erwarten eine
Grenzwertverletzung auftritt und die Fahrbarkeit somit nicht gewährleistet ist, wird
mit definierter Schrittweite in Richtung des Ausgangswertes zurück gefahren. Nach
18
Grundsätzlich können beliebige Motorbetriebspunkte zur Grundoptimierung ausgewählt werden. Die für die Optimierung erforderlichen Informationen bezüglich nicht fahrbarer Motorräume
können dann allerdings nur durch Interpolation geschätzt werden.
74
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
jeder Verstellung erfolgt die Überprüfung der Grenzwerteinhaltung. Um den ErsatzVersuchspunkt möglichst nahe an der Fahrbarkeitsgrenze zu platzieren und daher
einen guten Kompromiss für den nicht erreichten Zielwert zu erhalten, ist die umgesetzte Verstellstrategie mit einer zusätzlichen Vorwärts-Rückwärts-Schrittstrategie
versehen. Die Vorgehensweise wird in Abb. 5.6 (rechts) am zweidimensionalen Beispiel verdeutlicht. Vom Startwert A wird direkt zum Zielwert B gefahren. Die Überwachung registriert, dass ein oder mehrere Grenzwerte überschritten wurden (2).
Daraufhin wird unverzüglich die halbe Wegstrecke Start-Ziel ermittelt und angefahren. In diesem Fall werden die Grenzen wieder eingehalten. Da es sich bei diesem
Zwischenpunkt (3) aufgrund des zu großen Abstands vom Grenzbereich um keinen
optimalen Ersatz handelt, wird im nächsten Schritt die halbe Wegstrecke berechnet
und zum Punkt (3) hinzu addiert. Das Ergebnis ist Punkt (4), der wieder im kritischen Bereich liegt. Der Prozess wird solange durchgeführt, bis die Routine einen
annehmbaren Ersatz-Versuchspunkt (5) ermittelt hat. Die Wegstreckenhalbierung
ist fest im Programm installiert, die Anzahl der möglichen Vorwärtsschritte kann
individuell festgelegt werden. Die Anzahl der Rückwärtsschritte hingegen ist nicht
wählbar, da der Rückzug aus kritischen Bereichen in jedem Fall erfolgen muss.
Abb. 5.7 zeigt den entsprechenden Ablaufplan zur automatischen Kennfeldvermessung. Neben den harten Kriterien Abgastemperatur und Zylinderspitzendruck werden auch weiche Kriterien geprüft. Diese führen im Falle einer Grenzwertüberschreitung nicht zu einer Beschädigung des Motors, sondern kennzeichnen Motorbetriebszustände, die für den Applikationsprozess als nicht fahrbar deklariert werden. Zu
den weichen Kriterien werden das Luftverhältnis und das Motordrehmoment gezählt, d.h. dass das für den dieselmotorischen Betrieb unverträgliche unterstöchimetrische Luftverhältnis ebenso unterbunden wird wie negative Motordrehmomente
bzw. Schleppmomente in den unteren Lastbereichen des Motorkennfeldes. Des Weiteren werden große Abweichungen zwischen den Vorgaben aus dem Versuchsplan
und den aus dem Motorsteuergerät ausgelesenen und tatsächlich wirksam werdenden Verstellparametern zur besseren Eingrenzung der lokalen Hyperräume im Hinblick auf die Optimierung registriert. Prinzipiell kann auch hier die Vektorverstellstrategie herangezogen werden, um die Grenzen der Hyperräume in den stationären
Motorbetriebspunkten automatisch auszuloten.
5.2. AUTOMATISCHE KENNFELDVERMESSUNG
75
Versuchsplan
Versuchspunkt aus
Liste übernehmen
Soll-Drehzahl an SPS S5
übergeben
Soll-Einspritzmenge
einregeln
Subroutine
Vektorverstellung
Änderung des
Parametersatzes
Einschwingzeit
Kritische Grenzen
eingehalten?
Nein
Ja
Vorwärtsverstellung
Schrittrichtung vor?
Ja
Kurzzeitmessung
Rückwärtsverstellung
Neuen Parametersatz
berechnen
Nein
Messen /Speichern
Ende des Versuchsplans erreicht?
Nein
Ja
Beenden
Abb. 5.7: Ablaufplan zur automatischen Vermessung unter dynamischer Adaption lokaler Versuchsraumbeschränkungen
76
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
5.3
Erstellung der Wissensbasis
5.3.1
Motivation und Problemstellung
Das Ziel der Untersuchungen ist die Entwicklung eines geeigneten Optimierungsalgorithmus, mit dem eine Steuergeräte-Applikation online am Motorprüfstand effektiv möglich ist. Folgende Voraussetzungen sollten hierbei erfüllt sein:
• der Optimierungs-Algorithmus ist nahezu unabhängig vom gewählten Startpunkt im Hyperraum
• der Optimierungsansatz ist auf komplexe Motorsysteme anwendbar
• die praktische Umsetzbarkeit des Optimierungs-Algorithmus am Motorprüfstand ist gewährleistet, d.h. die Optimierungslösung konvergiert schnell; die
Anzahl der Optimierungsdurchläufe ist begrenzt
Die konventionellen Optimierungs-Algorithmen sind bezüglich der oben gestellten
Bedingungen nicht geeignet. Insbesondere die gradientenbasierten Methoden stoßen aufgrund ihrer Eigenschaft, lokale Optima im Suchraum zu ermitteln, auf ihre
Grenzen. Genetische Algorithmen weisen zwar konvergierendes Optimierungsverhalten auf, lassen sich allerdings aufgrund ihres hohen Iterationsbedarfs nicht in
dieser Form online einsetzen. Daher ist ein konzeptionell neuartiges Verfahren erforderlich, das die genannten Nachteile adäquat behebt.
Die Idee des wissensbasierten Ansatzes besteht nun darin, die auf Expertenwissen
beruhende Vorgehensweise eines Prüfstandsingenieurs in der Bedatung von Motorsteuerkennfeldern nachzubilden und auf manuell nicht mehr zu bewältigende
mehrdimensionale Optimierungssysteme zu übertragen. Um ein derartiges Expertensystem aufzubauen, muss das erforderliche Expertenwissen, das sich aus den motortechnischen Zusammenhängen ableitet, formalisiert, in geeigneter Weise repräsentiert und als Wissensbasis zusammengefasst zur Anwendung gebracht werden.
Expertensysteme eignen sich vor allem für Anwendungsbereiche, in denen das Wissen bzw. die Daten teilweise unsicher und unvollständig sind. Sie verfügen über eine
hohe Problemlösungsfähigkeit und die Tranzparenz, um ihre Problemlösung durch
Angabe des benutzten Wissens zu erklären [50]19 . Abb. 5.8 zeigt den Vergleich zwischen einem konventionell eingesetzten Programm und einem Expertensystem, in
dem das Expertenwissen zwecks effizienterer Entwicklung und Anwendung von der
Lösungsstrategie getrennt ist. Im Hinblick auf die zu implementierende wissensbasierte Online-Optimierung bedeutet dies, dass die Verknüpfung aus Wissensbasis und der dazu gehörigen Lösungsstrategie den klassischen Optimierungsalgorith19
Ein Expertensystem ist nur auf einem bestimmten Gebiet einsetzbar. Es ist kein allgemeines Problemlösungsprogramm. Die Anwendungsgebiete sind z.B. die Überwachung technischer
Prozesse, die medizinische und technische Diagnostik.
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
Algorithmen
77
Problemlösungsstrategien
Wissen
Daten
Konventionelle
Programme
Daten
Expertensysteme
Abb. 5.8: Vergleich von konventioneller Programmierung und Expertensystemen nach
[50]
mus20 ersetzt. Die Entwicklung eines Expertensystems setzt sich somit aus folgenden
Arbeitsschritten zusammen:
• Wissenserhebung
• Wahl der Grundtechnik (Wissensrepräsentation)
• Definition der Wissensbasis
• Umsetzung des Wissens in die operationale Wissensbasis
• Entwicklung von Problemlösungsmethoden
Entscheidend für die Aufstellung des Expertensystems sind die Verarbeitungsform
zur Ableitung der motortechnischen Zusammenhänge und die Darstellbarkeit unsicheren Wissens 21 . Wegen der mehrdimensionalen und stark nichtlinearen Motorcharakteristik entstehen vor allem viele konkurrierende Informationen, die durch die
Wissensbasis abgedeckt und entsprechend repräsentiert werden müssen. Abb. 5.9
zeigt exemplarisch das Ursache-Wirkungs-Prinzip für einen nichtlinearen Prozess
im 6-dimensionalen Hyperraum mit drei Systemausgängen. In zwei ausgewählten
Bereichen des Hyperraumes22 werden verschiedene Systemanregungen provoziert,
20
z.B. die Sequentielle Quadratische Programmierung (SQP)
Dazu gehören u.a. die Unvollständigkeit der Informationen, die Unsicherheit von Schlußfolgerungen und die Zusammenfassung von aus einander widersprechenden Quellen stammenden
Informationen (konkurrierende Informationen)
22
Jedem Systemeingang wird ein bestimmter Wertebereich zugewiesen. Die Kombination der
festgelegten Eingangs-Wertebereiche ergibt den ausgewählten Bereich des Hyperraumes.
21
78
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Systemeingang u2
Systemeingang u3
Systemeingang u1
Hyperraum A
Hyperraum B
Systemeingang u5
Systemeingang u6
Systemeingang u4
Systemausgang y2
Systemausgang y3
Systemausgang y1
Systemantwort Hyperraum A
Systemantwort Hyperraum B
Abb. 5.9: Darstellung konkurrierender Informationen: Ursache-Wirkungs-Prinzip für
einen nichtlinearen Prozess im 6-dimensionalen Hyperraum mit drei Systemausgängen
die zu fast identischen Systemantworten führen (Abb. 5.9 untere Reihe)23 . Werden diese unterschiedlichen Systemanregungen allerdings nicht erkannt, so kann
das Wissen, das durch Vermessung des Motorraumes erhoben wird, nur qualitativ
unzureichend extrahiert und für die Optimierung genutzt werden. Eine weitere unabdingbare Grundvoraussetzung für eine zielgerichtete Wissensverarbeitung ist der
automatische Wissenserwerb, d.h. die systematische Extraktion des Wissens aus
den Mess- oder Modelldaten. Es sind also Verarbeitungskonzepte erforderlich, die
mit Hilfe der gewählten Grundtechnik schnell und transparent umgesetzt werden
23
Anmerkung: Erst wenn sich das Systemverhalten signifikant verändert, kann konkurrierendes
Wissen ausgeschlossen werden, d.h. auch geringe Abweichungen im Systemverhalten gelten in
diesem Zusammenhang noch als konkurrierendes Wissen.
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
79
können.
5.3.2
Konzeptansatz zur Wissensverarbeitung
In Abb. 5.10 ist das Zusammenspiel zwischen den Modulen der Wissensbasis und des
Steuersystems24 dargestellt. Der Wissenstransfer wird auf Anforderung des Steuersystems durch Evaluierung der Prozesssituation und Anwendung der Problemlösungsstrategien initiiert. Die vom Steuersystem ausgegebenen Zielvorgaben25 gehen
hierbei als Eingänge in die Wissensbasis ein. Den Ausgang der Wissensbasis bilden
die angeforderten Lösungsvorschläge, die als Verstellparameterkombinationen zur
Online-Applikation in das Motorsteuergerät übertragen werden. Die wissensverar-
MotorZielgrößen
Ist
(Ziel-)
Vorgabe
Wissensbasis
?
Problemlösungsstrategien
Wissensverarbeitung
Lösungsvorschlag
Soll
Motorverstellparameter
Motordaten
Abb. 5.10: Expertensystem zur wissensbasierten Motorprozessoptimierung
beitende Komponente des Expertensystems muss demnach gewährleisten, dass auf
beliebige Vorgaben des Steuersystems auch entsprechende Lösungen26 im Hyperraum folgen. Die Wissensbasis hat somit - gemäß den spezifizierten Anforderungen - die Aufgabe, das reziproke Motorprozessverhalten unter Berücksichtigung der
Nichtlinearität in einer geeigneten Form darzustellen. Die Fuzzy-Logik bietet sich
hierbei als Grundtechnik an. Sie findet in der Praxis eine breite Anwendung27 und
24
Das Steuersystem evaluiert den Optimierungsprozess, interpretiert das von der Wissensbasis
zur Verfügung gestellte Expertenwissen und wendet die Problemlösungsstrategien an.
25
Die Zielvorgaben entsprechen den in skalaren Zielfunktionen zusammengefassten Zielgrößen.
26
Die Lösungsvorschläge können, wie bereits erwähnt, auch unsicheres Wissen enthalten.
27
Regelung, Modellbildung, Expertensystem
80
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
ermöglicht als regelbasiertes System eine variable Umsetzung wissensverarbeitender
Konzepte. Zur automatischen Ableitung und Abbildung des reziproken Motorprozessverhaltens sind zwei Varianten durchführbar:
• Umkehrung des Motorprozesses y = f (x) durch Modellbildung
Ziel ist es, die Motorverstellparameter x in Abhängigkeit der definierten Zielgrößen y darzustellen, so dass gilt: x = f (y). Hierbei müssen die mathematischen Voraussetzungen zur Umkehrbarkeit nichtlinearer, mehrdimensionaler
Systeme28 geprüft werden.
y1
x1
y2
x2
Wissensbasis
ym
xn
• Automatische Adaption der anwendbaren Fuzzy-Regeln und Aufbau einer
Konfliktmenge mittels Untersuchung der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge.
Die Grundlage für die automatische Ableitung des Regelwerks bilden die Untersuchungen zum Ursache-Wirkung-Verhalten des Motorprozesses. Es gilt der
Zusammenhang: ∆y = f (∆x). Die Berücksichtigung von miteinander konkurrierenden Informationen erfolgt durch Aufbau einer Konfliktmenge zur priorisierten Abfolge der Regelaktivierungen.
Δy1
Δx1
Δy2
Δx2
Wissensbasis
Δym
Δxn
Konfliktmengen
28
Allgemeiner Auflösungssatz, siehe Abschn. 5.3.3
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
5.3.3
81
Umkehrung des Motorprozesses
Die mathematische Prüfung der Umkehrbarkeit des Motorprozesses und die Ableitung einer definierten Vorgehensweise lehnen sich an den Satz über implizite
Funktionen (mehrerer Variablen) an. Das Takagi-Sugeno-System dient hierbei in
Form eines mehrdimensionalen, nichtlinearen Gleichungssystems29 als mathematische Beschreibunsgform30 . Der Satz über implizite Funktionen bzw. der allgemeine
Auflösungssatz nach [4] lautet:
In einem Gebiet G
Rn+m seien m Funktionen F1 , . . . , Fm von n + m Variablen
x1 , . . . , xn ; y1 , . . . , ym mit den folgenden Funktionsgleichungen gegeben:
zi = Fi (x1 , . . . , xn ; y1 , . . . , ym ) (i = 1, . . . , m)
Über die Auflösbarkeit des Gleichungssystems
Fi (x1 , . . . , xn ; y1 , . . . , ym ) = 0 (i = 1, . . . , m)
(5.6)
nach y1 , . . . , ym gibt der folgende Satz Auskunft:
0
0
Satz: Die Funktionen Fi seien in einer Umgebung U von P0 (x0 , . . . , x0 ; y1 , . . . , ym ) ∈
1
n
0
0
G stetig nach y1 , . . . , ym stetig differenzierbar. Ferner sei
Fi (P0 ) = 0 (i = 1, . . . , m) und
∂(F1 , . . . , Fm )
(P0 ) = 0.
0
0
∂(y1 , . . . , ym )
Dann gibt es genau ein in einer Umgebung V von Q0 (x0 , . . . , x0 ) ∈ Rn definiertes
1
n
System stetiger Funktionen f1 , . . . , fm mit dem Gleichungssystem
yi = fi (x1 , . . . , xn ) (i = 1, . . . , m),
(5.7)
für die gilt:
0
y1 = fi (x0 , . . . , x0 ) (i = 1, . . . , m)
1
n
∀(x1 , . . . , xn ) ∈ V : Fi [x1 , . . . , xn ; f1 (x1 , . . . , xn ), . . . , fm (x1 , . . . , xn )] = 0.
Ausgangspunkt der Berechnungen ist die in Gl. (5.8) formulierte Wissensbasis durch
das Takagi-Sugeno-System. Es muss beachtet werden, dass nun die Zielgrößen des
definierten Optimierungssystems y die Eingänge und die Motorverstellparameter
29
Eine exakte Lösung des nichtlinearen Gleichungssystems ist durch eine Folge algebraischer
Manipulationen im Gegensatz zu linearen Gleichungssystemen nicht mehr möglich.
30
Das Motormodell wird durch das Takagi-Sugeno-System beschrieben.
82
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
die Ausgänge der Funktionsgleichungen bilden.
R
wi ·
i=1
x1
.
. =
.
R
xn
w ·
i
i=1
m
c1 · yj
ij
j=1
.
.
.
m
cn +
cn · yj
i0
ij
c1 +
i0
(5.8)
j=1
Zur Anwendung des Auflösungssatzes wird die Wissensbasis in die implizite Form
gebracht. Durch Subtraktion der Funktionsausgänge x erhält man das stetig differenzierbare Gleichungssystem
R
c1 · yj
wi · c1 +
i0
ij
i=1
j=1
F1 (x, y)
.
.
.
.
F(x, y) =
=
.
.
R
m
Fn (x, y)
w · cn +
cm · yj
i
i0
ij
i=1
m
− x1
− xn
(5.9)
j=1
Die Funktionsgleichungen Fi (x, y) müssen, gemäß dem Auflösungssatz, innerhalb
der Umgebung P0 null sein. Die zweite Bedingung ist standardmäßig erfüllt, da die
zu berechnende Funktionaldeterminante31 wegen der gewählten Beschreibungsform
(Modellgleichung) immer ungleich null ist.
∂F1
∂Fn
∂x1 . . . ∂x1
∂(F1 , . . . , Fm )
. .. .
(P0 ) = (−1)n = 0
. ..
= det
. .
∂(x0 , . . . , x0 )
1
n
∂F1
∂Fn
...
∂xn
∂xn
(5.10)
Daraus folgt, dass die Umkehrbarkeit des Motorprozesses einzig von der Wahl der
Umgebung P0 , also von der Eingrenzung der Verstellparameterbereiche im Hyperraum abhängt. Die Umkehrung lässt sich wegen der Nichtlinearität32 nur lokal
durchführen. Die Bestimmung der lokalen Umgebungen kann prinzipell durch systematisches Suchen erfolgen, indem der Hyperraum nur in den Bereichen aufgeteilt
wird, in denen die Fehler der modellierten Wissensbasen zu groß sind. Diese Vorgehensweise ist vergleichbar mit der in [34] beschriebenen Methode zu Erstellung
lokaler, linearer Modelle im nichtlinearen Raum33 . Das Suchen wirkt sich allerdings
31
Jacobische Determinante von Fx (x, y)
siehe Abb. 5.9
33
LOLIMOT - Local Linear Model Tree
32
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
83
im Hinblick auf die lange Entwicklungsdauer nachteilig aus und die Anwendung
wird durch die unterschiedlich definierten Teilräume auf die nachfolgende Optimierung aufgrund der großen Variabilitäten erschwert. Eine andere Möglichkeit sieht
die äquidistante Aufteilung des Hyperraums vor. Hierdurch wird die Umsetzung
und die Anwendung der lokalen Wissensbasen standardisiert und vereinfacht. Einer
steigenden Dimensionalität und damit Komplexität des zu optimierenden Systems
wird automatisch mit einer größeren Anzahl der lokalen Umgebungen begegnet34 .
In Abb. 5.11 ist die (äquidistante) Aufteilung eines 3-dimensionalen Hyper- und Lösungsraumes exemplarisch für zwei lokale Umgebungen dargestellt. Jede lokale Um-
Hyperraum
Lösungsraum
Λ
Ω
Teilraum Ω6
x3
y3
x1
x2
y1
y2
Teilraum Ω1
Abb. 5.11: Beispielhafte Aufteilung eines 3-dimensionalen Hyperraums in lokale Umgebungen zur Realisierung der Prozessumkehrung
gebung wird auf den Lösungsraum Λ ⊆ R3 abgebildet und durch eine Wissensbasis
repräsentiert. Die für die Identifikation der Wissensbasen benötigten Trainingsdaten
werden durch die statistische Anregung des kompletten Eingangsraumes generiert35
und mittels der räumlichen Eingrenzungen separiert. Zu jedem Teilraum Ωk ⊆ R3
entsteht mittels gewichteter Least-Square-Schätzung ein korrespondierender Polynomparametersatz in der Ausgangsstruktur des Takagi-Sugeno-Systems nach Gl.
(5.8). Die Anwendung des lokal umgekehrten Prozesswissens erfolgt somit durch
die entsprechende Adaption der Polynomparameter. Die Eingangsstruktur sowie
die Regelbasis bleiben hierbei unverändert.
34
Dies ergibt sich aus der vollfaktoriellen Kombination der unterteilten Dimensionsbereiche. Die
Anzahl der lokalen Umgebungen kann durch eine feinere Unterteilung erhöht werden.
35
Als Informationsquelle dient das Motormodell.
84
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Exemplarische Umkehrung eines (5x2)-Motorsystems
Für die Darstellung der Umkehrbarkeit dient das Bereichsmodell eines aufgeladenen Dieselmotors mit Pumpe-Düse-Einspritztechnik als Grundlage. Tab 5.5 zeigt
die Betriebspunktgrößen, die Verstellparameter und die Zielgrößen des Bereichsmodells einschließlich der physikalischen Grenzen.
Systemparameter
Motordrehzahl
Einspritzmenge
Frischluftmasse
Einspritzbeginn
Ladedruck
Stickoxidemission
Schwärzungszahl
Einheit
min−1
mm3 /Hub
mg/Hub
◦
KW n.OT
hP a
ppm
F SN
min max Wissensbasis
2000 2500
20
25
377 650
x1
-12
-7
x2
1155 1550
x3
153 755
y1
0.27 1.34
y2
Tab. 5.5: Systemgrenzen des (5x2)-Motorbereichsmodells und Spezifikation der Wissensbasis
Die Umkehrung wird jeweils in einem stationären Motorbetriebspunkt durchgeführt.
Die Spezifikation der Wissensbasis beinhaltet somit nicht die Betriebspunktgrößen
Motordrehzahl und Last, sondern nur die Zielgrößen als Eingang und die Verstellparamater als Ausgang (siehe Nomenklatur der Wissensbasis in Tab. 5.5). Zur betriebspunktunabhängigen Anwendung der Wissensbasis wird eine Normierung vorgenommen. Bei globalen Motormodellen müssen die lokalen Bereichsgrenzen - sofern
nicht durch die Kennfeldvermessung bereitgestellt - geeignet approximiert werden36 .
In Abb. 5.12 sind die definierten Zugehörigkeitsfunktionen der Wissensbasis, bestehend aus jeweils drei Gaußschen Glockenkurven, für die normierten Zielbereiche
dargestellt. Aus der vollfaktoriellen Kombination der Partitionen ergibt sich eine
Regelbasis mit neun Regeln. Der Bedingungsteil sowie die Regelbasis sind für alle
Teilräume identisch, da die Zielbereiche für den gesamtem Hyperraum im stationären Motorbetriebspunkt ausgelegt sind. Mit der äquidistanten Aufteilung des
Hyperraumes nach Abb. 5.11 entstehen für die Konsequenzteile des Takagi-SugenoSystems jeweils acht unterschiedliche Parametersätze, die den korrespondierenden
Teilräumen zugeordnet sind, d.h., dass zu jeder einzelnen Regel acht lokale Polynomfunktionen zur Anwendung bereit stehen. Die identifizierten Polynomfunktionen der Ausgänge x1 , x2 und x3 , die für den stationären Motorbetriebspunkt n =
2000 min−1 , mB = 25 mm3 /Hub am Beispiel der ersten Regel auf Seite 85 veranschaulicht sind37 , können allerdings nicht für das gesamte Eingangsfeld Λ ⊆ R2 der
Wissensbasis genutzt werden, da jede lokale Umgebung im Hyperraum ein eigenes
36
Für die Erstellung der Wissensbasis ist ein rasterförmig angelegtes Vermessungskennfeld vorteilhaft, da sich die Bereichsgrenzen direkt aus den ermittelten Betriebsbereichen ableiten (siehe
Abschn. 5.1.1 und Abschn. 5.2).
37
Insgesamt ergeben sich 8 x 3 x 9 = 216 Polynomfunktionen.
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
85
Abbild auf den Zielraum nach sich zieht.
(1)
x1,W B1
−0.4173 −1.4882 1.3651
(1)
x1,W B2
(1) −0.7142 −1.8538 1.6836
x
1,W B3 −0.7338 −1.5507 1.4840
1
x(1)
1,W B4 −1.4266 −1.9531 1.9138
· y1 ;
(1) =
x1,W B5 −0.6441 −1.7392 1.5849
y2
(1)
−0.7941 −1.9774 1.7760
x
1,W B6
−1.0664 −1.9006 1.7714
(1)
x1,W B7
−1.5236 −2.0807 2.0259
(1)
x1,W B8
Regel 1
(1)
x2,W B1
−1.2063
(1)
x2,W B2
(1) −1.7516
x
2,W B3 −2.7764
x(1)
2,W B4 −4.0148
(1) =
x2,W B5 −1.1192
(1)
−1.6043
x
2,W B6
(1) −2.2718
x2,W B7
−3.2330
(1)
x2,W B8
−0.7118
−0.6608
−1.8634
−1.8598
−0.5492
−0.8105
−1.0753
−1.5802
(1)
x3,W B1
−1.3324
(1)
x3,W B2
(1) −0.9346
x
3,W B3 −1.4516
x(1)
3,W B4 −1.6443
(1) =
x3,W B5 −1.4291
(1)
−1.0687
x
3,W B6
(1) −2.0296
x3,W B7
−2.2770
(1)
x3,W B8
−0.2696
−0.6797
0.2103
−0.1949
−0.6687
−0.3599
−0.7854
−0.5520
1.2753
1.2531
2.6270
1
2.6543
· y1 ;
1.1410
y2
1.2911
2.0010
2.2496
Ausgang x1
Ausgang x2
Regel 1
1.0145
1.4875
0.5506
1
1.1433
· y1 ;
1.2821
y2
1.3494
1.3120
1.5924
Ausgang x3
Regel 1
Konsequenz-Teil des Takagi-Sugeno-Systems am Beispiel der 1. Regel
Abb. 5.13 verdeutlicht die Auswirkungen der räumlich getrennten Systemanregungen auf die wirksam werdenden Bereiche der Zielgrößen y1 und y2 . Für jede lokale
Wissensbasis38 (1-8) ergeben sich unterschiedliche Eingrenzungen, so dass das lokale reziproke Motorwissen nur innerhalb der jeweiligen gültigen Zielbereiche zur
Verfügung steht39 .
38
39
D.h. für jede lokale Umgebung im Hyperraum
Werden die Grenzen überschritten, so werden die Ausgänge x1 , x2 und x3 extrapoliert.
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Zugehörigkeitsfunktion y2
5
Zugehörigkeitsfunktion y1
86
y1
y2
Lokale Wissensbasis y2
Lokale Wissensbasis y1
Abb. 5.12: Erstellung einer Wissensbasis mit zwei Eingängen und drei Ausgängen: Definition der Zugehörigkeitsfunktionen als Gaußsche Glockenkurven.
y1
y2
Abb. 5.13: Erstellung einer Wissensbasis mit zwei Eingängen und drei Ausgängen: Darstellung der wirksam werdenden Zielgrößenbereiche, die aus der statistischen Anregung
des umzukehrenden Systems in den Teilräumen resultieren.
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
87
Validierung der identifizierten lokalen Wissensbasen
In den Abbildungen 5.14 und 5.15 sind die Validierungsergebnisse von zwei Teilräumen (Wissensbasis 1 und Wissensbasis 6), stellvertretend für die komplette Wissensbasis im stationären Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 , mB = 25 mm3 /Hub,
dargestellt. Im oberen Bild ist jeweils die lokale Umgebung bzw. die räumliche
Anordnung der Motorverstellparameter x1 , x2 und x3 erkennbar. Die für die Validierung der trainierten Wissensbasen benötigten Generalisierungsdaten, d.h. die
Zielvorgaben y1,soll und y2,soll werden mit Hilfe des Motorbereichsmodells in den
jeweiligen Teilräumen erzeugt, aufbereitet und dem aufgestellten Takagi-SugenoSystem als Eingänge zugeführt. Die daraus resultierenden Motorverstellparameter
x1,ist , x2,ist und x3,ist sind den Vorgaben x1,soll , x2,soll und x3,soll im mittleren Bild
vergleichend gegenübergestellt. Die modellierten Ausgänge der lokalen Wissensbasen dienen wiederum als Eingänge in das Motormodell, um den Modellabgleich für
die Zielgrößen vornehmen zu können (unteres Bild). Der Zielgrößen-Abgleich ist
letztlich entscheidend, um die Umsetzbarkeit des gewünschten Prozessverlaufs zu
beurteilen40 . In beiden Abbildungen sieht man, dass das reziproke Motorverhalten innerhalb der gültigen Zielbereiche von y1 und y2 durch die Lokalisierung des
Hyperraumes sehr gut abgebildet werden kann.
Für die experimentelle Validierung des modellierten Umkehrprozesses wurde ein
Versuchsplan mit ausgewählten Verstellparameterkombinationen in drei verschiedenen stationären Motorbetriebspunkten41 erstellt und am Motorprüfstand abgefahren. Abb. 5.16 zeigt die Verläufe der Betriebspunktgrößen und der gemessenen
Zielgrößen Stickoxid-Emission (y1 ) und Schwärzungszahl (y2 ) in physikalischer Darstellung, die als Sollvorgaben in die betriebspunkt-spezifischen Wissensbasen eingehen. In Abb. 5.17 sind die zugehörigen Rechnungs-Messungsvergleiche zwischen
den gemessenen und den vom Takagi-Sugeno-System berechneten Motorverstellparametern Frischluftmasse (x1 ), Einspritzbeginn (x2 ) und Ladedruck (x3 ) dargestellt.
Im Gegensatz zur obigen Vorgehensweise werden in diesem Beispiel die kompletten Hyperräume in den jeweiligen Motorbetriebspunkten untersucht, d.h., dass zum
Rechnungs-Messungsvergleich die lokalen Polynomparameter in der Ausgangsstruktur des Takagi-Sugeno-Systems jeweils an die Teilräume adaptiert werden42 , in denen die gemessenen Verstellparameterkombinationen räumlich angeordnet sind43 .
Auch hier kann die gute Abbildungsqualität des reziproken Motorverhaltens bestätigt werden.
40
Dieser Vorgang entspricht der Evaluierung des umgesetzten Prozessverhaltens im OnlineOptimierungsprozess am Motorprüfstand.
41
D.h. es wurden drei Wissensbasen identifiziert, angewendet und validiert.
42
siehe Beipiel auf Seite 85
43
Anm.: Es kann immer nur ein Parametersatz adaptiert werden.
88
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Abb. 5.14: Validierung der lokalen Wissensbasis 1 am Motormodell: räumliche Eingrenzung der normierten Motorverstellparameter (oben), Abgleich zwischen vorgegebenen und
berechneten Motorverstellparametern (mittig), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Zielgrößen (unten)
5.3. ERSTELLUNG DER WISSENSBASIS
89
Abb. 5.15: Validierung der lokalen Wissensbasis 6 am Motormodell: räumliche Eingrenzung der normierten Motorverstellparameter (oben), Abgleich zwischen vorgegebenen und
berechneten Motorverstellparametern (mittig), Abgleich zwischen vorgegebenen und berechneten Zielgrößen (unten)
90
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Abb. 5.16: Validierung der Wissensbasis: Verlauf der Beriebspunktgrößen und der gemessenen Zielgrößen
Abb. 5.17: Validierung der Wissensbasis: Rechnungs-Messungsvergleich zwischen gemessenen und berechneten Motorverstellparametern
5.4. WISSENSBASIERTE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
5.4
5.4.1
91
Wissensbasierte Betriebspunktoptimierung
GRASP - Greedy Randomized Adaptive Search Procedure
GRASP ist eine Metaheuristik44 , die Ende der 80er Jahre eingeführt wurde ([8]) und
seitdem erfolgreich für kombinatorische Optimierungsprobleme eingesetzt wird45 .
Die Methode stellt eine Erweiterung der Greedy-Konstruktionsheuristik46 dar und
unterteilt den iterativen Suchprozess in zwei Phasen. In der Konstruktionsphase
werden mehrere Greedy-Lösungen erzeugt und zielgerichtet randomisiert. Das Ablaufschema für die vorgesehene Randomisierte-Greedy-Heuristik ist im folgenden
Pseudocode nach [36] dargestellt:
procedure Randomisierte Greedy-Heuristik
begin
x ← leere Lösung
while x ist keine vollständige Lösung do
CL ← alle möglichen Lösungskomponenten zur Erweiterung von x
bestimme vielversprechende Erweiterungen RCL ∈ CL;
wähle eine Erweiterung e ∈ RCL zufällig;
x←x⊕e
end while
end
CL: Kandidatenliste
RCL: Eingeschränkte Kandidatenliste
Nach der Initialisierung, d.h. nach dem Start des Algorithmus mit einer leeren Lösung, werden zunächst alle möglichen Lösungskomponenten im Suchraum ermittelt
und in der Kandidatenliste (CL) abgelegt. Die Lösungsfindung ist an das Optimierungsproblem bzw. an die entsprechende Bewertungsfunktion gekoppelt. Die
Prozedurerweiterung zum GRASP besteht nun in der Randomisierung der GreedyLösungskomponenten. Es werden hierzu die vielversprechendsten Erweiterungen
durch geeignete Vergleichsroutinen (z.B. durch die Wahl der kostengünstigsten Lösungskomponenten) in die eingeschränkte Kandidatenliste (RCL) aufgenommen.
Anschließend wird aus RCL zufällig ein Wert ausgewählt und der Teillösung x angehängt. Die so generierten Lösungen dienen der nachfolgenden Verbesserungsphase
als Startwerte für die einfache, lokale Suche. Die Optimierungsgüte ist im Vergleich
zur lokalen Suche mit zufällig initialisierten Startwerten in der Regel deutlich besser.
44
Metaheuristik ist ein Algorithmus zur approximativen Lösung eines kombinatorischen Optimierungsproblems. Sie bescheibt abstrakt die Lösungsschritte für beliebige Problemstellungen.
45
z.B. Scheduling von Prozessen, Rucksackproblem, Problem des Handlungsreisenden (engl.
Traveling Salesman Problem)
46
Konstruktionsheuristiken sind einfach aufgebaut und an das jeweilige Optimierungsproblem
angepasst. Sie gewährleisten als eigenständige Suchverfahren allerdings keine optimale Lösungen.
92
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Die Verbesserungsheuristik beschränkt sich bei der Suche auf die Nachbarschaften
der Lösungsvorschläge. Diese beeinflussen den Optimierungsverlauf maßgeblich und
sind entsprechend geeignet vorzugeben. Der folgende Pseudocode zeigt den Algoritmus zur einfachen, lokalen Suche:
procedure Lokale Suche
begin
x ← Initialisierung
repeat
wähle ein x ∈ N (x);
˜
if f (˜) ≤ f (x) then
x
x←x
˜
end if
until Abbruchbedinung ist erfüllt;
end
N (x): Nachbarschaft von x
Die Auswahl von x kann durch
˜
• die zufällige Auswahl einer Lösung in der Nachbarschaft (Random Neighbor )
• die Durchsuchung der Nachbarschaft in fester Reihenfolge und die Ermittlung
der erstbesten Nachbarlösung (Next Improvement)
• durch die vollständige Durchsuchung der Nachbarschaft und die Ermittlung
der besten Nachbarlösung (Best Improvement)
erfolgen [36].
5.4.2
Wissensbasierte Suche
Die heuristischen Suchverfahren47 sind als Stand-alone-Verfahren im Allgemeinen
wegen ihres hohen Iterationsbedarfs für die Online-Optimierung des motorischen
Gesamtprozesses nicht einsetzbar. Sie eignen sich aber als methodische Verfahren
für den in Abschn. 5.3.2 vorgestellten wissensbasierten Ansatz, um das angelernte
Wissen gemäß Abb. 5.8 zur Lösung des Optimierungsproblems systematisch anzuwenden. Die in Form eines hybriden Suchverfahrens zur Anwendung kommende
Optimierungsstrategie lehnt sich daher an den GRASP-Algorithmus an. Die entscheidende Modifikation besteht darin, den mehrdimensionalen Suchraum mittels
der adaptierten Wissensbasis zu repräsentieren und damit effizient für die Optimierung einzugrenzen. Der große Vorteil ist, dass der Optimierungspfad im Such- bzw.
Hyperraum wissensbasiert, d.h. durch die gezielte Abfrage der Wissensbasis, vorgegeben werden kann. Der Umfang der Suchabfragen wird dadurch stark reduziert,
47
Dazu gehören die Genetischen Algorithmen, Simulated Annealing, etc.
5.4. WISSENSBASIERTE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
93
welches ein notwendiges Kriterium für die Online-Optimierung ist. Der nachfolgende Pseudocode stellt die verallgemeinerte Prozedur der wissensbasierten Suche dar.
procedure Wissensbasierte Suche
begin
x ← Initialisierung
while x ist keine vollständige Lösung do
% Modell:
CL ← alle möglichen wissensbasierten Lösungskomponenten in N(x) zur Erweiterung von x;
zufällige Auswahl der möglichen Erweiterungen RCL ∈ CL;
wähle die beste(n) Erweiterung(en) e ∈ RCL;
% Online:
repeat
wähle ein x ∈ e;
˜
if f (˜) ≤ f (x) then
x
x←x
˜
end if
until Abarbeitung von e beendet;
Aktualisierung des Motormodells;
Aktualisierung der Wissensbasis;
end while
end
CL: Kandidatenliste
RCL: Eingeschränkte Kandidatenliste
N (x): Nachbarschaft von x
Ausgehend von der Initialisierung der Lösungskomponente x werden zyklisch alle möglichen wissensbasierten Lösungsvorschläge48 in der Nachbarschaft N(x) bestimmt und in die Kandidatenliste CL eingetragen. Die Selektion der potenziellen
Lösungskandidaten erfolgt durch die vollständige Nachbarschaftssuche. Die Nachbarschaft muss dabei groß genug gewählt werden, um lokale Optima weitestgehend
zu vermeiden. Im nächstfolgenden Konstruktionsschritt wird die eingeschränkte Liste RCL durch die zufällige Zusammenstellung einer begrenzten Kandidatenmenge
gebildet und anhand skalarer Zielfunktionen modellbasiert bewertet. Der Bestwert
bzw. die Bestwerte werden anschließend online durch Messungen verifiziert, erneut
48
Die Bestimmung aller möglichen Punkte ist an die gewählte Schrittweite innerhalb der Nachbarschaft gebunden.
94
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
bewertet und bei Unterschreiten der aktuellen Bestwerte f (x) als Lösungskomponente festgelegt. Die vermessenen Optimierungspunkte dienen im letzten Zyklusschritt der Aktualisierung des Motormodells und der Wissensbasis. Der zyklische
Optimierungsdurchlauf wird solange wiederholt, bis die Abbruchbedingung erfüllt
ist.
5.4.3
Bewertung anhand skalarer Zielfunktionen
Für die Bewertung der wissensbasierten Suche werden vier verschiedene Skalarisierungsverfahren herangezogen - die gewichtete Summe, die -constraint-Methode, die
Referenzpunktmethode und das Goal-Attainment-Verfahren 49 . Um unter den skalaren Zielfunktionen vergleichbare Bewertungsmuster zu ermöglichen und eine gezieltere Beeinflussung des Konvergenzverlaufs durch Wichtung der Zielgrößen vorzunehmen, wird die Referenzpunktmethode um die erforderlichen Wichtungsfaktoren
entsprechend
1
r
m
zi0 − fi (x) · wi
ZFRef erenzpunkt =
r
(5.11)
i=1
ZFRef erenzpunkt : skalare Zielfunktion nach der Referenzpunktmethode
wi : Wichtungsfaktor
ergänzt. Bei der -constraint-Methode ist eine direkte Integration der Wichtungsfaktoren nicht möglich. Hier werden die mit der größten Wichtung vorgesehene
Zielgröße als zu minimierende Zielfunktion definiert und die restlichen, beschränkten Zielgrößen in Nebenbedingungen zusammengefasst50 . Durch die systematische
Variation der Grenzen werden alle möglichen pareto-optimalen Lösungen bestimmt
und aufgelistet. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden nachträglich mittels
der gewichteten Summe für die wissensbasierte Suche verwertbar gemacht51 .
Die Skalarisierungsverfahren dienen in der modellbasierten Bewertungsphase der
Bestwertermittlung und aufgrund ihrer prinzipbedingten Unterschiede der Bereitstellung verschiedener Ausgangslösungen für die Online-Umsetzung. Die OnlinePhase beurteilt die in dem aktuellen Optimierungsschritt erzielte Optimierungsgüte
mittels der prozentualen Entwicklung52 der skalaren Zielfunktionen gemäß
(j)
(j)
GFi (x)
49
=
Fi (x)
(j−1)
−1
· 100%
(5.12)
Fbest (x)
Siehe Definitionen in Abschn. 2.4.2
Besitzen mehrere Zielgrößen dieselbe maximale Wichtung, so wird für jede gleichgewichtete
Zielgröße jeweils eine Zielfunktion aufgestellt.
51
Die systematische Variation der Grenzen ist nur in der modellbasierten Bewertungsphase möglich, da hier sehr viele Lösungsvorschläge zur Evaluierung bereitstehen. Bei der Online-Auswertung
entspricht das Ergebnis der gewichteten Summe
52
Damit wird ein gradueller Vergleich der skalaren Zielfunktionen ermöglicht.
50
5.4. WISSENSBASIERTE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
95
GF (x): Gütefunktion
F (x): skalare Zielfunktion
i: Iteration; j: Zyklus
(j)
Die Konvergenz-Bedingung ist, dass mindestens ein Gütefunktionswert GFi (x) <
0% ist. Werden mit mehreren Ausgangslösungen Bestwerte erzielt, so wird der größte
Verbesserungsgrad bzw. der kleinste Gütefunktionswert nach Gl. (5.12) den Ausschlag für den Fortsetzungspunkt im Optimierungszyklus geben. Hierdurch wird die
Konvergenzgeschwindigkeit stärker berücksichtigt.
5.4.4
Optimierungsablauf
Im ersten Initialisierungsschritt des Optimierungsdurchlaufs oder nach jeder erfolgreich abgeschlossenen Iteration werden die resultierenden Zielgrößen als Zielvorgaben übernommen und zwecks Erstellung von Lösungsvorschlägen durch Varianzpunkte innerhalb einer definierten Varianzwolke erweitert (Abb. 5.18 links). Wegen
Varianzpunkt
Varianzpunkt
Zielvorgabe
Varianzpunkte
nicht verwendeter Varianzpunkt
Zielvorgabe
Varianzumgebung
+
Zielgrößenbereich von lokaler Wissensbasis 1
Varianzumgebung
+
Zielvorgabe 2
Zielvorgabe 2
Zielgrößenbereich von lokaler Wissensbasis 2
Zielvorgabe 1
Zielvorgabe 1
Abb. 5.18: Erstellung von Varianzpunkten um die Zielvorgaben (links), Ermittlung der
Gültigkeitsbereiche für die jeweiligen lokalen Wissensbasen (rechts)
der eingeschränkten Gültigkeitsbereiche der lokalen Wissensbasen53 schließt sich die
Überprüfung der beteiligten Zielgrößenbereiche der lokalen Wissensbasen an, um zu
53
Siehe Abschn. 5.3.3 auf Seite 86
96
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
große Modellfehler durch Modellextrapolationen und damit ineffektive Suchabfragen zu vermeiden (Abb. 5.18 rechts).
Die Bestimmung der Nachbarschaftsumgebung im nächstfolgenden Konstruktionsschritt geht von der jeweiligen Verstellparameterkombination aus und begrenzt den
Hyperraum durch Bildung eines angepassten Abstandsvektors. Abb. 5.19 (links)
zeigt das Prinzip der Nachbarschaftseingrenzung am Beispiel eines zweidimensionalen Verstellparameterbereichs. Die von der Wissensbasis bereitgestellten Lösungs-
Verstellparameterpunkte außerhalb der Nachbarschaft
Varianzpunkte
Teilbereichsgrenzen
Verstellparameter 2
Teilbereich 3
Verstellparameterpunkt
Verstellparameterpunkte innerhalb der Nachbarschaft
Zielvorgabe
Nachbarschaft
Nachbarschaft
+
Varianzumgebung
Teilbereichsgrenzen
Teilbereich 4
Teilbereich 1
Verstellparameter 2
+
Teilbereich 2
Verstellparameter 1
Verstellparameter 1
Abb. 5.19: Bestimmmung der Nachbarschaft (linkes Bild) und Eingrenzung der aus der
Varianzwolke resultierenden Lösungsvorschläge
vorschläge werden auf die spezifizierte Nachbarschaft beschränkt (Abb. 5.19, rechts).
Aus der verbliebenen Kandidatenmenge wird ein bestimmter Anteil zufällig entnommen und zur Modellevaluierung mittels der skalaren Zielfunktionen herangezogen. Es werden immer so viele Varianzpunkte (Zielvorgaben) erzeugt, dass die
umsetzbare Kandidatenmenge einen Mindestumfang von 300 Kandidaten (Verstellparamterkombinationen) nie unterschreitet. Die Abfrage der Zielvorgaben am Motormodell, d.h. die Simulation des vorgegebenen Motorverhaltens in Abhängigkeit
der ausgewählten Kandidaten, ist kontrollbedingt notwendig, da etwaige grobe Vorhersageungenauigkeiten der Wissensbasis vom Motormodell abgefangen und durch
Eliminierung der entsprechenden Kandidaten von der Prozessevaluierung ausge-
5.4. WISSENSBASIERTE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
97
schlossen werden müssen54 . Des Weiteren werden Grenzwertverletzungen frühzeitig
detektiert und für die Bestwertermittlung nicht mehr in Betracht gezogen. Falls der
Mindestumfang infolge der Kandidateneliminierung nicht mehr eingehalten werden
kann, wird die Wissensbasis wiederholt mit veränderter Varianz und Schrittweite
entsprechend Abb. 5.18 abgefragt. In Abb. 5.20 sind beispielhaft die modellbasierte
Bestwertwertermittlung (links) und die entsprechende Online-Verifizierung dargestellt, bei der die neue Zielvorgabe für den nächsten Optimierungsschritt dem Bestwert entspricht.
optimale Zielgrößenkombination
optimale Zielgröße
Zielgröße nach wissens- und modellbasierter Abfrage
+ alte Zielvorgabe
Zielgröße 2 (Modell)
Zielgröße 2 (Messung)
neue Zielvorgabe
Zielgröße 1 (Modell)
Zielgröße 1 (Messung)
Abb. 5.20: Modellbasierte Bestwertermittlung und Online-Evaluierung am Motorprüfstand
Werden im aktuellen Optimierungsschritt keine Verbesserungen hinsichtlich der Bewertungsfunktion erzielt, so müssen die Kriterien aufgeweicht und abhängig vom
Optimierungsverlauf korrigiert werden. Dies ermöglicht eine Änderung der Suchtrajektorie im Hyperraum und damit neue potenziell konvergierende Lösungsvorschlage55 . Nach dem ersten (erfolglosen) Optimierungsschritt wird die Zielvorgabe vektoriell um einen definierten Betrag angepasst (Abb. 5.21). Wurde bereits eine Optimierungsiteration erfolgreich abgearbeitet, so werden die Rückzugspunkte aus Effizienzgründen in Richtung des letzten (erfolgreichen) Optimierungspunktes ausgelegt.
54
Diese werden durch Extrapolationen weit über die Modellgrenzen hinaus erkannt.
Optional kann eine Vergrößerung der Nachbarschaft vorgenommen werden, um eine breitere
Suche im Hyperraum zu gewährleisten.
55
98
5
WISSENSBILDUNG FÜR DEN STATIONÄREN MOTORBETRIEB
Zielvorgabe 2
Zielvorgabe im 2.
Optimierungsschritt
(1)
(2)
angepasste Zielvorgabe nach
dem 1. Optimierungsschritt
(3)
angepasste Zielvorgaben nach dem
2. Optimierungsschritt
(4)
Zielvorgabe im 1.
Optimierungsschritt
Zielvorgabe 1
Abb. 5.21: Zielvorgabenanpassung bei nicht konvergierendem Optimierungsverhalten:
Anpassung der Zielvorgabe nach der ersten Optimierungsiteration durch vektorielle Anhebung und Korrektur der zweiten Zielvorgabe in Richtung der letzten (erfolgreich) abgearbeiteten Optimierungsiteration.
99
6 Applikation eines aufgeladenen
Common-Rail-Dieselmotors
6.1
Versuchsplanung
Spezifikation des Optimierungssystems
Tab. 6.1 fasst das in dieser Arbeit spezifizierte Optimierungssystem zusammen. Die
Eingänge werden durch die signifikanten Motorverstellparameter des aufgeladenen
Common-Rail-Dieselmotors (siehe Spezifikation des Versuchsmotors in Tab. 3.1)
beschrieben. Als Zielgrößen bzw. Ausgänge des Optimierungssystems werden die
im dieselmotorischen Betrieb dominierenden Konfliktgrößen Stickoxid- und Partikelemission sowie der spezifische Kraftstoffverbrauch festgelegt.
Optimierungssystem
Voreinspritzmenge
V EM
Ansteuerbeginn Voreinspritzung
ABV E
Ansteuerbeginn Haupteinspritzung ABHE
Raildruck
pRail
Ladedruck
pL
Frischluftmasse
mL
Stickoxidemission
N Ox
Partikelemission
PM
Spez. Kraftstoffverbrauch
be
x1
x2
x3
x4
x5
x6
y1
y2
y3
Tab. 6.1: Spezifikation des Optimierungssystems
Screening des globalen Motorbetriebsbereichs
Das Screening liefert die notwendigen globalen Versuchsraumgrenzen für die auf
dem Takagi-Sugeno-System basierende Versuchsplanung. In Tab. 6.2 sind die ausgewählten Eckpunkte des globalen Motorbetriebsbereichs zur Ermittlung der äußeren Parametergrenzen nach der in Abschn. 5.2 vorgestellten Methode dargestellt.
Die untere Lastgrenze ergibt sich - ausgehend von manuell eingestellten stabilen
100
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Nr. Drehzahl n in min−1
1
1200
2
1200
3
3600
4
3600
Einspritzmenge mB in mm3 /Hub
9,0
44,0
11,5
44,0
Tab. 6.2: Stationäre Motorbetriebspunkte zum Screening der globalen Bereichsgrenzen
Motorbetriebspunkten - aus dem erforderlichen Aufwand zur Überwindung der approximierten Reibleistung. Die aus den Screening-Versuchen resultierenden globalen
Versuchsraumgrenzen sind in Tab. 6.3 zusammengefasst. In jedem Screening-Punkt
werden die lokalen minimalen und maximalen Grenzen automatisch ermittelt. Im
Hinblick auf die globale Versuchsraumabdeckung ist die Screening-Down-Phase in
den Motorbetriebspunkten der untersten Lastreihe, die Screening-Up-Phase in den
Motorbetriebspunkten der obersten Lastreihe von Bedeutung. Die lokalen InformaSystemparameter
n
mB
V EM
ABV E
ABHE
pRail
pL
mL
Einheit
min−1
mm3 /Hub
mm3 /Hub
◦
KW v.OT
◦
KW v.OT
hP a
hP a
mg/Hub
min
max
1200
3600
9
44
0
4
13.99
40
-4.01
18.03
289812 1302000
951
1708
309
772
Tab. 6.3: Globale Grenzen des Motorbetriebsbereichs aus den Screening-Versuchen
tionen werden aber noch zusätzlich genutzt, um den Takagi-Sugeno-Versuchsplan an
die lokalen Beschränkungen anzupassen. Dadurch kann die Kennfeldvermessung, die
automatische Versuchsraumadaptionen vorsieht, insbesondere in kritischen Motorbetriebspunkten vor übermäßigen Eingriffen wegen auftretender Grenzwertverletzungen entlastet und damit effektiver gestaltet werden. Zur Veranschaulichung dieser Problematik dient das Ergebnis der Screening-Down-Phase im Motorbetriebspunkt n = 3600 min−1 , mB = 44, 0 mm3 /Hub in Tab. 6.4. Bei dem Versuch,
die untere Grenze des Raildrucks bei Konstanthaltung der restlichen Motorverstellparameter zu bestimmen1 , reagierte die Screening-Routine auf zu hohe Temperaturen vor der Turbine des Abgasturboladers T3 . Abb. 6.1 stellt den gemessenen
Zusammenhang zwischen Abgastemperatur und Raildruck in diesem Motorbetriebspunkt dar. Die steigende Abgastemperatur bei sinkendem Raildruck ist die Folge
des schlechter zerstäubten Kraftstoffs und der dadurch verlängerten Brenndauer,
die in einen geringeren Motorwirkungsgrad bzw. höheren spez. Kraftstoffverbrauch
1
Vgl. Screening-Routine in Abschn. 5.2.1
6.1. VERSUCHSPLANUNG
101
resultiert.
Systemparameter
V EM
ABV E
ABHE
pRail
pL
mL
Einheit
mm3 /Hub
◦
KW v.OT
◦
KW v.OT
hP a
hP a
mg/Hub
min
1.0
38.0
17.5
884000
1515
692
Tab. 6.4: Screening-Down für n = 3600 min−1 und mB = 44, 0 mm3 /Hub
Abb. 6.1: Abgastemperatur vor Turbine in Abhängigkeit vom Raildruck
Versuchsplanung
Für die Kennfeldvermessung wird ein (4x4)-Raster aufgespannt, das den Motordrehzahlbereich zwischen 1200 min−1 und 3600 min−1 und den Einspritzmengenbereich
zwischen 9 mm3 /Hub und 44 mm3 /Hub nahezu äquidistant aufteilt2 . Diese Betriebspunktvorgaben werden in der Takagi-Sugeno-Versuchsplanung durch die entsprechende Konfiguration der Bereichsabstufungen zur Minimierung der Varianz/Kovarianzmatrizen berücksichtigt3 . Basierend auf den Ergebnissen der vorgestellten Designvarianten wird für das vorliegende 8-dimensionale Eingangsproblem das
TS-Design 1 mit der in Tab. 6.5 dargestellten Konfiguration vorgesehen. Der Ver2
Wegen des unterschiedlichen minimalen Lastniveaus ist die Rasterung des (n, mB )-Kennfeldes
nicht vollständig äquidistant.
3
Siehe Abschn. 5.1.3
102
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
TS-Design 1
b
[33112211]
m
8
k
0
Punkte
316
Tab. 6.5: Versuchsplanung zur Kennfeldvermessung: Konfiguration des Versuchsplans
nach Gl. (5.2)
suchsplan besteht aus 316 Designpunkten. Zusätzlich werden dem Versuchsplan
16 Designpunkte hinzugefügt, die als stabile Ausgangspunkte in den festgelegten
Motorbetriebspunkten dienen. Damit ist gewährleistet, dass im Falle auftretender Grenzwertverletzungen zu Beginn der Vermessung eine Rückzugsmöglichkeit in
Richtung der stabilen Motorbetriebspunkte gegeben ist. Des Weiteren wird für Validierungszwecke4 ein Versuchsplan nach der Latin-Hypercube-Sampling-Methode 5
erstellt. Dieser besteht aus 69 Designpunkten, welche nach statistischen Kriterien
gleichverteilt im 8-dimensionalen Eingangsraum angeordnet sind und somit 69 unterschiedliche Motorbetriebspunkte beschreiben. Abb. 6.2 zeigt die ausgewählten
bzw. berechneten Motorbetriebspunkte beider Versuchspläne.
Abb. 6.2: Vermessungskennfeld: ausgewähltes Kennfeldraster des Takagi-SugenoVersuchsplans und berechnete LHS-Motorbetriebspunkte
4
Die Validierung des aus der Versuchsplanung und -durchführung hervorgehenden Motormodells erfordert zusätzliche Generalisierungsdaten, um die Modellgüte beurteilen zu können.
5
Latin Hypercube Sampling - LHS, siehe Seite 32
6.1. VERSUCHSPLANUNG
103
Versuchsdurchführung
Bei der Kennfeldvermessung treten in insgesamt 28 Designpunkten des TS-Versuchsplans (inklusive der Motordrehzahl und der Last) Verletzungen der festgelegten Grenzwerte bezüglich Motordrehmoment, Zylinderspitzendruck, Abgastemperatur und Luftverhältnis auf, die den Eingriff der automatischen Verstellstrategie6
zur iterativen Anpassung an die lokalen Versuchsraumbeschränkungen notwendig
machen. In Abb. 6.3 sind die Art und die Anzahl der aufgetretenen Grenzwertverletzungen in den jeweiligen Motorbetriebspunkten dargestellt. Hierbei macht die Ver-
12
Anzahl Grenzwertverletzungen
10
Abgastemperatur
8
Motordrehmoment
6
Zylinderspitzendruck
4
Luft-
2 verhältnis
0
n [min-1]
m B [mm³/Hub]
BP 1
1200
20.3
BP 2
1200
44
BP 3
2000
9.5
BP 4
2000
20.3
BP 5
2800
11.5
BP 6
3600
11.5
BP 7
3600
20.3
BP 8
3600
44
Abb. 6.3: Automatische Vermessung: Art und Anzahl der Grenzwertverletzungen in den
Motorbetriebspunkten des Takagi-Sugeno-Versuchsplans
letzung des weichen Kriteriums zum Motordrehmoment, d.h. die Unterschreitung
der Minimalgrenze, aufgrund der sehr klein gewählten untersten Lasten im Motorbetriebsbereich den Hauptanteil aus. Wie erwartet treten die Verletzungen der
harten Kriterien - insbesondere die Überschreitung der Abgastemperatur-Grenze in den obersten Lastpunkten des Motorkennfeldes auf. Die Anzahl der Vektorverstellungen nach der Detektion einer Grenzwertverletzung variiert prinzipbedingt in
Abhängigkeit von der Einstellung des zuletzt angefahrenen stabilen Versuchspunktes. Die Verweilzeiten in diesen Betriebsbereichen sind stark verkürzt, so dass die
(dynamischen) Motordaten nicht als Grundlage zur stationären Modellierung, sondern nur der Kennzeichnung nicht fahrbarer Motorbetriebszustände dienen. Grund6
Siehe Abschn. 5.2.2
104
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
sätzlich wird zu jedem Designpunkt eine Zwischenspeicherung durchgeführt, um
die Versuchsdurchführung im Hinblick auf die Fahrbarkeit zu protokollieren7 . Die
durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Versuchspunktes liegt schätzungsweise bei
2.4 min. Das repräsentative Ergebnis der lokalen Versuchsraumadaption wird am
Beispiel der Grenzwertverletzung im Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 und
mB = 20.3 mm3 /Hub veranschaulicht. Abb. 6.4 zeigt die Arbeitsweise der Vektorverstellung anhand des 6-dimensionalen Achsendiagramms, dessen Achsen vom Ursprung ausgehend sternförmig verlaufen und die Verstellparameterbereiche zwischen
zwei Designpunkten markieren8 . Die Polygonzüge kennzeichnen hierbei eine Verstellparameterkombination. Mit dem im Versuchsplan vorgesehenen Designpunkt
VP B kann die Reibleistung nicht überwunden werden, das Motordrehmoment ist
folglich negativ. Die Verstellstrategie schreitet ein und geht in Richtung des letzten
stabilen Designpunktes (VP A) mit der vektoriell halbierten Schrittweite zurück.
Da der Rückwärtsschritt stabil ist, wird der lokale Versuchsraum im darauf folgenden Vorwärtsschritt wieder erweitert und im verletzungsfreien Betriebszustand so
an die Versuchsraumgrenzen angepasst (Ersatzpunkt)9 . Tab. 6.6 zeigt den zur Abb.
6.4 korrespondierenden Übergang von Designpunkt VP A zu Designpunkt VP B
und stellt diese den vermessenen Verstellparameterkombinationen gegenüber. Hier
sind im Bereich der Frischluftmasse und des Ladedrucks deutliche Abweichungen zu
erkennen. Diese Zusammenhänge ergeben sich aus der Betriebspunktcharakteristik
und müssen bei der Optimierung durch Ausschluss der nicht fahrbaren Verstellparameterbereiche berücksichtigt werden. Abb. 6.5 zeigt die auftretende Diskrepanz
zwischen der Soll- und der Ist-Kombination des ermittelten Ersatzpunktes.
Nr.
A Soll
A Ist
B Soll
B Ist
V EM
2.0
2.0
0
0.3
mm3 /Hub
ABV E
14.0
13.99
14.0
14.0
◦
KW v. OT
ABHE
7.0
7.01
-4.0
-4.0
◦
KW v. OT
pRail
795000
795867
290000
289975
hP a
pL
mL
1800
545
1053
512
1000
780
1003
491
hP a mg/Hub
Tab. 6.6: Versuchspunktwechsel mit Grenzwertverletzung im stationären Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub
7
Neben den Verletzungspunkten werden auch jene Designpunkte als nicht fahrbar deklariert,
welche sehr große Abweichungen zwischen den Vorgaben und den tatsächlich einstellbaren Verstellparameterkombinationen nach sich ziehen.
8
Die Wertebereiche der Parameter sind der Darstellbarkeit wegen normiert.
9
In diesem Fall bricht die Verstellstrategie zugunsten einer schnellen Kennfeldvermessung ab.
6.1. VERSUCHSPLANUNG
105
Voreinspritzmenge
1
0,5
Ansteuerbeginn
Voreinspritzung
Frischluftmasse
0
VP A (Startpunkt)
VP B (Endpunkt)
Rückschritt
Vorschritt (Ersatzpunkt)
Ansteuerbeginn
Haupteinspritzung
Ladedruck
Raildruck
Abb. 6.4: Arbeitsweise der Verstellstrategie: Grenzwertverletzung im Motorbetriebspunkt n = 2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub
Voreinspritzmenge
1
0,5
Ansteuerbeginn
Voreinspritzung
Frischluftmasse
Ersatz VP B Soll
0
Ersatz VP B Ist
Ansteuerbeginn
Haupteinspritzung
Ladedruck
Raildruck
Abb. 6.5: Soll-Ist-Vergleich für gefundenen Ersatzpunkt im Motorbetriebspunkt n =
2000 min−1 und mB = 20.3 mm3 /Hub
106
6.2
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Modellbildung
Zur Modellbildung werden neben den Zielgrößen Stickoxid-Emission N Ox , Schwärzungszahl SZ und spezifischer Kraftstoffverbrauch be auch die Grenzwertgrößen
Motordrehmoment M , Abgastemperatur TAbgas und Zylinderspitzendruck pzyl,max
ausgewählt, welche als wichtige Nebenbedingungen in die Optimierungsalgorithmik einbezogen werden. Es ist zu beachten, dass der komplette Motorbetriebsbereich durch ein einziges, globales Motormodell abzudecken ist. Das Modell muss
die großen Parameterbereiche gut verarbeiten und die lokalen Ausprägungen, auch
zwischen den Stützstellenpunkten10 , tendenziell gut abbilden können. Abb. 6.6 zeigt
die auf der TS-Versuchsplanung basierenden und am hochdynamischen Motorprüfstand umgesetzten Designpunkte für den spezifizierten Versuchsmotor. Die Motorbetriebsgrößen und die definierten Motorverstellparameter gehen als Eingangsgrößen in die Erstellung des globalen Motormodells ein. Wie erwartet zeigt sich, dass
der Ladedruck und die Frischluftmasse nur begrenzt im Motorbetriebsbereich frei
einstellbar sind. Diese Grenzen müssen bei der Optimierung weitestgehend eingehalten werden, um zu große Modellfehler durch Extrapolationen zu vermeiden. In
Abb. 6.7 sind die Designpunkte aus der Generalisierungsmessung auf Grundlage
des Latin-Hypercube-Sampling-Plans zu sehen. Die statistisch verteilten Generalisierungsmessungen erstrecken sich über den gesamten Motorbetriebsbereich und
eignen sich daher besonders zur Evaluierung des globalen Motormodells zwischen
den Stützstellenpunkten. Für die Modellerstellung werden mehrere Strukturvarianten des Takagi-Sugeno-Systems untersucht. Diese unterscheiden sich in der Anzahl
der Eingangspartitionen pro Modelleingang und damit in der Gesamtanzahl der
Fuzzy-Regeln und der daraus resultierenden Anzahl der Polynomfunktionen in der
Ausgangsschicht. Die Modellidentifikation erfolgt mittels der in Abschn. 4.1.2 vorgestellten gewichteten Least-Square-Regression (WLS-Regression). Abb. 6.8 stellt das
Ergebnis von Modellbildung und Modellvalidierung anhand der mittleren Modellfehler11 für fünf verschiedene Modellordnungen des Takagi-Sugeno-Systems dar. Erwartungsgemäß verbessert sich das Trainingsergebnis mit zunehmender Modellordnung. Eine Überanpassung kann für die untersuchten Strukturen aber trotz der größer werdenden Differenz zwischen den Trainings- und den Validierungsfehlern nicht
festgestellt werden. Das beste Resultat wird mit 864 Fuzzy-Regeln (TS 4) erzielt.
Abb. 6.9 und Abb. 6.10 zeigen die entsprechenden Rechnungs-Messungsvergleiche
der Ziel- und Limitgrößen für die zugrunde liegenden Trainings- und Generalisierungsdaten. Man erkennt die im Mittel guten Interpolationseigenschaften der Modelle über den gesamten Motorbetriebsbereich. Die Approximationsgüte der globalen Motormodelle ist in den Stützstellenpunkten naturgemäß aufgrund der höheren
Informationsdichte durch die Quasi-Rasterung wesentlich höher.
10
Als Stützstellenpunkte werden die Motorbetriebspunkte bezeichnet, die im Motorkennfeld
rasterförmig angelegt, vermessen und zur Modellbildung herangezogen werden.
11
Der mittlere Modellfehler bestimmt sich aus den Fehlern der modellierten Ziel- und Limitgrößen.
6.2. MODELLBILDUNG
107
Abb. 6.6: TS-Kennfeldvermessung in den Stützstellenpunkten: Eingangsdaten zur Modellbildung
108
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.7: Generalisierungsmessung zwischen den Stützstellenpunkten (Latin Hypercube
Sampling): Eingangsdaten zur Modellvalidierung
6.2. MODELLBILDUNG
109
18
Mittlerer Modellfehler ε in %
16
14
13,62
13,48
12,5
10
12,35
12,32
12
10,28
Training
Validierung
9,24
8
6,27
6
5,45
4,06
4
2
0
TS 1
128 Regeln
TS 2
256 Regeln
TS 3
576 Regeln
TS 4
864 Regeln
TS 5
1296 Regeln
Abb. 6.8: Vergleich der Trainings- und Validierungsergebnisse für fünf verschiedene Modellordnungen des Takagi-Sugeno-Systems
Wegen des reduzierten Messumfangs und der Stützstellenunabhängigkeit ist das
globale Motormodell in der Basis-Kennfeldapplikation auch immer den Betriebspunktmodellen vorzuziehen [14].
Um die Qualität des globalen Motormodells noch zusätzlich zu beurteilen, werden
ergänzend fünf weitere Modellarten untersucht und vergleichend gegenübergestellt:
• Sugeno-Inferenz-System
Die Eingangsschicht des Sugeno-Inferenz-Systems besteht aus jeweils zwei
Gaussfunktionen, die zunächst äquidistant in den Eingangsbereichen verteilt
sind. Die Regelbasis baut sich in Abhängigkeit der gewählten Eingangsschicht
vollfaktoriell auf. Die Singletons in der Ausgangsschicht werden jeweils einer
Regel zugeordnet. Die Anpassung der freien Parameter des Sugeno-Systems
erfolgt auf Basis der Delta-Lernregel (Windrow-Hoff-Regel). Hierbei werden
nach dem Backpropagation-Prinzip zuerst die Parameter in der Ausgangsschicht, dann die Zentren der Gaussfunktionen durch Minimierung der Gütefunktion12 iterativ an den Trainingsdatensatz angepasst. Insgesamt ergeben
sich für jeden Modellausgang 272 Koeffizienten, die auf Grundlage des Trainingsdatensatzes adaptiert werden. Die Bedingung zur Lösung des nichtlineares Gleichungssystems ist somit erfüllt.
12
Quadratischer Fehler
110
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.9: TS-Kennfeldvermessung in den Stützstellenpunkten: Rechnungs-Messungsvergleiche
6.2. MODELLBILDUNG
111
Abb. 6.10: Generalisierungsmessung zwischen den Stützstellenpunkten (Latin Hypercube
Sampling): Rechnungs-Messungsvergleiche
112
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
• DoE-Polynomfunktion
Für die Modellerstellung wird der vollbesetze, kubische Modellansatz vorgesehen. Der Mindestumfang zur Bestimmung der freien Koeffizienten beträgt
165 Messpunkte. Zur Minimierung der Varianz-/Kovarianzmatrix gibt es zwei
Kriterien - die Optimierung des Designs oder die Erhöhung des Versuchsumfangs. Letzeres wird durch den doppelten Umfang des auf dem Takagi-SugenoVersuchslan basierenden Trainingsdatensatzes erfüllt und rechtfertigt damit
den formalen Einsatz des DoE-Modells.
• Radial-Basis-Funktionen-Netz (RBF-Netz)
Das verwendete Radial-Basis-Neuron besteht aus der Gaussfunktion, die den
vektoriellen Abstand von der Modelleingangskombination zum definierten Zentrum der radial-symmetrischen Funktion beschreibt und durch die Applikation der Spreizung13 feinjustierbar ist. Die Ausgangsschicht wird durch die
lineare Aktivierungsfunktion repräsentiert14 . Die freien Parameter sind die
Gewichtungen und der Schwellwert. Die Anzahl der Neuronen in der verdeckten Schicht ist zur Vermeidung der Überanpassung auf 45 limitiert (Abbruchkriterium der Modellidentifikation).
• Generalized Regression Neuronal Network (GRNN)
Die Konfigurationsmöglichkeit ist auf die Einstellung der Spreizung begrenzt,
da die Zentren der Gaussfunktionen mit den vermessenen Designpunkten und
die Gewichtungen der Ausgangsschicht15 mit den vermessenen Ziel- und Limitgrößen besetzt werden. Die Spreizung wird klein gewählt (Spreizung = 0.25),
um durch den schwachen Überlappungsgrad die Generalisierungsfähigkeit des
Netzes zu verbessern.
• Feedforward-Netz (FF-Netz)
Das Feedforward-Netz besteht aus vier verdeckten Schichten mit jeweils 10
Neuronen und einer linearen Ausgangsschicht. Als Aktivierungsfunktion der
verdeckten Schichten wird die hyperbolische Tangensfunktion16 ausgewählt.
Für das Netztraining mittels Backpropagation-Algorithmus17 kommt statt der
mittleren Summe der Fehlerquadrate die modifizierte Gütefunktion mit Berücksichtigung der mittleren Summe der Gewichtungs- und Schwellwertequadrate zum Einsatz (Gütefaktor γ = 0.9 ).
Die Modellcharakteristika sind in Tab. 6.7 und Tab. 6.8 zusammengefasst.
13
Überlappungsgrad der Radial-Basis-Neuronen
purelin(n) = n
15
Die lineare Augangsschicht des GRNN beinhaltet nur die Gewichtungen, die Schwellwerte
entfallen.
2
16
−1
tansig(n) =
(1 + e−2n )
17
Levenberg-Marquardt-Algorithmus
14
6.2. MODELLBILDUNG
113
TakagiSugeno
DoESugeno
Polynom
Partitionen
Partitionen
Kubischer Modell{Gauss}
{Gauss}
ansatz
Anzahl je Eingang: Anzahl je Eingang:
3-3-2-2-3-2-2-2
2-2-2-2-2-2-2-2
165 freie Koeffizienten
864 Regeln
256 Regeln
WLS-Regression
Delta-Lernregel
LS-Regression
Tab. 6.7: Modellcharakteristika: Takagi-Sugeno-System, Sugeno-System und DoEPolynom
Radial-BasisFunktionen-Netz
45-6-Netz
{radbas,purelin}
Spreizung: 7.5
LSRegression
GRNN
347-6-Netz
{radbas,purelin}
Spreizung: 0.25
-
FeedforwardNetz
10-10-10-10-6-Netz
{tansig,tansig,tansig,tansig,purelin}
Modifizierte Gütefunktion:
Gütefaktor γ = 0.9 (Regularisierung)
Levenberg-Marquardt-Alg.
Tab. 6.8: Modellcharakteristika: Radial-Basis-Funktionen-Netz, Generalized Regression
Neural Network (GRNN) und Feedforward-Netz
Abb. 6.11 zeigt die Ergebnisse der Modellvalidierungen zwischen den Stützstellenpunkten. Es fällt auf, dass die Emissionen grundsätzlich am schwierigsten nachzubilden sind. Dabei sind große Unterschiede in der Abbildungsqualität erkennbar.
Das Sugeno-Inferenz-System und das GRNN offenbaren ihre schlechte Generalisierungsfähigkeit, da die Anpassung der Modelle strukturell zu stark an die Trainingsdaten angelehnt ist. Auftretende Messungenauigkeiten werden demzufolge zu
stark gewichtet, was sich insbesondere in sehr hohen Fehlerquoten bei den Zielgrößen Stickoxid-Emission und Schwärzungszahl niederschlägt. Ebenso verhält es
sich mit der DoE-Polynomfunktion, die als globales Modell die lokalen Ausprägungen - trotz eines sehr guten Trainingsergebnisses - nur unzureichend abbilden
kann. Beim Radial-Basis-Funktionen-Netz musste die Spreizung erhöht werden,
um der begrenzten Anzahl der Neuronen Rechnung zu tragen und den notwendigen Überlappungsgrad der Radial-Basis-Funktionen zu gewährleisten. Die Validierung der approximierten Limitgrößen zeigen entsprechend gute Ergebnisse. Die besten Validierungsergebnisse liefern das Takagi-Sugeno-System und das FeedforwardNetz. Beim Feedforward-Netz sind aufgrund der Initialisierungsproblematik des
Trainingsalgorithmus18 mehrere Iterationen zum Netztraining erforderlich, um lokale Optima bei der Minimierung der modifizierten Gütefunktion ausschließen zu
18
Die Startwerte der unbekannten Netzparameter wirken sich entscheidend auf den Optimierungsverlauf des Backpropagation-Algorithmus (Gradientenabstiegsregel) aus.
114
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
können. Die in der vergleichenden Gegenüberstellung zum Ausdruck kommende
hohe Approximationsgüte des Takagi-Sugeno-Systems macht die Effizienz der angepassten, optimalen Versuchsplanung und damit den wirksamen Einsatz dieses
Modelltyps für die Approximation des Motorverhaltens über den gesamten Motorbetriebsbereich deutlich.
70,00
65,00
60,00
55,00
Modellfehler ε in %
50,00
45,00
NOx
SZ
be
40,00
35,00
M
TAbgas
pzyl,max
30,00
25,00
20,00
15,00
10,00
5,00
0,00
Takagi-Sugeno Sugeno
TS 4
DoEPolynom
RBFNetz
GRNN
FFNetz
Abb. 6.11: Validierung zwischen den Stützstellenpunkten (basierend auf dem LHS-Plan):
Gegenüberstellung der globalen Motormodelle
6.3
6.3.1
Stationäre Betriebspunktoptimierung
Evolutionäre Algorithmen
Die Klasse der Evolutionären Algorithmen (EA) enthält weit verbreitete Verfahren
zur Lösung nichtlinearer Optimierungsprobleme. Die Namensgebung erfolgt aufgrund ihrer Anlehnung an die Prinzipien der biologischen Evolution. Die Evolution
ist in der Lage, Lebensformen und Organismen optimal an ihre Umwelt- und Lebensbedingungen anzupassen. Die Methoden Selektion, Rekombination und Mutation
werden von den EA angewendet, um eine optimale Lösung eines Problems zu finden. Innerhalb der EA existieren weitere Unterklassen. Von besonderer Bedeutung
für Optimierungen im technischen Bereich sind die Genetischen Algorithmen (GA).
GA sind in der Lage, anhand heuristischer Vorgehensweisen Lösungen innerhalb
des vollständigen Suchraums zu ermitteln. Vorab erfolgt eine kurze Einführung in
die Bezeichnungen, die in der Erläuterung verwendet werden:
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
115
• Population P (t)
Menge der Chromosomen (Individuen) einer Generation
• Chromosom C
Lösungsvektor
• Gen
Teil (Variable) des Lösungsvektors
• Wahrscheinlichkeit für Übernahme in Folgegeneration pC
„Überlebenswahrscheinlichkeit“
• Mutationswahrscheinlichkeit pM
• Rekombinationswahrscheinlichkeit pR
Der prinzipielle Ablauf eines Genetischen Algorithmus ist durch folgende Schritte
gekennzeichnet:
1. Bildung einer Startpopulation mit Individuen, die zufällig aus dem Suchraum
gewählt werden
2. Berechnung der Lösungsgüte (Fitness)
3. Selektion
4. Anwendung genetischer Operatoren zu Erzeugung von Nachkommen
5. Wiederholung von 2.-4., bis ein Abbruchkritierium erfüllt ist.
Startpopulation
Die Basis der GA-Iteration bildet die Startpopulation. Mit Population wird in der
Biologie eine Gruppe von Individuen gleicher Art bezeichnet, die miteinander in
Verbindung stehen und sich zumeist auf einem räumlich definierten Areal befinden.
In den nachfolgenden Beschreibungen werden diese Individuen durch ihre Chromosomen abgebildet. Zur Bildung einer Startpopulation P (t) zum Zeitpunkt t werden
nach dem Zufallsprinzip n Chromosomen ausgewählt.
Qualitätsbewertung
Im nächsten Schritt werden die Chromosomen der Startpopulation, d. h. die Lösungsvektoren, in die Zielfunktion eingesetzt. Anhand des Ergebnisses wird die Qualität des einzelnen Chromosoms bewertet. Das Maß für die Qualität wird in der Literatur auch als fitness 19 bezeichnet. Das Chromosom mit dem kleinsten Zielwert20
19
20
engl.: fit = angepasst
Mit dem größten Zielwert, wenn es sich um ein Maximierungsproblem handelt.
116
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
f (C) erhält den höchsten Rang21 . Gleichzeitig wird ihm ein Fitness-Wert zugeteilt,
z. B. 2. Die weiteren Chromosomen erhalten entsprechend ihrem Rang abgestufte
Fitness-Werte, das Chromosom mit dem größten Zielwert erhält die Fitness 0. Je
angepasster ein Chromosom ist, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit pC , dass
das Chromosom in die nachfolgende Generation t + 1 aufgenommen wird.
pCi =
f it(Ci )
n
i=1 f it(Ci )
n
pC ∈ [0; 1]
pC = 1
(6.1)
i=1
Aus der Menge der Startpopulation wird eine definierbare Anzahl Chromosomen
nach dem Zufallsprinzip ausgewählt (Selektion) und kopiert, vgl. Abb. 6.12. Auf
diese Zwischenpopulation P ∗ (t) werden die genetischen Operatoren angewendet.
Die entstandene Menge stellt die Nachkommen. Bei der Bildung der Folgepopulation
werden zwei Möglichkeiten entschieden.
Fitteste
Nachkommen
Eltern mit den besten
Fitness-Werten
(Anteil variabel)
Kopie
Genetische
Operatoren
Startpopulation
P(t)
Folgegeneration
P(t+1)
Iterations-Schleife
Abb. 6.12: Prinzipskizze Genetische Algorithmen
1. Es werden aussschließlich die fittesten Nachkommen zur Bildung der Folgepopulation zugelassen.
2. Die Folgepopulation wird aus der Summe der fittesten Nachkommen und den
fittesten Eltern gebildet. Um der Gefahr der Stagnation, d.h. vorzeitigen Konvergenz, vorzubeugen, kann eine Alterung implementiert werden [48]. Das bedeutet, dass ein Elternchromosom automatisch aus der Population entfernt
wird, wenn es eine definierte Anzahl an Generationen beeinflusst hat.
21
Daher als rangbasierte Fitnesszuweisung bezeichnet.
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
117
Variante 2 wird häufiger angewendet, da dadurch eine größere Vielfalt in der Generation P (t + 1) erreicht wird. Hier wird wie im realen Leben der größtmögliche
Erfolg erzielt, wenn die „Erfahrungen“ der Eltern und der Nachkommen kombiniert
werden.
Selektion
Die Auswahl der Chromosomen für die weitere Verwendung unterschiedlicher Art
wird mittels Selektion vorgenommen. Ob die Selektion eines Individuums stattfindet, wird direkt durch seine Überlebenswahrscheinlichkeit pC bestimmt. Zwei
Selektionsverfahren werden kurz erläutert. Zur Veranschaulichung der einfachen
Glücksrad-Selektion 22 stellt man sich einen Kreis, das Glücksrad, vor. Der Kreis beschreibt den Wertebereich der Überlebenswahrscheinlichkeit nach Gl. (6.1). Je nach
der berechneten Überlebenswahrscheinlichkeit pC erhält jedes Chromosom eine anteilige Fläche des Kreises, vgl. Abb. 6.13 (links). Zur Auswahl von k Chromosomen
wird k-mal eine Zufallszahl α ∈ [0; 1] innerhalb des Wertebereichs gebildet, der Zeiger wird „gedreht“. Es wird das Chromosom ausgewählt, in dessen Wertebereich
sich die Zufallszahl befindet. Die mathematische Formulierung lautet: Wähle das
Chromosom Ci für die Folgegeneration Ci ∈ P (t + 1), i ∈ {1, ..., n} aus, wenn gilt:
n
n−1
p(Cj ) ≤ α <
p(Cj )
(6.2)
j=1
j=1
Diese Methode besitzt einen erheblichen Nachteil. Unter ungünstigen Umständen
werden nur Chromosomen mit schlechter Überlebenswahrscheinlichkeit ausgewählt,
im Extremfall k-mal das Schlechteste. Das beste Chromosom überlebt den Generationswechsel unter Umständen nicht. Eine Möglichkeit, diesem Problem vorzubeugen,
stellt die Selektion mit zufälliger durchgängiger Abtastung23 dar. Im Gegensatz zum
SSR, wo ein Zeiger k-mal gedreht wird, werden beim SUS k Zeiger nur ein Mal gedreht. Die zu ermittelnde Zufallszahl α1 für den ersten Zeiger ist aus dem Intervall
Pn
p
[0; i=1 C ] zu wählen. Da die Abstände der Zeiger konstant sein müssen, erfolgt die
k
mathematische Beschreibung jedes weiteren Zeigers mit Gl. (6.3).
k−1
j·
αj = α1 +
j=1
n
i=1
pC
k
(6.3)
Diese Variante bewirkt, dass Chromosomen gewählt werden, deren Überlebenswahrscheinlichkeit mindestens dem Durchschnittswert entspricht. Weist ein Chromosom
ein m-faches des Durchschnitts auf, wird dieses sogar m-mal kopiert, vgl. Abb. 6.13
rechts. Da nur eine Zufallszahl erzeugt wird, bietet das SUS zusätzlich Vorteile
hinsichtlich des Rechenzeitbedarfs.
22
23
Stochastic Sampling with Replacement (SSR)
Stochastic Universal Sampling (SUS)
118
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.13: SSR- und SUS-Selektion
Genetische Operatoren
Auf die Zwischenpopulation P ∗ (t) werden zur Erzeugung von Nachkommen die Genetischen Operatoren (GO) Rekombination sowie Mutation angewendet. Ein nicht
so häufig verwendter GO ist die Inversion. Da dieser Operator im Zusammenhang
mit dieser Arbeit nicht zum Einsatz gelangt, wird er an dieser Stelle lediglich der
Vollständigkeit halber erwähnt. Nähere Informationen finden sich z. B. in [9].
Rekombination
In der Biologie wird mit Rekombination die Verteilung und Neuanordnung von genetischem Material verstanden. Nach diesem Prinzip werden innerhalb des GA Teilstücke zweier Elternchromosomen ausgewählt und anschließend neu zusammengesetzt. Dabei entscheiden wiederum Zufallszahlen, welche Eltern ausgewählt werden,
ob zwischen diesen beiden eine Rekombination24 stattfindet und wenn ja, welche
Abschnitte ihrer Erbinformation herausgelöst und neu kombiniert werden. Dabei
wird zwischen Single-Point Crossover und Multi-Point Crossover unterschieden.
Das Single-Point Crossover ist dadurch gekennzeichnet, dass nur ein Crossoverpunkt festgelegt wird. An dieser Stelle des Erbmaterials erfolgen die Auftrennung
und die Neuanordnug mit dem entsprechenden Abschnitt des zweiten beteiligten
Elter, vgl. Abb. 6.14. Hingegen erfolgt beim Multi-Point Crossover Trennung und
Austausch an mehreren Stellen, vgl. Abb. 6.15. Der Operator Rekombination gehört
zur Klasse der „Zwei-Elter-Operatoren“.
24
Auch als Crossover bezeichnet
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
119
Abb. 6.14: Single-Point Crossover nach [9]
Abb. 6.15: Multi-Point Crossover nach [6]
Mutation
Unter Mutation wird eine Veränderung des Erbgutes eines Individuums verstanden,
die nicht auf Rekombination oder Segregation25 zurückzuführen ist. Bei der Rekombination stammen die Gene aus dem Wertebereich der Startpopulation und werden
lediglich neu angeordnet weitergegeben. Selbst mit einer hohen Anzahl an Chromosomen in der Initialpopulation ist nicht gewährleistet, dass diese gleichverteilt
dem gesamten Suchraum entstammen. Gelangt nur Rekombination zur Anwendung,
besteht die Gefahr, dass gute Lösungen, die nicht in P (t) enthalten waren, nicht aufgefunden werden. Die Mutation kann der Forderung gerecht werden, Lösungen zu
generieren, die sich außerhalb des Wertebereichs der Startpopulation befinden. Die
Ausbildung neuer Merkmale ist von entscheidender Bedeutung, um das Chromosom
zu finden, welches die beste Lösung des Problems darstellt. Bei der Anwendung der
Mutation muss darauf geachtet werden, dass nur „kleine“ Änderungen am Original vorgenommen werden. Somit wird gewährleistet, dass die Änlichkeit zwischen
Eltern und Nachkomme nach wie vor gegeben ist. Über den Einsatz des Mutationsoperators auf ein Chromosom entscheidet die Mutationswahrscheinlichkeit pM .
Eine vielfach verwendete Mutationswahrscheinlichkeit, die zudem eine theoretische
Berechtigung besitzt [9], ist pM = 1/nGene . nGene ist die Anzahl der im Chromosom
enthaltenen Gene. Die Mutation zählt zur Klasse der „Ein-Elter-Operatoren“.
25
Aufspaltung und Trennung von Chromosomen
120
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.16: Prinzip der Mutation nach [6]
Abbruchkriterien
Abbruchkritierien sind unverzichtbarer Bestandteil des GA. Da eine ausreichend gute Lösung eines Optimierungsproblems mit vertretbarer Rechenzeit ermittelt werden soll, muss der GA unter bestimmten Voraussetzungen terminiert werden. Dazu
zählen je nach Bedarf unter anderem:
• das Erreichen einer Mindestanforderung an die Lösungsgüte,
• die festgelegte maximale Anzahl an Generationen wurde gebildet,
• in den letzten p Generationen wurde keine bedeutende Verbesserung der Chromosomen mehr erreicht oder
• zwischen zwei aufeinanderfolgenden Generationen tritt kein Fortschritt mehr
auf.
Eine grafische Veranschaulichung bietet Abb. 6.17. Die Funktion ist von zwei Variablen x und y abhängig. f (x, y) : 2 →
Innerhalb des gesamten Gebirges (links) sollen die Koordinaten des höchsten Berges aufgefunden werden, welcher dem globalen Maximum entspricht und dunkelrot
gefärbt ist. In der 2D-Darstellung (mittig und rechts) sind die entsprechenden Höhenniveaus farblich zugeordnet. Die Startpopulation enthält eine Anzahl zufälliger
Lösungskandidaten (Mitte). Nach zehn Generationen (Iterationen) befinden sich
bereits alle möglichen Lösungskandidaten in der Nähe des Maximums (rechts).
Abb. 6.17: Optimum-Suche mittels Genetischer Algorithmen nach [25]
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
6.3.2
121
Konventionelle Offline-Optimierung
Im Fokus der Untersuchungen zur stabilen Grundbedatung mittels Genetischer Algorithmen stehen die Zielgrößen Stickstoffoxidemission N Ox , Schwärzungszahl SZ
sowie der spezifische Kraftstoffverbauch be . Die Beschreibung des multikriteriellen
Optimierungsproblems erfolgt auf Basis der in der Praxis bevorzugt eingesetzten
skalaren Zielfunktion gemäß Gl. (6.4)
ZF (x) = wN Ox · N Ox (x) + wSZ · SZ(x) + wbe · be (x)
(6.4)
Die Initialisierung des Genetischen Algorithmus zur Betriebspunktoptimierung ist
in Anhang A.3 dargestellt. Für die Grundbedatung werden die in Abschn. 6.2
eingesetzten Modelltypen angewendet und hinsichtlich der Abbildungs- und Optimierungsqualität untersucht. Die repräsentative Auswertung konzentriert sich auf
vier äquidistant im Motorkennfeld aufgeteilte stationäre Motorbetriebspunkte (siehe Tab. 6.9), welche auch zur globalen Kennfeldvermessung herangezogen wurden.
Die Konfiguration der skalaren Zielfunktion ist in Tab. 6.10 dargestellt. Die Betriebspunktoptimierungen werden für drei unterschiedliche Zielfunktionsbedatungen durchgeführt. Somit ergeben sich insgesamt 72 modellgestützte OptimierungsBetriebs- Drehzahl
Last
−1
punkt
in min
in mm3
1
2000
20.3
2
2000
32
3
2800
20.3
4
2800
32
Tab. 6.9: Betriebspunktoptimierung: Auswahl der repräsentativen Motorbetriebspunkte
w
1
2
3
wN Ox
33
40
40
wSZ
33
40
20
wbe
33
20
40
Tab. 6.10: Konfiguration der skalaren Zielfunktion (Wichtungen in %)
durchläufe, deren resultierende Optima im Anschluss den Versuchsplan zur Validierung der Optimierungsergebnisse bilden26 . Der Ausgangspunkt der modellgetriebenen Offline-Optimierung ist die Abgrenzung des Hyperraumes in den ausgewählten
stationären Motorbetriebspunkten. Die Randwertfestlegung ist maßgebend für die
26
nV P = nBetriebspunkte · nM odelle · nW ichtungsvariationen = 4 · 6 · 3 = 72
122
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Optimumsuche, wie in Abb. 6.18 am Beispiel eines eindimensionalen Optimierungsproblems verdeutlicht wird.
globales
Minimum
lokales
Minimum
Verstellparameter
Bereich nicht
zielführend
Modell-Zielgröße
Bereiche nicht abgedeckt
durch Vermessung
Modell-Zielgröße
Bereich nicht abgedeckt
durch Vermessung
globales
Minimum
extrapoliertes
Minimum
Verstellparameter
Bereich nicht zielführend
Abb. 6.18: Problematik der Randwertbestimmung zur modellbasierten Optimierung am
Beispiel eines eindimensionalen Optimierungsproblems
Zu klein gewählte Verstellbereiche können bereits im Vorfeld zu einem Ausschluss
des globalen Optimums von der Optimumsuche führen und damit - unabhängig von
der Modellqualität - eine zielführende Bedatung verhindern (siehe Abb. 6.18 links
und rechts). Werden die Verstellparameterbereiche zu groß ausgelegt, d.h. werden
Bereiche eingeschlossen, die nicht durch die Motorvermessung abgedeckt sind, so
ziehen die mit dem Suchprozess einhergehenden Extrapolationen eine deutlich eingeschränkte Vorhersagegenauigkeit und in der Regel falsche Optima nach sich (siehe
Abb. 6.18 rechts).
Die Randwertproblematik ist charakteristisch für den mehrdimensionalen Grundbedatungsprozess, da die nichtlinearen Grenzen mit steigender Motorkomplexität nicht ausreichend detailliert für die Offline-Optimierung spezifiziert werden
können. Tab. 6.11 und Tab. 6.12 zeigen exemplarisch die Offline-Ergebnisse von
zwei Betriebspunktoptimierungen für alle eingesetzten Modelltypen einschließlich
der Validierungsmessungen. Die Rechnungs-Messungsvergleiche werden zusätzlich
durch die Fahrbarkeit F und durch den Randwertanteil RA ergänzt. F gibt den
Umsetzungsgrad der rechnerisch ermittelten Verstellparameterkombination an; RA
skizziert den Anteil, der durch die Offline-Optimierung an den festgelegten Rand
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
Zielfunktion
w(1) = 33 33
123
DoE-Polynom
Sugeno
RBF-Netz
GRNN
FF-Netz
Takagi-Sugeno
SZ
in FSN
be
in g/kWh
ZF
(normiert)
247
141
490
173
577
285
33
NOx
in ppm
0.93
1.95
0.18
0.23
0.07
0.10
232
289
214
359
218
244
0.093
0.166
0.077
0.118
0.085
0.061
(133)
(71)
(104)
(261)
(180)
(260)
(0.04)
(0)
(0.00)
(0.39)
(0.11)
(0.05)
(2)
(233)
(161)
(272)
(233)
(260)
(-0.102)
(0.019)
(-0.018)
(0.089)
(0.041)
(0.064 )
F
in %
RA
in %
99
98
93
99
41
99
33
83
17
33
50
33
Tab. 6.11: Modellbasierte Optimierung im stationären Motorbetriebspunkt n =
2000min−1 , mB = 20.3mm3 /Hub: Zielgrößen und Zielfunktion (Offline-Ergebnisse in
Klammer), Fahrbarkeit F und Randwertanteil RA
Zielfunktion
w(1) = 40 40
DoE-Polynom
Sugeno
RBF-Netz
GRNN
FF-Netz
Takagi-Sugeno
20
NOx
in ppm
SZ
in FSN
be
in g/kWh
ZF
(normiert)
400
334
354
362
299
440
1.13
0.91
1.24
2.39
1.81
1.02
259
271
280
326
290
257
0.151
0.130
0.158
0.249
0.188
0.150
(0)
(226)
(164)
(310)
(370)
(120)
(0)
(0)
(0)
(0.37)
(0.04)
(0)
(44)
(188)
(269)
(293)
(235)
(253)
(-0.063)
(0.025)
(0.043)
(0.099)
(0.068)
(0.030)
F
in %
RA
in %
68
98
99
94
94
66
33
83
33
67
67
67
Tab. 6.12: Modellbasierte Optimierung im stationären Motorbetriebspunkt n =
2800min−1 , mB = 32mm3 /Hub: Zielgrößen und Zielfunktion (Offline-Ergebnisse in Klammer), Fahrbarkeit F und Randwertanteil RA
des jeweiligen, lokalen Hyperraumes platziert wurde.
Generell werden deutlich bessere Optimierungsergebnisse prognostiziert, als online am Motorprüfstand umgesetzt werden. Die entsprechend Gl. (6.4) gebildeten
und aus der Offline-Optimierung resultierenden normierten Zielfunktionswerte sind
im Negativfall direkte Indikatoren für Modellextrapolationen. Die approximierten
Optimierungslösungen sind größtenteils in hohem Maße fahrbar. Dennoch treten
vereinzelt niedrige Umsetzungsgrade (F < 90%) auf, die nicht mit der Modellgüte bzw. dem Modelltyp korrelieren und daher als Folge der Randwertproblematik
interpretiert werden können. Die hohen Randwertanteile belegen die tendenzielle Ausrichtung der modellbasierten Offline-Optimierung, die eine exakte Kenntnis
und eine detaillierte Beschreibung der Hyperraumrestriktionen erfordert. Abb. 6.19
zeigt die Änderung der über alle Modellausgänge bzw. Zielgrößen gemittelten Approximationsgüte als Validierungsresultat der modellbasierten Betriebspunktoptimierungen27 . Mit Ausnahme des GRNN-Modells, dessen ohnehin hohe Fehlerquote
27
Die Untersuchungen wurden für alle Motorbetriebspunkte und Wichtungsvariationen durchgeführt. Als Vergleichsbasis dienen die Validierungsergebnisse der globalen Kennfeldvermessung.
124
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Vaidierung der Offline-Betriebspunktoptimierungen
22,5
21,079
20
Zunahme des mittleren Modellfehlers in %
(bezogen auf die Modellvalidierung
der globalen Kennfeldvermessung)
17,5
15
12,5
11,785
10,789
10
9,79
9,077
7,5
5
2,5
-2,039
0
-2,5
Takagi-Sugeno
Sugeno
DoEPolynom
RBFNetz
GRNN
FFNetz
Abb. 6.19: Änderung der über alle Zielgrößen gemittelten Approximationsgüte als Validierungsresultat der modellbasierten Betriebspunktoptimierungen.
Einfluss der Motormodelladaption (RBF-Netz) auf die Betriebspunktoptimierung
(n = 2000 min-1, mB = 32 mm3/Hub; alle Wichtungskombinationen)
40
Mittlerer Modellfehlergradient in %
35
Validierung der Betriebspunktoptimierungen:
Entwicklung der Modellfehler nach Adaption des RBF-Netzes
(bezogen auf Betriebspunktoptimierung mit Basis-RBF-Betz)
30
25
20
36,6
15
10
5
0
-3,3
0,1
-5,1
-2,3
-5
-10
-15
Verbesserung der Modellgüte durch Adaption
(bezogen auf das Basis-RBF-Netz)
-19,5
-20
-25
NOx
SZ
be
Abb. 6.20: Adaption des RBF-Netzes mit wiederholter Betriebspunktoptimierung: Änderung der Approximationsgüten
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
125
etwas gesenkt werden konnte, sind die mittleren Modellfehler aufgrund der Randwertfokussierung stark angestiegen. Eine effiziente Vorgehensweise auf Grundlage
der globalen Motormodelle ist daher nicht möglich. Abb. 6.20 zeigt den beispielhaften Versuch, durch die iterative Adaption des RBF-Netzes und die wiederholte
Betriebspunktoptimierung eine verbesserte Abbilungsqualität zu erreichen28 . Die
Darstellung verdeutlicht die gestiegene Generalisierungsfähigkeit des RBF-Netzes
bezogen auf die Basisauslegung. Das Validierungsergebnis der Betriebspunktoptimierung bestätigt hingegen die Generalisierung nicht. Während der spezifische
Kraftstoffverbrauch erheblich besser vorhergesagt werden kann, muss die Genauigkeit der Stickoxidnachbildung noch größere Einbußen hinnehmen. Das Potenzial
der Modelladaption wird nach dem ersten Iterationsschritt nicht ausgeschöpft, da
die Restriktionen des Hyperraumes wegen der hohen Dimensionalität nicht signifikant besser beschrieben werden können. Die Möglichkeit, den iterativen Vorgang
mehrmals zu durchlaufen, wird aufgrund der Ineffektivität des Entwicklungsprozesses ausgeschlossen. Diese Ergebnisse dokumentieren die Notwendigkeit für eine
Online-Vorgehensweise zur Basisbedatung mittels globaler Motormodelle. Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der wissenbasierten Online-Optimierung
dargelegt.
6.3.3
Wissensbasierte Online-Optimierung
Die Vorgehensweise basiert auf der in Abschn. 5.4 vorgestellten Methodik zur wissensbasierten Optimumsuche unter Anwendung der Skalarisierungsverfahren gewichtete Summe, -constraint-Methode, Referenzpunktmethode sowie Goal-Attainment-Verfahren. Für die Motorapproximation und die Darstellung der lokalen Wissensbasen wird das Takagi-Sugeno-Inferenz-System eingesetzt29 . Die Einbettung
der Modelle in das Prüfstandssystem und die Steuerung des Optimierungsablaufs
am Motorprüfstand erfolgt gemäß Abb. 6.21. Mit dem Einlesen der steuergerätespezifischen Beschreibungsdatei und der Vorgabe der Startbedatung im ausgewählten stationären Motorbetriebspunkt wird der Optimierungszyklus gestartet. Werden
keine Grenzwertverletzungen detektiert30 , so erfolgt die Stabilisierung des Motorbetriebspunktes mittels Prüfung der über definierte Zeitfenster31 gemittelten Abgastemperatur32 . In Anschluss werden die gemessenen Optimierungsparameter - die
Zielgrößen und die Motorverstellparameter - dem Optimierungsskript zur Auswertung und zur Weiterverarbeitung bereitgestellt. Der Optimierer berechnet gemäß
28
Der Trainingsdatensatz wurde um ca. 75 % der Messdaten zur Validierung der Betriebspunktoptimierungen erweitert, die restlichen 25 % wurden zur Generalisierung des adaptierten Netzes
herangezogen.
29
Siehe Konzeptansatz in Abschn. 5.3.2 und Ergebnisse zur Validierung der Wissensbasis in
Anhang A.2
30
Die Startbedatung wird manuell festgelegt und ist daher stabil.
31
Engl.: Moving Averages
32
Da der Einschwingvorgang stark arbeitspunktabhängig ist, erweist sich diese Methode gegenüber festen Stabilisierungszeiten als zweckmäßiger.
126
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
der inversen Modellierungsmethodik Lösungsvorschläge innerhalb einer festgelegten
vektoriellen Nachbarschaft der Motorverstellparameter. Hierbei werden alle skalaren Zielfunktionen hinsichtlich der wissensbasierten Lösungsvorschläge modellbasiert untersucht. Für die Untersuchungen wird ein Wichtungsverhältnis
w(3) = 40 20 40
festgelegt (siehe Tab. 6.10). Aufgrund der gleichgewichteten Vorgaben für N Ox und
be ergeben sich bei der -constraint-Methode zwei Zielfunktionskonfigurationen (siehe Gl. (2.7)). Darüber hinaus werden für die Umsetzung der Referenzpunktmethode
zwei unterschiedliche Parameterbedatungen vorgesehen (siehe Gl. (2.3)):
r(1) = 2
r(2) = 7
Somit werden insgesamt sechs skalare Zielfunktionen berücksichtigt, deren Bewertungscharakteristika (meist) unterschiedliche Motorverstellparameterkombinationen nach sich ziehen. Diese Lösungsvorschläge werden vom Optimierungsskript
ausgegeben, nacheinander abgefahren und validiert. Treten innerhalb dieses Optimierungszyklus Grenzwertverletzungen auf, so wird die jeweilige letzte stabile Bedatung aktiviert und der entsprechende Lösungsvorschlag verworfen. Nach Beendigung des Optimierungszyklus erfolgt die Berechnung weiterführender Motorverstellparameterkombinationen sowie die Adaption des Motormodells auf Grundlage
des durch die neu gewonnenen Messdaten erweiterten Trainingsdatensatzes. Die
Online-Optimierung wird beendet, wenn die maximale Anzahl der Optimierungszyklen erreicht ist.
In Abb. 6.22 sind die modellbasierten und die gemessenen Zielgrößen als exemplarisches Ergebnis der wissensbasierten Online-Optimierung im stationären Motorbetriebspunkt n = 2800 min−1 , mB = 32mm3 /Hub dargestellt. Man erkennt, dass
Online-Optimierung
NOx
SZ
be
Änderung des relativen Modellfehlers -3.6 % -1.6% -3.2 %
Tab. 6.13: Wissenbasierte Online-Optimierung (inkl. Modelladaption): Verbesserung der
Approximationsgüte bezogen auf das Validierungsergebnis zur globalen Modellbildung
die Vorgaben durch den Optimierer qualitativ gut abgebildet werden. Die Vorhersagegenauigkeit des adaptierten, globalen Motormodells konnte gegenüber den Validierungsmessungen zur globalen Motormodellbildung und vor allem gegenüber den
modellbasierten Offline-Optimierungsergebnissen deutlich gesteigert werden (siehe
Tab. 6.13). In Abb. 6.23 sind die Motorbetriebspunktgrößen sowie die korrespondierenden Motorverstellparameter dargestellt. Die Fahrbarkeit der Lösungsvorschläge
wird über weite Strecken sichergestellt. Sie wird lediglich durch vereinzelt größere Soll-Ist-Differenzen der miteinander gekoppelten Luftpfadgrößen Ladedruck und
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
127
Initialisieren der
ASAP3-Schnittstelle
Beschreibungsdatei
(*.a2l-File)
Vorgabe der Motorbetriebspunkte
(inkl. Startwertbedatung)
Start des Optimierungszyklus
Weiche oder harte
Grenze verletzt?
ja
Erstellen des alten (stabilen)
Motorbetriebspunktes
nein
Stabilisierung des
Motorbetriebspunktes
(Prüfen des
Einschwingverhaltens)
Fehlercodierung
Erfassung, Mittelung und
Speicherung der Messdaten
Eingangsdaten für den
Optimierer bereitstellen
Modellaktualisierung,
Optimierungsalgorithmus
Einstellen der neuen
Verstellparameter,
ggf. neuen Motorbetriebspunkt
nein
Optimierung
beendet?
ja
Programmende
Abb. 6.21: Steuerung des Optimierungszyklus zur wissensbasierten Online-Optimierung
128
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.22: Wissensbasierte Online-Betriebspunktoptimierung: Zielgrößen N Ox , SZ und
be (n = 2800 min−1 , mB = 32mm3 /Hub)
Frischluftmasse geringfügig beeinträchtigt. Insbesondere in kritischen Fällen zeigen
sich aber die Vorteile der Online-Methodik: wegen der unmittelbaren messtechnischen Rückmeldung können nicht zielführende Lösungsvorschläge zugunsten einer
konvergierenden Optimierungslösung direkt verworfen und die tendenziellen Übereinstimmungen in den Vorhersagen besser ausgespielt werden. Abb. 6.24 zeigt in
diesem Zusammenhang die Bewertungsszenarien der Optimierungszyklen und ihrer
Iterationen sowie die zyklusbasierten Ziel- und Stellgrößen. Die Optimierung wurde
auf vier Optimierungszyklen zuzüglich der Startbedatung begrenzt. Innerhalb der
Optimierungszyklen werden die rechnerisch ermittelten Bestwerte der skalaren Zielfunktionen abgefahren. Die Bewertung der einzelnen (Mess-)Iterationen findet prinzipbedingt nur mittels der drei gekennzeichneten Skalarisierungsmethoden gewichtete Summe, Goal-Attainment-Verfahren und Referenzpunktmethode statt33 . Negative
Zielfunktionsgradienten weisen hierbei auf eine Verbesserung der Motorcharakteristik hin. Die Zielfunktionsgradienten beziehen sich mit Ausnahme des Startpunktes immer auf den Bestwert des letzten Optimierungszyklus, dessen Auswahl sich
33
Da im Gegesatz zur modellbasierten Auswertung jeweils nur eine (gemessene) Zielgrößenkombination verarbeitet werden kann, bleibt die -constraint-Methode mangels Interpretationsfähigkeit
unberücksichtigt.
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
129
Abb. 6.23: Wissensbasierte Online-Betriebspunktoptimierung: Motorbetriebspunktgrößen und Verstellparameter (n = 2800 min−1 , mB = 32mm3 /Hub)
130
6
APPLIKATION EINES AUFGELADENEN COMMON-RAIL-DIESELMOTORS
Abb. 6.24: Zielfunktionsgradient je Iteration und skalarer Zielfunktion (unten). Zielfunktionsverbesserung nach jedem Optimierungszyklus (unten), n = 2800 min−1 , mB =
32mm3 /Hub
nach dem stärksten, gradiellen Abstieg richtet34 . Wird keine Verbesserung erzielt,
so muss die Zielvorgabe in Richtung des letzten Verbesserungsschrittes angehoben
werden. In diesem Optimierungsbeispiel konnten jedoch durchgängig konvergierende Zyklusverbesserungen realisiert werden. Die durchschnittliche Berechnungszeit
für die jeweilige Modellaktualisierung und die Bestimmung der zyklusspezifischen
Lösungsvorschläge betrug nur ca. 1 Minute35 .
In Tab. 6.14 sind ergänzend die Ergebnisse der Online-Betriebspunktoptimierung,
relativ zu den konventionellen Offline-Resultaten, zusammengefasst. Zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse wurde die gewichtete Summe als bewertende Skalarisierungsfunktion eingesetzt. Man erkennt das deutliche Potenzial des wissensbasierten
Online-Ansatzes. In allen Motorbetriebspunkten konnte die Optimierungsqualität
gegenüber allen Modelltypen (einschließlich des Takagi-Sugeno-Systems) fast aus34
Die Minimalanforderung für einen Verbesserungsschritt ist ein Gradientabstieg innerhalb des
Optimierungszyklus.
35
Dies entspricht einer Rechnerleistung von 2,7 GHz (CPU ) und 2 GB RAM (Arbeitsspeicher)
6.3. STATIONÄRE BETRIEBSPUNKTOPTIMIERUNG
131
nahmslos um zweistellige Prozentpunkte erhöht werden.
Online vs.Offline
(prozentuale ZF-Verbesserung)
DoE-Polynom
Sugeno
RBF-Netz
GRNN
FF-Netz
Takagi-Sugeno
BP 1
-
45.9
59.0
36.8
23.8
27.6
19.0
%
%
%
%
%
%
BP 2
-
29.7
19.7
13.0
19.9
55.9
62.6
%
%
%
%
%
%
BP 3
-
BP 4
25.7
29.4
29.3
31.0
27.5
19.7
- 27.9 %
- 8.0 %
- 12.8 %
- 21.1 %
- 30.0 %
- 26.3 %
%
%
%
%
%
%
Tab. 6.14: Wissenbasierte Online-Optimierung (inkl. Modelladaption): Prozentuale Verbesserung der Optimierungsgüte gegenüber den modellbasierten Offline-Verfahren (Vergleich mittels gewichteter Summe)
132
7 Erweiterte Untersuchungen
zum dynamischen Motorbetrieb
7.1
Einleitung
Die nach stationären Gesichtspunkten applizierten Motorsteuerkennfelder sind in
der Regel nicht unmittelbar auf dynamische Motorbetriebszustände anwendbar,
sondern müssen durch mathematische Glättungsverfahren nachbehandelt werden.
Eine direkte Optimierung der dynamischen Motorbetriebszustände nach dem stationären Optimierungsmuster findet in der Praxis nicht statt. Dynamische Motormodelle, die sich über einen größeren Betriebsbereich erstrecken müssen, sind für die
Offline-Optimierung ungeeignet. Daher ist eine Optimierungsmethode erforderlich,
die kein dynamisches Motormodell benötigt und online am dynamischen Motorprüfstand einsetzbar ist.
Der wissensbasierte Ansatz sieht hierzu ein Expertensystem vor, das auf dem Prinzip der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge1 aufsetzt und durch die wissensverabeitende Komponente gemäß Abb. 7.1 adaptiert wird. Die Konfliktmenge berücksichtigt die aus der Motordynamik2 und der Nichtlinearität resultierenden konkurrierenden Lösungsvorschläge des Expertensystems. Die Optimierung des dynamischen Motorprozesses wird entlang eines definierten dynamischen Testzyklus durchgeführt, dessen Betriebszustände durch die Motorkenngrößen Motordrehzahl und
Last sowie durch deren Gradienten beschrieben werden. Die Grundlage der Optimierung bilden - ausgehend von der stationären Grundapplikation - die Auswahl
und die Vermessung des dynamischen Testzyklus unter Variation der Verstellparameter, um aus den vermessenen Motorprozesszusammenhängen die entsprechenden
Optimierungsstrategien ableiten zu können. Als Optimierungsziel wird die Minimierung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs unter Einhaltung vorgegebener Grenzwerte für die Stickoxidemission und die Opazität (als Maß für die Partikelemission)
gewählt. Die Vorgabe von Emissionsgrenzwerten3 ermöglicht eine gezielte, wissens1
Siehe Prinzipskizze auf Seite 80
Die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind im dynamischen Motorbetrieb auch immer von
der Vergangenheit abhängig.
3
Die Grenzwertvorgaben lehnen sich an die Ergebnisse aus der Grundapplikation an.
2
7.2. DYNAMISCHE MOTORVERMESSUNG
Wirkung
Motor
Trainingsdaten
133
Ursache
Regeladaption
Regelwerk/
Wissensbasis
Strukturdefinition
Konfliktmengen
Abb. 7.1: Wissensverarbeitung für die dynamische Motorporzessoptimierung
basierte Beeinflussung des Trade-Off-Konflikts und damit die Ausschöpfung des
Kraftstoffverbrauchspotenzials. Die Bewertung der aktuellen Prozesssituation und
die Berechnung des für den nächsten Optimierungsschritt zum Einsatz kommenden Parameter-Datensatzes erfolgen in den ausgewählten, dynamischen Kennfeldstützstellen nach Durchlaufen des dynamischen Testzyklus. Der Optimierungsablauf
(Durchfahren des Testzyklus, Bewertung + Berechnung neuer Stellgrößen) wird so
oft wiederholt, bis die Zielvorgaben erfüllt sind oder die festgelegte maximale Iterationszahl erreicht worden ist.
7.2
7.2.1
Dynamische Motorvermessung
Ansteuerverfahren zur Variation der Verstellparameter
Die Strategie der dynamischen Vermessung besteht im Nachfahren konstanter Motordrehzahl-/Lastrampen4 , die charakteristische dynamische Zustände5 repräsentieren.
Die Ansteuerung der Motorverstellparameter entlang des definierten Testzyklus erfolgt sequentiell. Ausgehend von der Basiseinstellung der Motorsteuerkennfelder im
4
Eine Lastrampe bei konstanter Drehzahl entspricht der Phase zu Beginn eines FahrzeugBeschleunigungsvorgangs, eine Drehzahlrampe bei konstanter Last entspricht der zweiten Phase
einer Fahrzeugbeschleunigung bzw. dem Einkuppelvorgang
5
z.B. in legislativen Fahrzyklen (US06, FTP75, NEFZ)
134
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Steuergerät werden die jeweiligen Stellgrößen nacheinander in einem zeitlich definierten Abstand mit Sprüngen angeregt, siehe Abb. 7.2. Die Wertebereiche werden
im Gegensatz zur stationären Motorvermessung nicht absolut, sondern relativ zur
Basiseinstellung eingegrenzt. Der Versuchsplan steht a priori noch nicht fest, d.h.,
dass er sich online am dynamischen Motorprüfstand durch die zufällige Amplitudengenerierung mittels APRBS-Signalen6 ergibt. Der jeweilige Designpunkt bestimmt
sich somit aus der additiven Überlagerung der Basiseinstellung mit der berechneten
Amplitude des entsprechenden Motorverstellparameters.
Verstellparameter
Ansteuerbeginn
Voreinspritzung
Δ ≈ 10 s
Δ ≈ 10 s
Raildruck
Ladedruck
Zeit
Abb. 7.2: Prinzipskizze: Sequenzielle Ansteuerung der Motorverstellparameter
7.2.2
Auswahl und Vermessung des dynamischen Testzyklus
Abb. 7.3 zeigt den für die dynamische Vermessung unter Variation der Verstellparameter und die wissensbasierte Optimierung beispielhaft verwendeten Testzyklus.
Die Motordrehzahl bleibt konstant bei n = 2250 min−1 , während der untere bis
mittlere Lastbereich (Maximum: 160 Nm) rampenförmig mit einem Lastgradienten
von ± 30 Nm/s abgedeckt wird. In Tab. 7.2 sind die zur dynamischen Vermessung
definierten relativen Parameterbereiche zusammengefasst. Die relativen Angaben
beziehen sich immer auf die im Testzyklus aktuell durchfahrenen Kennfeldstützstellen. Eine Ausnahme bildet die Ansteuerung der Voreinspritzmenge. Hier wird über
den gesamten Motorbetriebsbereich ein einheitlicher Variationsbereich stochastisch
6
APRBS - Amplitudenmodulierte Pseudo-Rausch-Binärsignale
7.2. DYNAMISCHE MOTORVERMESSUNG
135
abgedeckt.
Abb. 7.3: Dynamische Vermessung: Testzklus
Voreinspritzmenge
Ansteuerbeginn
Voreinspritzung
Ansteuerbeginn
Haupteinspritzung
Raildruck
Verstellung VTG
Frischluftmasse
[0..4] mm3 Variationsbereich
± 6 ◦ KW um Basiseinstellung,
obere Grenze: 40 ◦ KW v. OT
± 6 ◦ KW um Basiseinstellung,
untere Grenze: 5 ◦ KW n. OT
± 300 bar um Basiseinstellung,
untere Grenze: 290 bar
obere Grenze: 1350 bar
um bis zu ± 20 %
± 200 mg/Hub um Basiseinstellung
Tab. 7.1: Festlegung der Verstellparameterbereiche zur Vermessung des dynamischen
Testzyklus
In Abb. 7.4 ist das repräsentative Ergebnis für einen Zeitausschnitt der Verstellparametervarationen entlang des festgelegten Testzyklus dargestellt. Abb. 7.5 zeigt das
korrespondierende Systemverhalten - die Verläufe der definierten Zielgrößen NOx ,
Opazität und be .
136
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Abb. 7.4: Dynamische Vermessung entlang des Testzyklus (n = 2250 min−1 , ± 30 Nm/s):
Motorverstellparameter
7.2. DYNAMISCHE MOTORVERMESSUNG
137
Abb. 7.5: Dynamische Vermessung entlang des Testzyklus (n = 2250 min−1 , ± 30 Nm/s):
Zielgrößen
138
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Die Vermessungszeit beträgt ca. 30 Minuten, womit eine hohe Informationsgüte
sichergestellt wird. Pro Zyklusdurchlauf wird entsprechend der gewählten Ansteuerzeit (≈ 10 s) eine Verstellparameteränderung vorgenommen. Die Verstellparametervariationen sind an den ungleichmäßigen Verläufen der jeweiligen Verstellgrößen
erkennbar. Die gute Systemanregung schlägt sich erkennbar in den stark unterschiedlichen Systemantworten nieder. Ungünstige Parameterkombinationen rufen
einen verschärften Trade-Off-Konflikt zwischen Stickoxid-Emission und Opazität
hervor. Aber auch am Verlauf des spezifischen Krafstoffverbrauchs sind signifikante
Unterschiede infolge der variierten Systemanregung feststellbar - sowohl im höchsten
Lastpunkt, wo erwartungsgemäß die zyklisch kleinsten Kraftstoffverbrauchswerte
erzielt werden, als auch im unteren Umkehrpunkt des Motordrehmoments7 . Die für
den dynamischen Testzyklus ermittelten motorischen Zusammenhänge müssen geeignet zur Wissensbasis zusammengefasst und in das Expertensystem eingebunden
werden. Die Struktur des Expertensystems passt sich dem definierten Testzyklus
an und setzt im ersten Entwicklungsschritt die Auswahl der dynamischen Motorbetriebspunkte voraus.
7.3
7.3.1
Entwicklung des Expertensystems
Konzept zur Wissensbildung
In Tab. 7.2 sind die für die Bewertung der Optimierung ausgewählten dynamischen Motorbetriebspunkte aufgelistet. Aufgrund der konstant gehaltenen Drehzahl entsprechen die dynamischen Motorbetriebspunkte den Momentenstützstellen,
wobei zwischen positiver (dM/dt > 0) und negativer Rampe (dM/dt < 0) differenziert wird, da sich trotz nominell gleichem Motorbetriebspunkt, z.B. bei Stützstelle
4 und 8 oder bei Stützstelle 5 und 7, infolge der Dynamik eine unterschiedliche
Charakteristik des Prozessverhaltens einstellt. Die Wissensbildung erfolgt nur in
den definierten Stützstellen8 . Abb. 7.6 zeigt beispielhaft einige Zyklusverläufe der
Stickoxidemission, die sich aus der dynamischen Vermessung unter Variation der
Verstellparameter ergeben. Legt man einen NOx -Zyklusverlauf als Referenzverlauf
und damit eine dazugehörige Referenz-Stellgrößenkombination fest, so können die
Abweichungen der übrigen Zyklusverläufe als Konsequenz veränderter Stellgrößenkombinationen beschrieben werden. Die Idee der wissensbasierten Optimierung besteht somit in der Bildung von Gradienten der Verstellparameter und der Zielgrößen
in den ausgewählten Stützstellen, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erlernen
7
Für den dynamischen Motorbetrieb sind die Anforderungen an die Messtechnik bezüglich Robustheit und Reproduzierbarkeit besonders hoch. In [35] werden die für diese Arbeit notwendigen
Grundlagen zum dynamischen Messbetrieb durch konstruktive Maßnahmen und Methoden der
numerischen Signalaufbereitung gelegt.
8
Da die zyklische Task auf dem Echtzeitsystem des Prüfstandsautomatisierungssystems auf 100
Hz begrenzt ist, werden die Stützstellenwerte messtechnisch meist nicht exakt getroffen. Für den
vorliegenden Testzyklus entstehen daher maximale Abweichungen von ± 0,3 Nm.
7.3. ENTWICKLUNG DES EXPERTENSYSTEMS
139
und als Regeln in der Fuzzy-Regelbasis ablegen zu können. Der Umfang der dynamischen Vermessung bzw. die Qualität der Parametervariation schlägt sich in der
Anzahl der zum Tragen kommenden Referenz-Stellgrößenkombinationen nieder, die
letztendlich eine Aussage darüber macht, wie gut oder schlecht der Hyperraum relativ zur Basiseinstellung abgedeckt wird.
Stützstellen
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
n
in min−1
2250
2250
2250
2250
2250
2250
2250
2250
2250
2250
2250
M
in Nm
20
40
70
100
130
160
130
100
70
40
20
dn/dt
dM/dt
in min−1 /s in Nm/s
0
+30
0
+30
0
+30
0
+30
0
+30
0
+30
0
-30
0
-30
0
-30
0
-30
0
-30
Tab. 7.2: Auswahl der Stützstellen entlang des dynamischen Testzyklus
Abb. 7.6: Idee der Gradientenbildung in ausgewählten Stützstellen am Beispiel vermessener NOx -Zyklusverläufe als Konsequenz veränderter Verstellparameterkombinationen
140
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Ursache:
∆x1 (k, i) = x1 (k, i) − x1 (a, i) : ∆Voreinspritzmenge
∆x2 (k, i) = x2 (k, i) − x2 (a, i) : ∆AB Voreinspritzung
∆x3 (k, i) = x3 (k, i) − x3 (a, i) : ∆AB Haupteinspritzung
∆x4 (k, i) = x4 (k, i) − x4 (a, i) : ∆Raildruck
∆x5 (k, i) = x5 (k, i) − x5 (a, i) : ∆Ladedruck
∆x6 (k, i) = x6 (k, i) − x6 (a, i) : ∆Frischluftmasse
(7.1)
Wirkung:
∆y1 (k, i) = y1 (k, i) − y1 (a, i) : ∆Stickoxid-Emission
∆y2 (k, i) = y2 (k, i) − y2 (a, i) : ∆Opazität
∆y3 (k, i) = y3 (k, i) − y3 (a, i) : ∆Spez. Kraftstoffverbrauch
(7.2)
mit:
k: Zyklus im dynamischen Messdatensatz
i: dynamische Stützstelle
a: aktueller Referenz-Zyklus
7.3.2
Spezifikation der Expertensystems
Die Spezifikation des Fuzzy-Systems ist in Abb. 7.7 dargestellt. Die ersten vier
Eingänge bilden die Partitionen der Emissionen NOx und Opazität. Sie beschreiben die aktuellen Grenzwertabweichungen in den jeweiligen Stützstellen und geben
gleichzeitig die Optimierungsrichtung für den nächsten Optimierungszyklus vor. Die
scharfen Grenzwertabweichungen werden normiert und über die in Abb. 7.8 dargestellten Zugehörigkeitsfunktionen linguistisch (unscharf) formuliert. Die an der
Deskription beteiligten Partitionen gehen hierbei - nach der Größe der Zugehörigkeitswerte geordnet - als Eingänge in das Expertensystem ein. Die Kennzeichnung
und Zuweisung der Stützstelle erfolgt durch den fünften Fuzzy-Eingang. Jede Partition der Zugehörigkeitsfunktion (siehe Abb. A.4 im Anhang ) repräsentiert eine
Stützstelle. Die Bewertung der Prozessgrößen und die Berechnung neuer Stellgrößen
werden nach dem Durchfahren des Testzyklus in allen Stützstellen gleichermaßen
und unabhängig voneinander abgehandelt. Zur Strukturierung und Koordinierung
des Optimierungsablaufs wird ein weiterer Eingang für die Angabe der Optimierungsstufe in der jeweiligen Stützstelle benötigt. Ziel der ersten Optimierungsstufe
ist die Einhaltung der Grenzwertvorgaben in allen dynamischen Stützstellen. In der
zweiten und letzten Stufe wird die Prozessoptimierung mit der Minimierung des
7.3. ENTWICKLUNG DES EXPERTENSYSTEMS
141
spezifischen Kraftstoffverbrauchs abgeschlossen unter der Prämisse, dass die Emissionswerte definierte Toleranzbereiche nicht überschreiten. Der siebte Fuzzy-Eingang
gibt die Optimierungsregel in der Konfliktmenge an, die für dieselbe Eingangskombination (Eingang 1 · · · Eingang 6) im nächsten Zyklus zum Einsatz kommen soll
(siehe Abb. A.5 in Anhang ). Als Ausgänge des Fuzzy-Interpreters werden die Gradienten der Stellgrößen definiert, die addiert mit den Stellgrößen den im nächsten
Optimierungsschritt wirksam werdenden Parametersatz ergeben. Die für alle Ausgänge gleich verwendete, auf den Bereich [-1,1] normierte Zugehörigkeitsfunktion
entspricht der in Abb. 7.8 dargestellten Zugehörigkeitsfunktion. Nach der Defuzzifizierung und der anschließenden Entnormierung stehen die scharfen Ausgangswerte
zur Weiterverarbeitung bereit.
1
Δy1: Partition A
0
.8
1
0
.4
Δy1: Partition B
0
.8
0
.2
0
.6
0
.4
0
.2
0
0
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
1
0
.8
Δx1
0
.6
0
.6
0
0
0
.4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.2
1
0
0
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
Δx2
0
.8
4
0
.6
0
.4
1
Δy : Partition B
0
.2
0
.8
0
.8
0
0
.4
0
.2
0
0
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
1
2
0
.6
0
.4
0
.2
0
0
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
1
0
.8
Stützstelle
Regelbasis
2
0
0
.6
1
0
.8
0
.6
0
.4
0
.2
0
0
1
0
.8
0
.6
0
.4
0
.2
0
0
1
0
.8
0
.6
0
.6
0
.4
0
.4
0
.2
0
.2
0
0
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
0
Defuzzifizierung
Δy : Partition A
Δx3
Δx4
Δx5
1
0
.6
0
.8
Optimierungsstufe
0
.4
0
.6
0
.2
0
.4
0
0
.2
0
0
0
Δx6
0
.8
1
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
0
.5
1
1
.5
2
2
.5
3
3
.5
4
1
Konfliktmenge
0
.8
0
.6
0
.4
0
.2
0
0
Abb. 7.7: Spezifikation des Expertensystems
7.3.3
Automatische Adaption der Regelbasis
In der Regelbasis werden die im dynamischen Messdatensatz enthaltenen Informationen über die Motorzusammenhänge erfasst und mittels Gradientenbildung in
Form von WENN- DANN -Regeln abgelegt. Im ersten Schritt müssen die Regelstrategien derart formuliert werden, dass unabhängig von der aktuellen Verstellparameterkombination das Ziel der Grenzwerteinhaltung in jeder dynamischen Stützstelle
durch entsprechende Gradientenvorgaben anvisiert bzw. erreicht werden kann. Hierfür werden zur Beschreibung der Regeln alle Kombinationen der beteiligten Partitionen von ∆y1 und ∆y2 - d.h. alle Kombinationen von Grenzwertabweichungen
142
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
- aufgestellt, die am Eingang des Fuzzy-Interpreters auftreten können. Um die jeweiligen Grenzwertabweichungen gegen null streben zu lassen, müssen für gegebene
Eingangsbedingungen Gradienten gleichen Betrags, aber entgegengesetzten Vorzeichens im aufbereiteten dynamischen Messdatensatz gefunden und in den jeweiligen
Antezedent-Listen abgelegt werden. Die Kombination der zugehörigen Verstellparametergradienten wird entsprechend als Konklusionsteil (Schlussfolgerung) festgelegt.
Für die automatische Adaption der Regelbasis wird in Abhängigkeit der definierten
Inferenz- und Defuzzifikationsmethode und unter Berücksichtigung der konkurrierenden Lösungen eine in [3], [58] beschriebene einfache Methode des Struktur- und
Parametererlernens modifiziert zur Anwendung gebracht. Abb. 7.8 zeigt das Trainingsprinzip am Beispiel eines 2x1-Fuzzy-Systems. Die aufbereiteten Trainingsdaten
werden in Ein- und Ausgangsdaten (∆y1 , ∆y2 , ∆x ) getrennt und auf die festgelegten Partitionen der Ein- und Ausgangszugehörigkeitsfunktionen abgebildet. Durch
die gewählte Struktur werden maximal zwei Partitionen je Trainingssatz aktiviert.
Dies hat den Vorteil, dass Regeln, die sich im Regelwerk gegenseitig behindern,
nicht gleichzeitig aktiviert werden können. Für den ersten beispielhaften Trainingssatz gilt:
(1)
∆y1
(1)
∆y1
(1)
∆y2
(1)
∆y2
∆x(1)
∆x(1)
wird der Partition pklein mit µ∆y1 ,A = 0.66 zugeordnet.
wird der Partition mittel mit µ∆y1 ,B = 0.34 zugeordnet.
wird der Partition mittel mit µ∆y2 ,A = 0.76 zugeordnet.
wird der Partition nklein mit µ∆y2 ,B = 0.24 zugeordnet.
wird der Partition pklein mit µ∆x,A = 0.76 zugeordnet.
wird der Partition mitttel mit µ∆x,B = 0.24 zugeordnet.
Daraus folgen die Regeln in konjunktiver Form:
IF ∆y1,A = nklein AND ∆y1,B = mittel AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = pklein
THEN ∆x = pklein
IF ∆y1,A = nklein AND ∆y1,B = mittel AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = pklein
THEN ∆x = mitttel
Die Regelgenerierung sieht den zum Trainingssatz spiegelverkehrten Bedingungsteil
vor, während der Konklusionsteil der adaptierten Zuordnung entspricht. Damit wird
eine direkte Lösungsstrategie formuliert, um sich den vorgegebenen Grenzwertvorgaben anzupassen9 . Die zweite, zusätzlich definierte Regel enthält den selben Bedingungsteil und weist dem Konklusionsteil die Partition mit dem kleineren Zugehörigkeitswert zu. Dies grenzt den Ausgangswert innerhalb des Überschneidungsbereichs
der beteiligten Partitionen zugunsten einer präziseren Vorhersage ein.
9
Es spielt dabei keine Rolle, ob die aktuellen Emissionswerte oberhalb oder unterhalb der
Grenzwertvorgaben liegen. Es wird immer versucht, die Differenz zwischen Ist und Soll auszugleichen.
7.3. ENTWICKLUNG DES EXPERTENSYSTEMS
143
μΔy1
Eingang 1
ngroß
1
nklein
mittel
pklein
pgroß
A
A
A
B
B
B
Δy12
-1
Δy11Δy13
μΔy2
Eingang 2
ngroß
1
1
nklein
mittel
pklein
pgroß
A
B
A
B
A
B
Δy23 Δy21 Δy22
-1
1
μΔx
Ausgang
ngroß
1
nklein
A
mittel
pklein
pgroß
A
A
B
B
-1
Δx2
B
Δx3
Δx1
1
Abb. 7.8: Automatische Adaption der Wissensbasis unter Berücksichtigung von Konfliktlösungen am Beispiel einer 2x1-Wissensbasis mit aus Trapez- und Dreiecksfunktionen
bestehenden Zugehörigkeitfunktionen
144
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Die Auswertung der restlichen Trainingssätze erfolgt nach dem selben Prinzip. Man
erhält:
(2)
(2)
(∆y1 , ∆y2 , ∆x(2) ) :
IF ∆y1,A = pklein AND ∆y1,B = pgroß AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = nklein
THEN ∆x = ngroß
IF ∆y1,A = pklein AND ∆y1,B = pgroß AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = nklein
THEN ∆x = nklein
(3)
(3)
(∆y1 , ∆y2 , ∆x(3) ) :
IF ∆y1,A = nklein AND ∆y1,B = mittel AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = pklein
THEN ∆x = nklein
IF ∆y1,A = nklein AND ∆y1,B = mittel AND ∆y2,A = mittel AND ∆y2,B = pklein
THEN ∆x = mitttel
Nach dem ersten Schritt der Regelgenerierung erfolgen eine Reduzierung und eine Aufspaltung des Regelwerks, welches zunächst doppelt soviele Regeln enthält,
wie Trainingssätze untersucht wurden. Liegen z.B. mehrere Regelpaare vor, die den
selben Bedingungs- wie Konklusionsteil aufweisen, so wird nach der Wichtungsmethode das am stärksten repräsentierte Regelpaar im Regelwerk belassen; alle
anderen werden eliminiert. Die Wichtung berücksichtigt lediglich die Partitionen
der Ein- und Ausgänge, die für den zugrunde liegenden Trainingssatz den größeren
Zugehörigkeitswert besitzen. Der Wichtungsfaktor berechnet sich gemäß Gl. (7.3)10 .
(j)
˜
w(j) = β (j) · µ∆x,A
(j)
(j)
(j)
= µ∆y1 ,A · µ∆y2 ,A · µ∆x,A
(7.3)
j: aktueller Trainingssatz
Beispielhaft ergibt sich für den Wichtungsfaktor des ersten Trainingssatzes:
(1)
(1)
(1)
w(1) = µ∆y1 ,A · µ∆y2 ,A · µ∆x
= 0.66 · 0.76 · 0.76
= 0.3812
Die so ermittelten Regeln werden in einem Tabellenschema zusammengefasst (siehe Darstellung in Tab. 7.3)11 . Treten konkurrierende Regeln auf (siehe Beispiel:
1. und 3. Regelpaar), d.h. sind die Bedingungsteile gleich, die Konklusionsteile
aber voneinander verschieden, so muss der Konflikt durch die Etablierung einer
nach der Wichtungsmethode priorisierten Konfliktmenge entschärft werden12 . Die
10
Alternativ zur Produktstrategie kann die Minimium-Operation verwendet werden.
Zur Veranschaulichung werden nur die Terme mit den größeren Zugehörigkeitswerten gezeigt.
12
Konkurrierende Regeln entstehen durch die Nichtlinearität und durch den Einfluss der Dyna11
7.4. OPTIMIERUNG ENTLANG DES DYNAMISCHEN TESTZYKLUS
∆xA ngroß
nklein
ngroß
nklein
mittel
pklein(1) / nklein(3)
pklein
pgroß
mittel
pklein
ngroß(2)
145
pgroß
∆y2,A
∆y1,A
Tab. 7.3: Veranschaulichung des Beispiels zur automatischen Adaption der Regelbasis
anhand eines Tabellenschemas (die Darstellung beschränkt sich auf die am stärksten repräsentierten Partitionen der Ein- und Ausgänge.)
konkurrierenden Regeln werden in der Konfliktmenge aufgelistet und durch die
entsprechende Indizierung zur Anwendung gebracht. Die gezeigte Regelgewinnung
bezieht sich auf die 1. Optimierungsstufe zur Anpassung der Emissionen an die
Grenzwertvorgaben. In der 2. Optimierungsstufe sind Fuzzy-Regeln erforderlich, die
den spezifischen Kraftstoffverbrauch verringern. Dafür werden diejenigen negativen
Kraftstoffverbrauchs-Gradienten zur Regelgenerierung herangezogen, bei denen die
Grenzwertabweichungen definierte Toleranzbereiche nicht verlassen. Das Procedere
zur Eliminierung gleicher Regeln und zum Aufbau der Konfliktmenge entspricht
dem aus der 1. Optimierungsstufe. Für den spezifischen Kraftstoffverbrauch wird
allerdings kein weiterer Eingang benötigt, da er schon implizit durch die Angabe
der 2. Optimierungsstufe berücksichtigt wird.
7.4
7.4.1
Optimierung entlang des dynamischen Testzyklus
Steuersystem
Der Bewertung und der Koordinierung des zyklischen Optimierungsprozesses wird
eine große Bedeutung beigemessen, da die Optimierungsrichtung hierüber entscheidend beeinflusst werden kann. In einer Optimierungsstufe werden - ausgehend von
einer Fuzzy-Eingangsbedingung13 - verschiedene Regelstrategien (= Kombinationen
von Verstellparametergradienten) getestet und verglichen, die in den Konfliktmengen abgelegt sind und durch die Konfliktregel (7. Fuzzy-Eingang) aktiviert werden. Der dynamische Testzyklus wird somit in einer Optimierungsstufe mehrmals
durchlaufen, um für die gegebene Eingangsbedingung den besten Verstellparameterdatensatz iterativ zu ermitteln; die Anzahl der trainierten Regeln variiert dabei in
den Stützstellen, so dass die Optimierungsstufen nicht synchron bearbeitet werden.
mik auf die Gradientenbildung in den Stützstellen.
13
Die Eingangsbedingung entspricht dem Ist-Zustand der Grenzwertabweichungen in den Stützstellen
146
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Die Bewertung der Prozesssituation wird nach jedem Durchlauf des dynamischen
Testzyklus anhand eines in Tab. 7.4 dargestellten unscharfen Bewertungsschemas
durchgeführt, indem die Bewertungsgrößen (Partitionen von ∆y1 und ∆y2 sowie
∆y3 ) analysiert und abhängig von deren Konstellation in verschiedene Bewertungsstufen eingeordnet und gesondert sortiert werden:
Bewertungsstufe 1, wenn
1) ∆y1,A <= mittel und ∆y2,A < mittel
2) ∆y1,A < mittel und ∆y2,A <= mittel
Bewertungsstufe 2, wenn
1) ∆y1,A = mittel und ∆y2,A = mittel
Bewertungsstufe 3, wenn
1) ∆y1,A = mittel und ∆y2,B = mittel
2) ∆y1,B = mittel und ∆y2,A = mittel
Bewertungsstufe 4, wenn
1) ∆y1,A = mittel und ∆y2,A = pgroß
2) ∆y1,A = pgroß und ∆y2,A = mittel
Bewertungsstufe 5, wenn
1) ∆y1,B = mittel und ∆y2,B = mittel
Bewertungsstufe 6, wenn
1) ∆y1,A = nklein und ∆y2,B = pklein
2) ∆y1,B = pklein und ∆y2,A = nklein
Tab. 7.4: Bewertungsschema: Einstufung der Grenzwertabweichungen ∆y1 und ∆y2
Je nach Toleranzangabe für die Grenzwertabweichungen können mehr oder weniger
Bewertungsstufen zu einem Gesamtvektor zusammengefügt werden. Ist das Ende
der Konfliktmenge in einer Stützstelle erreicht, wird das erste nicht leere, nach dem
Maximum sortierte Vektorfeld für die Bestimmung der Verstellparameterkombination festgelegt, die für die Fortsetzung der Optimierung als Referenz dient. Der
Stufenvektor der ersten Optimierungsstufe berechnet sich gemäß
vStuf e,i
(1)
(1)
min(µ∆y1 , µ∆y2 )
(2)
(2)
min(µ∆y1 , µ∆y2 )
.
.
.
=
(end)
(end)
min(µ∆y1 , µ∆y2 )
(7.4)
Für die zweite Optimierungsstufe werden zusätzlich die Ergebnisse hinsichtlich
des spezifischen Kraftstoffverbrauchs berücksichtigt. Hier werden die Kraftstoffverbrauchsgradienten ∆y3 = y3 − y3,Ref erenz analog zur ersten Optimierungsstufe
7.4. OPTIMIERUNG ENTLANG DES DYNAMISCHEN TESTZYKLUS
147
stufenweise in Vektoren entsprechend Gl. (7.5) abgelegt und nach dem Minimum
sortiert zur Bewertung herangezogen.
(1)
∆y3
∆y (2)
(7.5)
uStuf e,i = .3
.
.
(end)
∆y3
7.4.2
Online-Bedatung
In Abb. 7.9 sind die Resultate der wissensbasierten Online-Erprobung - die Startwerte, die Grenzwertvorgaben sowie die Ergebnisse nach der ersten bzw. nach der zweiten Optimierungsstufe14 für die Zielgrößen NOx , Opazität und be - dargestellt. Man
erkennt, dass die Abweichungen der Emissionsgrenzwerte entlang des dynamischen
Testzyklus sehr gut ausgeglichen werden können. Die beim Start zum Teil großen
Grenzwertüberschreitungen bei der Opazität (Stützstellen 6 - 9) werden durch eine Erhöhung der Stickoxidemission bei mindestens gleich bleibendem Kraftstoffverbrauch kompensiert. Grundsätzlich ist die Optimierungsstrategie darauf ausgelegt, die Grenzwertvorgaben zu erreichen; auf eine möglichst große Unterschreitung
wird vor dem Hintergrund der Potenzialausschöpfung in der Verbrauchsminimierung nicht abgezielt, aber im eintretenden Fall akzeptiert, sofern der Kraftstoffverbrauch nicht (wesentlich) größer wird. Bereits in der ersten Optimierungsstufe können mit der gezielten Anpassung der Emissionen deutliche Verbrauchsabsenkungen
realisiert werden - in insgesamt acht Stützstellen werden die Startwerte des Kraftstoffverbrauchs unterschritten. Die Optimierung wird nach 11 Zyklusdurchläufen
beendet, da nach Abarbeitung der Konfliktmengen keine Verbrauchsreduzierungen
ohne überhöhte Grenzwertverletzungen in den Stützstellen mehr verwirklicht werden können.
Die Online-Optimierung stützt sich zur effizienten Durchführung auf die lokale Bewertung der Zielgrößen in den ausgewählten Stützstellen. Eine Betrachtung der
integralen Zykluswerte in Form einer skalaren Zielfunktion ist für die koordinierte Steuerung des Optimierungsprozesses nicht zwingend erforderlich. Die integrale
Beurteilung wurde daher für die wissensbasierte Optimierung nicht vorgesehen. Sie
kann allerdings zur nachträglichen Bearbeitung zwecks vergleichender Gegenüberstellung der erzielten Zielfunktionswerte zusätzlich herangezogen werden. Als skalare Zielfunktion eignet sich die in [35] vorgeschlagene Summe aus dem integralen
Kraftstoffverbrauchswert und den gewichteten lokalen Grenzwertverletzungen.
14
Die Bewertung der Zielgrößen erfolgt - gemäß Tab. 7.4 - bis einschließlich der Toleranz- bzw.
Bewertungsstufe 5 .
148
7
ERWEITERTE UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN MOTOBETRIEB
Abb. 7.9: Online-Ergebnis der wissensbasierten Optimierung entlang des dynamischen
Testzyklus
149
8 Zusammenfassung
Die kontinuierliche Weiterentwicklung moderner Fahrzeugmotoren erfordert zwingend die Konzeption neuer Ansätze zur automatisierten Applikation von Motorsteuerkennfeldern. Voraussetzung hierfür ist allerdings die differenzierte Einstufung
vergangener, heutiger und zukünftiger Komplexitätsgrade und die damit einhergehende kritische Analyse bereits existierender Entwicklungsmechanismen. Die Anforderungen leiten sich aus den allgemeinen wirtschaftlichen Restriktionen und den
gleichzeitig hohen applikativen Zielsetzungen ab.
In dieser Arbeit wurden die Schwerpunkte auf die automatisierte Basis-Applikation
mit finaler Online-Bedatung gelegt. Die Bestimmung stabiler Grundkennfelder stellt
die Hauptaufgabe in der ersten Phase der Steuergeräteapplikation dar und legt den
Grundstein für die nachfolgende Feinapplikation. Die Untersuchungen wurden an
einem 4-Zylinder-DI-Dieselmotor mit Common-Rail-Einspritzsystem durchgeführt.
Obwohl der Komplexitätsgrad des Versuchsmotors (6 Freiheitsgrade) den heutigen
Stand der Dieselaggregate unterschreitet (≥ 8 Freiheitsgrade), erlaubt der gewählte Applikationsansatz einen konzeptionellen Vergleich und die Übertragbarkeit auf
die zukünftigen Standards. Den Ausgangspunkt des Applikationsansatzes bildet
die Postulierung eines minimalen Versuchsaufwands nach dem Prinzip der globalen
Wissenserhebung. Betriebspunkt- oder Teilbereichsvermessungen, die im Hinblick
auf die lokale bzw. teilbereichsbezogene Modellbildung approximative Vorteile aber
vor allem große aufwandstechnische Nachteile aufweisen, werden zukünftig lediglich
einen korrektiven Charakter haben.
Basierend auf diesen Überlegungen wurde ein Verfahren zur globalen Versuchsplanung entwickelt, das in Anlehnung an die Design-of-Experiment-Methode eine
nach dem D-Optimalitätskriterium ausgelegte und auf das Takagi-Sugeno-InferenzSystem übertragene Verteilung der Designpunkte vorsieht. Der praxisrelevante Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Möglichkeit, die lokalen Versuchsraumbeschränkungen der für die Motorvermessung ausgewählten stationären Motorbetriebspunkte annähernd bestimmen zu können. Vor dem Hintergrund der stationären Motorbetriebspunktoptimierungen sind die Eruierung der Motorlimits sowie die ungefähre
Skizzierung der lokalen Hyperraumhüllen von elementarer Wichtigkeit.
Des Weiteren wurde ein an den Versuchsplan angepasstes, automatisches Vermes-
150
8
ZUSAMMENFASSUNG
sungskonzept entwickelt, das in zwei Abläufe unterteilt wird. Im ersten Schritt werden die äußeren globalen Grenzen des Versuchsraumes durch Screening-Versuche
bestimmt und entsprechend durch die Versuchsplanung berücksichtigt. Im zweiten
Schritt erfolgt die automatische, globale Vermessung der geplanten Designpunkte
unter dynamischer Adaption der Versuchsraumbeschränkungen. Das automatische
Vermessungsprinzip stellt einen notwendigen Beitrag zum durchgängigen und effizienten Entwicklungsprozess dar.
Die Durchführung der modellbasierten Offline-Optimierung hat gezeigt, dass die
konventionelle Vorgehensweise nicht praktikabel ist, um die Komplexität des Motorprozesses unter Verwendung globaler Approximatoren zu beherrschen. Hierzu wurden verschiedene Modelltypen (Polynommodell, Sugeno-Inferenz-System, TakagiSugeno-Inferenz-System, Radiale-Basisfunktionen-Netz, Feedforward-Mehrschichtnetz ) herangezogen und trainiert. Es hat sich herausgestellt, dass trotz unterschiedlicher Validierungsergebnisse nicht in erster Linie die Modellgüte, sondern vielmehr
die fehlende Detail-Kenntnis über die Modellgrenzen ausschlaggebend für die nicht
ausreichende Optimierungsqualität ist. Je höher der Freiheitsgrad, desto mehr wirkt
sich die Unkenntnis in Form von Modellextrapolationen aus. Daher war die Entwicklung eines neuartigen Optimierungskonzeptes notwendig, das die Bedatung der
Motorsteuerkennfelder online am Motorprüfstand ermöglicht. Der Einsatz konventioneller Optimierungsverfahren (Genetische Algorithmen oder Sequentielle Quadratische Programmierung) ist aufgrund des hohen Iterationsbedarfs nicht geeignet.
Mit Hilfe der Fuzzy-Technik wurden zwei Verfahren zur automatisierten Wissensbildung entwickelt, um aus gelernten Motorprozesszusammenhängen Lösungsvorschläge in Form von WENN-DANN -Regeln zu formulieren. In der ersten Variante wurde
mittels der modellierten Umkehrung des Motorprozesses in Verbindung mit einem
heuristischen Steueralgorithmus stationäre Motorbetriebspunktoptimierungen online am Motorprüfstand verwirklicht. Die Ergebnisse bestätigen die Wirksamkeit
des Online-Verfahrens in der vergleichenden Gegenüberstellung mit der konventionellen Methode. Die zweite Variante sieht ein Expertensystem vor, das auf dem
Prinzip der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufsetzt und die Nichtlinearitäten
durch den Aufbau von Konfliktmengen beschreibt. Diese Methode wurde am Beispiel der dynamischen Optimierung entlang eines definierten Testzyklus am hochdynamischen Motorprüfstand getestet. Voraussetzung hierfür war die dynamische
Testzyklenvermessung zwecks automatischer Wissensableitung in den definierten
dynamischen Kennfeldstützstellen. Neben den charakteristischen Motorgrößen Motordrehzahl und Last werden auch deren Gradienten zur Beschreibung des dynamischen Motorbetriebszustandes als Eingänge in den Optimierer aufgenommen. Die
Modifizierung der Basis-Applikation ist für die Erfüllung der Fahrbarkeitskriterien
erforderlich.
151
A Anhang
A.1
Takagi-Sugeno-Versuchsplanung
Variation der Abstufung
Variation der Zusatzpunkte
7,5E-09
3,75E-11
7,0E-09
1,40E-10
3,25E-11
6,0E-09
5,5E-09
5,0E-09
4,5E-09
4,0E-09
360 Punkte
424 Punkte
466 Punkte
544 Punkte
578 Punkte
3,00E-11
Gütemaß Gint
6,5E-09
Gütemaß Gint
3,66E-09
3,50E-11
2,75E-11
2,50E-11
2,25E-11
2,00E-11
1,75E-11
3,5E-09
1,50E-11
3,0E-09
2,5E-09
144 Punkte
432 Punkte
630 Punkte
900 Punkte
1959 Punkte
1,25E-11
2,0E-09
1,00E-11
1,5E-09
7,50E-12
1,0E-09
5,00E-12
5,0E-10
2,50E-12
0,0E+00
0,00E+00
64 Fuzzy-Regeln
64 Fuzzy-Regeln
Abb. A.1: Gemittelte Determinanten der Kovarianzmatrizen durch Variation der Zusatzpunkte und der Abstufungen nach Gl. 5.2 für ein Takagi-Sugeno-System konstanter
Ordnung (64 Regeln)
Variation der
360
424
466
544
578
Zusatzpunkte Punkte Punkte Punkte Punkte Punkte
k
1
3
5
7
9
Tab. A.1: Variation der Zusatzpunkte nach Gl. 5.2 für ein Takagi-Sugeno-System konstanter Ordnung (64 Regeln)
152
A
Variation der
Abstufung
b
ANHANG
144
432
630
900
1959
Punkte
Punkte
Punkte
Punkte
Punkte
[22112211] [43111411] [33212211] [33312211] [22222222]
Tab. A.2: Variation der Abstufungen nach Gl. 5.2 für ein Takagi-Sugeno-System konstanter Ordnung (64 Regeln)
A.2
Anhang zur Validierung der Wissensbasis
Abb. A.2: Ergebnisse zur Validierung der Wissensbasis: Gegenüberstellung der Zielgrößen
A.2. ANHANG ZUR VALIDIERUNG DER WISSENSBASIS
153
Abb. A.3: Ergebnisse zur Validierung der Wissensbasis: Darstellung der stationären
Motorbetriebspunkte und Gegenüberstellung der Motorverstellparameter
154
A
A.3
ANHANG
Anhang zur modellbasierten Optimierung
Die Normierung der Zielgrößen bezüglich des ausgewählten Optimierungsbereichs
ist im Folgenden dargestellt.
N Ox ∈ [0; 1800] → N Ox,norm ∈ [0; 1]
SZ ∈ [0; 3.5]
→ SZnorm
∈ [0; 1]
be ∈ [0; 800] → be,norm
∈ [0; 1]
In Tab. A.3 sind die Konfigurationsparameter und die Funktionen zur modellbasierten Offline-Optimierung mittels Genetischer Algortihmen aufgelistet
Variable
GGAP
XOVR
MUTR
MAXGEN
INSR
SUBPOP
MIGR
MIGGEN
NIND
SEL_F
XOV_F
MUT_F
OBJ_F
MOD_F
Wert
0,8
Erläuterung
Anteil der erzeugten Nachkommen bezogen auf
die Größe der Initialpopulation
1,0
Rekombinationswahrscheinlichkeit zweier Elternchromosomen
1/6
Mutationswahrscheinlichkeit eines Gens
100
Maximale Anzahl von Generationen
0,85
Anteil der Nachkommen an der Folgegeneration
P (t + 1)
3
Anzahl an Subpopulationen
0,2
Migrationsrate von Chromosomen zwischen
Subpopulationen
20
Anzahl der Generationen, bis erneute Migration
eintritt
50
Anzahl der Chromosomen je Subpopulation
sus
Funktion zur Durchführung von Selektion
recdis
Funktion zur Durchführung von Rekombinationen
mutbga
Funktion zur Durchführung von Mutationen
Opt_NOx_SZ_BE Zielfunktion
Use_sel_model Modellwahl
Tab. A.3: Initialisierung des Genetischen Algorithmus (GA)
A.4. ANHANG ZUR APPLIKATION DES DYNAMISCHEN MOTORBETRIEBES
A.4
155
Anhang zur Applikation des dynamischen Motorbetriebes
μ
M
Stützstelle
Abb. A.4: Eingang des Expertensystems: Zugehörigkeitsfunktion zur Kennzeichnung der
Stützstelle
μ
Nr
Konfliktregel
Abb. A.5: Eingang des Expertensystems: Zugehörigkeitsfunktion zur Angabe der Konfliktregel
156
Abkürzungen und Formelzeichen
Abkürzungen
ANFIS
APRBS
ASIC
BLUE
CAN
CCD
CL
CoG
DoE
DPF
DSS
EA
EEPROM
EMV
ETK
FDL
FF
FSN
GA
GO
GRASP
GRNN
LHS
LSM
LOLIMOT
MCD
MOP
NEFZ
PP
PM
RBF
Adaptive-Network-Based Fuzzy Inference System
Amplitudenmodulierte Pseudo-Rausch-Binärsignale
Application Specific Integrated Circuit
Best Linear Unbiased Estimator
Controller Area Network
Central-Composite-Design
Kandidatenliste
Center of Gravity
Design of Experiment
Dieselpartikelfilter
Digitales Simulationssystem
Evolutionäre Algorithmen
Electrically Erasable Programmable Read Only Memory
Elektromagnetische Verträglichkeit
Emulatortastkopf
Fieldbus Data Link
Feedforward
Filter Smoke Number
Genetische Algorithmen
Genetischer Operator
Greedy Randomized Adaptive Search Procedure
Generalized Regression Neuronal Network
Latin-Hypercube-Sampling
Least Squares Method
Local Linear Model Tree
Measurement, Calibration and Diagnosis
Multikriterielles Optimierungsproblem
Neuer Europäischer Fahrzyklus
Parametrisches Problem
Partikelemission
Radiale Basisfunktionen
ABKÜRZUNGEN UND FORMELZEICHEN
RCL
RSM
RMSE
SQP
SSR
SUS
TS
WLSE
Eingeschränkte Kandidatenliste
Response Surface Method
Root Mean Square Error
Sequentielle Quadratische Programmierung
Stochastic Sampling with Replacement
Stochastic Universal Sampling
Takagi-Sugeno
Weighted Least Square Estimation
Formelzeichen
ˆ
a
a
A
ABHE
ABVE
α
be
β
c
C
cov
∆T
E
η
fi
fi (x)
F
F
Fp−1,m−p
FR
g
G
Gint
GF
H0
H1
λ
Λ
m
M
geschätzter Koeffizientenvektor
Koeffizientenvektor
gleichwahrscheinliche Klasse
Ansteuerbeginn Haupteinspritzung
Ansteuerbeginn Voreinspritzung
Zufallszahl
spezifischer Kraftstoffverbrauch
Regelaktivierungsgrad
Zentrum der RBF-Neuronen
Chromosom
Varianz-/Kovarianzmatrix
Zeitanteil (Wichtungsfaktor der Zielfunktion)
Erwartungswert
obere Schranke ( -Constraint-Methode), Fehlerfunktion
Lernrate
lineares Polynom
Zielgröße
implizite Funktion
Zielfunktionsvektor
F-Quantil
Prüfgröße (F-Test)
radiale Basisfunktion
Neuronenmatrix
Gütemaß (Versuchsplanung)
Gütefunktion
Nullhypothese
Gegenhypothese
Zielparameter (Goal-Attainment-Verfahren)
Lösungsraum
Anzahl der Beobachtungen (Messungen)
Motordrehmoment
157
158
mB
mL
µ
n
N Ox
N Ox,n
N (x)
Ω
p
P
pc
∗
PF ront
pL
PM
P Mn
pRAIL
P∗
π
q
Q
r
R
R2
2
Radj
resi
S
sy
σ
σ
ˆ
SZ
TR
Tα/2
U
UT S
v
var
VEM
W
wbe
wN Ox
wSZx
wP M
ABKÜRZUNGEN UND FORMELZEICHEN
Einspritzmenge
Frischluftmasse
Zugehörigkeitsgrad
Motordrehzahl
Stickoxidemission
normierte Stickoxidemission
Nachbarschaft von x
Entscheidungsraum
Anzahl der Modellterme
Wahrscheinlichkeit, Generation
Überlebenswahrscheinlichkeit
Pareto-Front
Ladedruck
Partikelemission
normierte Partikelemission
Raildruck
Menge pareto-optimaler Lösungen, Zwischenpopulation
unabhängige Zufallspermutation
Modellordnung
Gütekriterium
Konfigurationsparameter der Referenzpunktmethode
unscharfe Relation
einfaches Bestimmtheitsmaß
korrigiertes Bestimmtheitsmaß
untransformiertes Residuum
Singleton
geschätzte Standardabweichung
Standardabweichung
geschätzte Standardabweichung
Schwärzungszahl
Prüfgröße (t-Test)
t-Quantil
zufallsgenerierte Kandidaten einer Klasse
Versuchsumfang
Wichtungsvektor (Feedforward-Mehrschichtnetz)
Varianz
Voreinspritzmenge
Wichtungsdiagonalmatrix
Wichtungsfaktor des spez. Kraftstoffverbrauchs
Wichtungsfaktor der Stickoxidemission
Wichtungsfaktor der Schwärzungszahl
Wichtungsfaktor der Partikelemission
ABKÜRZUNGEN UND FORMELZEICHEN
x
x
X
ξ
y
ˆ
y
y
¯
y
z0
zi
ZF
ZFRef erenzpunkt
Entscheidungsvariable, Modelleingangsgröße
Entscheidungsvariablen-, Modelleingangsgrößenvektor
Regressionsmatrix
Störgrößenvektor
geschätzter Modellausgang
Zielgröße, Modellausgang
empirischer Mittelwert
Zielgrößenvektor
Referenzvektor
Referenzpunkt
skalare Zielfunktion
skalare Zielfunktion nach der Referenzpunktmethode
159
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